Die Helfer brauchen Hilfe:Die Tafeln stoßen an ihre Grenzen

Die Helfer brauchen Hilfe: Lange Schlangen bei der Essensausgabe an der Freisinger Tafel.

Lange Schlangen bei der Essensausgabe an der Freisinger Tafel.

(Foto: Johannes Simon)

Immer mehr Menschen in den Landkreisen Erding und Freising sind auf Lebensmittelspenden angewiesen, darunter sind auch Geflüchtete aus der Ukraine.

Von Elisa Pfleger, Freising

"Uns steht das Wasser bis zum Hals." Am 1. April startete die Tafel Erding einen digitalen Hilfeaufruf. "200 Abholer haben wir letzte Woche versorgt. So viele waren es noch nie in der Geschichte unserer Tafel", erzählt die Vorsitzende Petra Bauernfeind. Normalerweise kämen durchschnittlich an die 140 Personen. Vergangenen Mittwoch waren es schlagartig 60 Menschen mehr. Viele von ihnen sind vor dem Krieg in der Ukraine nach Erding geflohen.

Auch die übrigen Tafeln in der Umgebung erhalten gerade massiven Zulauf. In Freising standen vergangene Woche 330 Menschen vor der roten Tür oberhalb des Parkplatzes an der Kammergasse. Schon seit Beginn des Jahres herrsche ein großer Andrang, berichtet Manfred Schimmerer, der die Freisinger Tafel leitet. Seit Energiepreise und Inflation in die Höhe schießen, sei die Kundschaft um gut zehn Prozent gewachsen. Dazu kamen vergangene Woche rund 60 ukrainische Flüchtlinge.

Die Erdinger Tafel versorgt etwa 500 Menschen

Auch in Moosburg, Hallbergmoos und Taufkirchen versorgen die Freiwilligen deutlich mehr Personen als gewöhnlich. Dabei steht hinter den Abholenden meist noch eine Familie, für die die Lebensmittel auch reichen sollen. "Bei 200 Kunden versorgen wir insgesamt gut 500 Leute", stellt Petra Bauernfeind aus Erding klar.

Gleichzeitig kommen weniger Lebensmittellieferungen bei den Tafeln an. Christine Schick, Vorsitzende in Taufkirchen, führt diese Engpässe auf Hamsterkäufe zurück. Außerdem würden Supermärkte ihre Lager weniger großzügig aufstocken, um am Ende nicht auf den aktuell sehr teuren Lebensmitteln sitzen zu bleiben.

Die Kooperationen sind ausgereizt

Einige Tafeln können die Ausnahmesituation vergleichsweise gut abfedern. In der Freisinger Umgebung beispielsweise gebe es relativ viele Geschäfte, die Lebensmittel zur Verfügung stellen, berichtet Schimmerer. Viel Spielraum nach oben gebe es allerdings nicht mehr. Man könne maximal noch ein, zwei Läden als Partner gewinnen; eigentlich seien alle Kooperationen ausgereizt. Die übrigen Tafeln berichten Ähnliches.

Dennoch halten die Ehrenamtlichen an ihren Prinzipien fest. "Jeder ist willkommen. Wir geben uns die größte Mühe, alle angemessen zu versorgen", so Schimmerer. Wartelisten oder eine separate Ausgabe für Geflüchtete kämen nicht in Frage. Tanja Voges, Vorsitzende der Tafel in Hallbergmoos, sieht das ähnlich: "Getrennte Ausgaben für Menschen mit Migrationshintergrund grenzen unnötig aus. Dabei entstehen unter unseren Kunden häufig Freundschaften."

Die Helfer brauchen Hilfe: Die Tüten werden nicht mehr ganz so vollgepackt wie bisher.

Die Tüten werden nicht mehr ganz so vollgepackt wie bisher.

(Foto: Johannes Simon)

Trotz der Einsatzbereitschaft der Freiwilligen sind die Auswirkungen bereits spürbar: Die Menge an Lebensmitteln, die pro Person ausgegeben wird, schrumpft. In Freising hat man deshalb einen Stufenplan ausgearbeitet. Im ersten Schritt würden die Tüten nicht mehr ganz so voll gepackt wie bisher. Zusätzlich könne man die Mengen für Kinder reduzieren: Aktuell bekomme ein Baby so viel wie eine erwachsene Person. "Es gibt einige Stellschrauben, an denen wir guten Gewissens ansetzen können", sagt Schimmerer. Der letzte Ausweg wäre, Lebensmittel nur alle zwei Wochen auszugeben. "Ein sehr schmerzhafter Einschnitt", den man in Freising unbedingt vermeiden will.

Wegen des großen Andrangs verlängern viele Tafeln außerdem ihre Abholzeiten. Im Vergleich zur Knappheit bei den Lebensmitteln eine eher kleine Belastungsprobe. "Mit Helferinnen und Helfern sind wir gut aufgestellt", berichtet Bauernfeind aus Erding. "Auch Dolmetscher unterstützen uns tatkräftig."

Sammelaktionen als Rettungsanker

In kleineren Gemeinden gibt es hier weniger Möglichkeiten. Christine Schick aus Taufkirchen denkt gerade oft an 2015, als schon einmal viele Geflüchtete Hilfe benötigten. "Damals haben sich die Ehrenamtlichen total aufgerieben", berichtet sie. Viele hätten in dieser Zeit mit dem Engagement aufgehört - sie waren ausgebrannt. "Gleichzeitig hatten wir Wochen, da hat am Ende jeder eine Tomate mit nach Hause genommen." Die Taufkirchner wollen deshalb genau darauf achten, dass der Ansturm das Mögliche nicht übersteigt. Noch hätten sie aber Kapazitäten. "Vereine oder Pfarrgemeinden, die regelmäßig mit Sammelaktionen unterstützen, sind unser Rettungsanker."

Spenden, ob sie nun groß organisiert sind wie in Taufkirchen oder von Privatpersonen kommen, machen in der aktuellen Situation den entscheidenden Unterschied. Besonders gefragt sind natürlich Lebensmittel. Aber auch Geldspenden, die explizit mit dem Stichwort Lebensmittelhilfe eingehen, stellen eine wichtige Unterstützung dar. Wer selbst etwas beisteuern möchte, findet online entsprechende Informationen. Ansonsten schlägt Schick vor, beim Wocheneinkauf einfach von jedem Produkt ein, zwei Dinge mehr zu kaufen und an die Tafel abzugeben. "Da hat man dann in der Regel genau das drin, was wir brauchen."

Sinn und Zweck des Vereins bleibt natürlich primär, Lebensmittel zu retten und so Menschen zu helfen. "Aber in dieser Notsituation sind wir auf die Spenden angewiesen", sagt Manfred Schimmerer von der Freisinger Tafel. "Aufgeben ist keine Option", meint Schick, wenn Menschen gerade besondere Hilfe brauchen.

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