Inklusionspreis:"Jede Lebensgeschichte ist spannend wie ein Krimi"

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Der Regisseur und Bühnenbildner Thomas Goerge ist 2021 bereits mit dem Kulturpreis des Landkreises geehrt worden. (Foto: Sebastian Widmann)

Der Bezirk Oberbayern zeichnet den Regisseur Thomas Goerge und den Verein Udei für ihr integratives Theaterprojekt "Faust der Frauen" aus

Von Petra Schnirch, Hallbergmoos

Es war ein ungewöhnliches Theaterprojekt, das Mitte Oktober nicht in München oder Berlin Premiere feierte, sondern in einem Zirkuszelt auf dem Volksfestplatz in Hallbergmoos. Das "Kollektiv für Kunstgeschichten" (Udei) zeigte dort unter der Regie von Thomas Goerge den "Faust der Frauen", angekündigt war das Stück als "interdisziplinäre, inklusive und partizipative Trashtragödie". Ebenso ungewöhnlich war das Ensemble mit Schauspielern der Agentur Brownbill, die kleinwüchsige Künstler vertritt, Artisten des "Circus Feraro", Ballett-Eleven aus Hallbergmoos und dem Kammerorchester der örtlichen Musikschule. Aufsehen erregte die Inszenierung auch über die Landkreisgrenzen hinaus. Der Bezirk Oberbayern würdigt das Projekt bei der Verleihung des Inklusionspreises mit dem Anerkennungspreis.

Am kommenden Montag findet die Auszeichnung in München statt. "Das ist eine Ehre", sagt Thomas Goerge, "es freut uns, dass wir gesehen werden." Als er vor wenigen Tagen davon erfuhr, sei er sehr überrascht gewesen, denn es habe fast 50 Bewerbungen gegeben. Für alle Beteiligten sei das "wie ein Zuckerl".

Thomas Goerge setzt regelmäßig Projekte in seiner Heimat Hallbergmoos um

Als Kostüm- und Bühnenbildner sowie als Regisseur hat sich Goerge längst einen Namen im ganzen deutschsprachigen Raum gemacht, mit Arbeiten in Frankfurt, Berlin, Hamburg, München, Bayreuth und Stuttgart. Auf der 54. Biennale in Venedig waren seine Bühneninstallationen im deutschen Pavillon zu sehen. Seit einigen Jahren setzt er aber auch regelmäßig künstlerische Projekte in seiner Heimat Hallbergmoos um, wo er noch immer lebt - meist mit einem besonderen Ansatzpunkt.

Für die Aufführung von "Siegfried" während des Hallbergmooser Kultursommers 2017 arbeitete Goerge mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und der Ringerjugend des SV Siegfried. Nächstes Gesamtkunstwerk war "The Voice of Erching", eine Geschichte über die Senderwiese vom Urknall bis zur Zukunft. Auch Preise hat er schon einige erhalten, darunter 2018 den Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung und 2021 den Kulturpreis des Landkreises Freising .

(Foto: Johannes Simon)

Dass er immer wieder mit Menschen zusammenarbeitet, die es schwerer haben, die teils ausgegrenzt werden, weil sie auf irgendeine Weise anders sind, hält der Künstler für gar nicht erwähnenswert. "Wir machen in unserem Verein keinen Unterschied", sagt Thomas Goerge. "Was uns interessiert, sind die Menschen und ihre Lebensgeschichten". Jede sei spannend "wie ein Krimi". Ihm gehe es um die Menschen in ihrer Vielfalt. Wenig überraschend kann er mit dem Wort inklusiv deshalb eigentlich gar nicht so viel anfangen, er habe ein Problem mit solchen Kategorien, sagt er. Es wäre besser, wenn es sie gar nicht geben müsste. Und den Preis dann folglich auch nicht. Goerge stutzt kurz und lacht auf diesen Einwand hin. Da sie - noch - aber offenbar doch notwendig sind, um Änderungen im Umgang miteinander zu erreichen, freut er sich mit seinem Team über den Preis.

Im Schreiben von Bezirkstagspräsident Josef Mederer heißt es: "Wir honorieren damit Ihr Engagement, sich für ein barrierefreies Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen insbesondere in den Bereichen Kultur, Natur, Umwelt und Mobilität in besonderer Weise einzusetzen." Die Preisverleihung sei ein Ansporn weiter zumachen, sagt Goerge. Neue Projekte und Ideen hat er genug, auch für Hallbergmoos. Mehr will er noch nicht verraten, nur dass es 2023 wieder eine Premiere geben soll.

Noch in diesem Jahr geht es ans Theater in Berlin-Moabit. Die Geschichte dreht sich um den Trümmerberg, den Fritz-Schloss-Park, der aus Ruinen nach den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs aufgeschüttet wurde. Mit dabei sind auch Uwe Gössel, bei der "Faust der Frauen" für Dramaturgie und Performance verantwortlich, sowie Saxofonist und Komponist Mark Polscher. Anfang des Jahres folgt ein Projekt in München über die Geschichte der Schwere-Reiter-Straße.

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