Tierärzte im Landkreis Freising:In der Pandemie immer unter Strom

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Um Hunde und andere Haustiere kümmern sich überwiegend Tierärztinnen. Für diese ist es schwer, Selbständigkeit und Familie zu vereinbaren. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Seit Corona ist die Zahl der Haustiere gestiegen, die der Tierärztinnen dagegen sinkt. Veterinärmediziner, auch im Landkreis, sind oft überbelastet. Große Ketten werden langfristig wohl auch hier die kleinen Praxen ablösen.

Von Gudrun Regelein, Freising

Traumberuf Tierarzt? Fehlanzeige: Veterinärmediziner sind oft überfordert - und sie sind oft unterbezahlt. Auch im Landkreis Freising ist das so. Knapp 12 000 Tierärztinnen und -ärzte gibt es derzeit in Deutschland, die sich um etwa 35 Millionen Patienten kümmern müssen. In der Pandemie ist die Zahl der Haustiere noch einmal nach oben geschnellt. Inzwischen lebt in fast jedem zweiten Haushalt ein Tier. Während ihre Zahl steigt, sinkt dagegen die Zahl der praktizierenden Tierärzte seit Jahren - genauer gesagt der Ärztinnen. Denn 90 Prozent der Studiumsabsolventinnen und -absolventen in Deutschland sind weiblich.

Anruf bei der Tüntenhausener Tierärztin Christine Spieß, die auch Fachtierärztin für Chirurgie ist. Während des Gesprächs klingelt ihr Handy einige Male, neue Patienten kündigen sich an, andere Herrchen und Frauchen sitzen mit ihrem Tier schon im Wartezimmer. Zu wenig Arbeit habe sie nicht, sagt Spieß. Im Gegenteil. Die Work-Life-Balance könne man bei ihrem Beruf vergessen. Privat müsse sie viele Abstriche machen, es gebe keinen richtigen Feierabend und auch an den Wochenenden sei sie für Notfälle immer erreichbar.

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In der Pandemie warten Halter eher ab

Aber während der Corona-Monate sei bei ihr die Zahl der Patienten nicht auffällig gewachsen, sagt Spieß. Sie habe eher den Eindruck, dass länger mit dem Tierarztbesuch gewartet werde. "Hundebesitzer erzählen von einem Durchfall seit drei Wochen und Impfungen werden auch häufig verschleppt."

Spieß praktiziert seit mehr als 30 Jahren, mittlerweile in einer Praxis im eigenen Haus in Tüntenhausen. Der Beruf sei für sie nach wie vor ein sehr schöner, sagt sie. Aber wegen der nicht enden wollenden Arbeitszeiten würde sie sich heute zehnmal überlegen, ob sie noch eine eigene Kleintierpraxis aufmachen würde. Andere Kolleginnen und Kollegen, die nicht so viel Geld und Zeit investieren können oder wollen, arbeiten beispielsweise inzwischen lieber in einem Angestelltenverhältnis für große Ketten, die auch in Deutschland zunehmend inhabergeführte Tierarztkliniken oder -praxen aufkaufen.

Die Zahl der Einzelkämpfer sinkt

Auch Spieß weiß von einer Klinik in Haar und einer Kleintierärztin im Landkreis, die übernommen wurden. Größere Praxeninhaber, die keinen Tierarzt als Nachfolger finden, müssten zwangsweise an Ketten verkaufen, berichtet sie. Sie selber habe noch kein Angebot bekommen - würde es aber auch nicht annehmen.

Große Ketten - wie Anicura oder IVC Evidensia - seien langfristig die Zukunft in der tierärztlichen Versorgung, sagt die Freisinger Tierärztin Elke Steyer. Zwar gebe es noch Einzelkämpfer, aber deren Zahl sinke. Laut Statistik der Bundestierärztekammer standen Ende 2019 etwa 12 000 selbständige Tierärzte rund 13 000 Gehaltsempfängern gegenüber. Die Gründe dafür liegen für Steyer auf der Hand: "Der Berufsstand ist fast nur noch weiblich." Der Beruf als selbständige Tierärztin sei mit der Familie kaum zu vereinbaren.

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Auch der Fachkräftemangel ist ein Problem

"Die Entwicklung ist kaum aufzuhalten", sagt sie. "Kleine Praxen werden aussterben." Zu hoch sei die zeitliche Belastung, zu wenig Zeit bleibe übrig für Familie oder Hobbys, zu gering sei der Ertrag. Ältere Kollegen dagegen, die in den Ruhestand gehen wollen, finden keinen Nachfolger mehr - und lassen sich deshalb auf den Deal mit einer Kette ein. Für die meisten der jungen Tierärztinnen und Tierärzte nämlich sei die Work-Life-Balance sehr wichtig, sie haben kein großes Interesse an einer Praxisübernahme.

Sie kenne viele selbständige Kollegen, die nun nach zwei Jahren Pandemie hoffnungslos überlastet seien. Etliche haben inzwischen sogar einen Aufnahmestopp und nehmen keine neuen Patienten mehr auf. Einfacher werde die Situation auch durch den eklatanten Fachkräftemangel nicht, qualifizierte Helferinnen und Helfer zu finden, sei kaum möglich. "Die Tierärzte stehen seit zwei Jahren unter Strom", sagt Steyer. Im ersten Coronajahr seien mehr Tierhalter gekommen, da sie im Home-Office mehr Zeit hatten, ihre Haustiere zu beobachten, im zweiten dann kamen viele neue Tierhalter.

Wer den Beruf ausübt, würde sich wieder so entscheiden

Viel Zeit hat auch Steyer an diesem Tag nicht: Nach der Vormittagssprechstunde warten noch zwei Operationen auf sie, nachmittags geht es dann bis in den frühen Abend wieder mit der Behandlung der tierischen Patienten weiter. Ob sie bei dieser Belastung wieder Tierärztin werden würde? Elke Steyer antwortet ohne zu überlegen mit einem "ja".

© SZ vom 18.02.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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