Therapiezentrum Aiglsdorf:Wege aus der Sucht

Seit 40 Jahren werden in der Hallertau Rauschgiftkonsumenten bei ihren Bemühungen unterstützt, ihre Drogenkarriere zu beenden - mit mehr oder weniger Erfolg

Gudrun Regelein

Der junge Mann erzählt seine Geschichte beiläufig, so, als habe er es schon viele Male getan. "Mein Leben ist schlecht gelaufen", sagt der 22-Jährige. Irgendwann kamen dann die Drogen, unter anderem Heroin habe er konsumiert - vorläufige Endstation war dann das Gefängnis. 23 Monate war er dort, bis er den Paragrafen 35 des Betäubungsmittelgesetzes beantragte. Seit Anfang Juni ist er nun hier, im Therapiezentrum Aiglsdorf, "vom Knast auf direktem Weg in eine andere Welt", wie er es formuliert. Inzwischen ist es hier - in dem von viel Grün umrahmten weitläufigen Komplex mit den ineinander verschachtelten weißen Häusern mit knallblauen Fensterrahmen - eine Art Zuhause für ihn geworden. Im Gefängnis habe er viel Zeit zum Nachdenken gehabt und habe viel über Sucht gelesen.

"Ich bin jetzt hier und mache meine Therapie - freiwillig", sagt der junge Mann. Er ist optimistisch, dass er es nach den sechs Monaten im geschützten Rahmen der Therapie in der ländlichen Idylle Aiglsdorf auch in der "anderen Welt draußen packt". Er glaubt an seine zweite Chance, an ein neues Leben.

Kerstin Heigl, die Psychotherapeutin, die seit 2004 die Einrichtung leitet, kennt viele ähnliche Geschichten. Das mit dem freiwillig hier sein sei so eine Sache, meint sie, denn viele seien wegen des Paragrafen 35 hier - Drogenabhängige können im Tausch mit einer bis zu zweijährigen Gefängnisstrafe auch eine Therapie durchziehen, wenn die Strafe im Zusammenhang mit Drogen oder der Beschaffung von Rauschgift steht - das sei dann ein juristischer Druck. Und dann gebe es noch den sozialen Druck durch die Familie, Eltern oder das Jugendamt. "Unsere Aufgabe ist dann, den Klienten klar zu machen, dass es auch sonst noch gute Gründe gibt, hier zu sein", sagt Heigl. Und das sei immer eine Motivationsarbeit. Denn Motivation sei nicht grundsätzlich da, wenn die Klienten aus der Entgiftung kämen. Wichtig sei, Wissen über die Erkrankung zu vermitteln, die Frage "wieso bin ich suchtkrank geworden", zu beantworten. Und dann Alternativen zu schaffen. Der Kraftraum beispielsweise sei unter den Männern "unglaublich beliebt" - um sich abzulenken oder um Aggressionen abzubauen.

Entscheidend für den Erfolg sei die Frage, wie sehr sich jemand auf die Therapie einlasse, meint Heigl: "Je mehr sie sich einbringen, umso mehr werden sie rauskriegen." Voraussetzung dafür sei eine stabile Beziehung zu dem Klienten. Viel werde mit der Gruppe gearbeitet, denn die Gruppendynamik spiele eine wesentliche Rolle bei Befindlichkeit und Haltung des Einzelnen. Letzte Woche erst habe sie gemeinsam mit einem Therapeuten viele Stunden mit der Gruppe gearbeitet, um wieder eine positive Dynamik reinzubringen - das sei sehr mühsam gewesen, erzählt Heigl. Aber die positive Reaktion eines Patienten sei für sie dann einer jener Momente gewesen, für die es sich lohne, hier zu arbeiten.

Nach der Entgiftung erfahren die Klienten in Aiglsdorf - zumeist Männer zwischen 25 und 35 Jahren - in dem verhaltenstherapeutischen Konzept erst einmal eine Tagesstruktur. "Die meisten müssen sich wieder daran gewöhnen, Regeln einzuhalten", sagt Heigl. Vereinfacht ausgedrückt basiert das Therapiekonzept auf einem Punktesystem: Negatives wird durch Punkteabzug bestraft und Positives belohnt. Die Punkte sind eine Art Währung, die man beispielsweise einsetzt, um am Abend einen Spielfilm anschauen zu können. Und dann gibt es noch die roten Strafpunkte; bei einem muss man Frühsport machen, bei zwei gibt es eine Ausgangssperre und bei vier eine Hausverwarnung.

Der durchstrukturierte Alltag im Haus beginnt um 6.45 Uhr mit Sport - der Lauf soll den Weg zur Arbeit simulieren und werde auch akzeptiert. Nach dem Frühstück um 7.20 Uhr und einer ersten Besprechung wird bis zum Mittagessen gearbeitet. Und auch der restliche Tag ist dann genauestens - mit Therapiegesprächen oder Sportangeboten - vorgegeben. Erklärtes Ziel der Maßnahme ist, die Klienten in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. "Wenn sie hier abschließen", sagt die Psychotherapeutin. Gerade zu Beginn, in der ersten Woche, brechen viele ab, wenn sie merken, dass es anstrengend ist, dass sie "hier nicht richtig sind". Und dann noch gegen Ende der Therapie, wenn wieder viele Ausgänge genehmigt werden und der strenge Tagesrhythmus in Aiglsdorf nicht vorgegeben ist, gebe es noch einmal viele Abbrüche. Die wenigsten der Patienten sind nur einmal in Therapie. Zwar sei die Abschlussquote mit 60 Prozent sehr gut, aber ein großer Teil werde wieder rückfällig. "Die Sucht ist eine chronische Erkrankung", sagt Heigl. Insofern sei es auch immer eine Frage, wie man Erfolg definiere. Nur wenigen gelingt es tatsächlich, ein neues Leben anzufangen. Jede Therapie sei aber ein Baustein auf dem Weg aus der Sucht.

Ihre ehemaligen Patienten, die Erfolge melden, motivieren sie zum Weitermachen, sagt Heigl. Vielleicht hilft ihr ja auch ihr trockener Humor. Und der Spaß, den sie mit den Klienten und im Team hat. Verbunden sei die Arbeit mit den Suchtkranken aber auch immer mit einer großen Frustration: Rückfälle oder Todesfälle gebe es immer wieder. Das müsse man lernen, auszuhalten, sagt Kerstin Heigl.

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