SZ-Serie "Die ganze Welt in Freising":Ihr Herz schlägt türkisch-bayerisch

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Temperament und Gastfreundschaft hat Nergiz Eschenbacher von ihren türkischen Eltern. Doch Heimat ist für sie nur Oberbayern: Sie liebt die Gemütlichkeit, das liebevoll Grantige und den bayerischen Humor.

Von Eva Zimmerhof, Freising

Sie haben dem Landkreis etwas mitgebracht: Menschen, die das Wissen anderer Kulturen in sich tragen. Wie sind sie oder ihre Eltern hergekommen, wie fühlen sie sich hier und wie leben sie? Davon berichten soll die SZ-Porträtserie mit dem Titel "Die ganze Welt in Freising".

"Viele sehen mich als Türkin", sagt die Frau mit den tiefbraunen Augen und dem langen dunklen Haar. Dabei kam sie in der Maistraße zur Welt - wie viele andere Münchener, und Nergiz Eschenbacher (40) sagt: "Ich liebe das Bodenständige und Gemütliche, das liebevoll Grantige, das Traditionelle wie etwa Trachten und - ich oute mich - den Komödienstadl." Dennoch verbinden sich, wie schon aus ihrem Namen anklingt, in der früheren Integrationsbeauftragten der Stadt und Frau des Oberbürgermeisters zwei Welten.

"Es gibt eben die und die Türken, aber nicht den Türken"

Kopftuchtragen war in ihrer Familie nie ein Thema. "Ich glaube, aber bin nicht streng gläubig erzogen worden, sagt sie. "Meine Eltern waren eher liberal eingestellt." Migranten, die Ausflüge nach Herrenchiemsee machten, am Stachus Kaffee tranken und sich mit deutschen Freunden zu Fernsehabenden trafen. "Es gibt eben die und die Türken, aber nicht den Türken", sagt Eschenbacher. "Ebenso wie es die und die Deutschen und nicht den Deutschen gibt."

Unterschiede zwischen ihrer und anderen Familien bemerkte sie erst als Schulkind. "Als ich die ersten Male zu Kindergeburtstagen eingeladen war, kannte ich die üblichen Spiele nicht. Ebenso war mir das Essen fremd, zum Beispiel als ich das erste Mal bei einer Freundin zum Abendbrot blieb und es gab Brotzeit. Da es bei uns mittags und abends warmes Essen gab, war ich irritiert darüber, dass bei der Freundin abends gefrühstückt wurde."

Deutsch lernte sie über ihre Geschwister und Biene Maja

"Viele sehen mich als Türkin", sagt Nergiz Eschenbacher, die in München geboren wurde. (Foto: Marco Einfeldt)

Nergiz Eschenbachers Eltern gehörten zu den ersten Gastarbeitern, die Anfang der Sechziger Jahre nach Deutschland kamen. Die Mutter war türkisch stämmige Griechin und lernte Eschenbachers Vater in der türkischen Millionenstadt Izmir kennen, wo er "eine Art Tante-Emma-Laden" hatte. "Meine Mutter wohnte genau gegenüber von seinem Laden und es wurde eine Liebesheirat", erzählt die Tochter. Ihr Vater kam aus einem georgischen Bergdorf und wuchs unter Bauern auf, doch sehnte er sich als Kind immer nach Bildung. Oft habe er sich in einer Scheune versteckt, wo er die Leiter mit auf den Boden zog, um beim Lesen nicht entdeckt zu werden, erzählt sie. "Meinem Vater war unsere Ausbildung deshalb sehr wichtig." Aufgewachsen und zur Schule gegangen ist Eschenbacher in Bad Tölz.

"Meine Geschwister sprechen alle bayerisch", sagt sie, die in keinen Kindergarten ging und ihrer Meinung nach Deutsch über die Geschwister und Kindersendungen wie Biene Maja gelernt haben muss. "Ich erinnere mich an keine Sprachprobleme." Doch es gilt in ihrer Familie als Geheimnis, das keiner zu lösen vermag: Warum spricht sie als einziges von vier Kindern lupenreines Hochdeutsch?

Die Wahl ihres Mannes zum Oberbürgermeister wurde zum Bruch in ihrer Karriere

Ihre Karriere verlief lange geradlinig. Nach der Schule wollte sie unbedingt in die Türkei: "Back to the roots, habe ich gedacht." Für eine Saison arbeitete die damals 19-Jährige als Reiseleiterin, dann packte sie das Heimweh. In München studierte sie Sozialpädagogik, arbeitete neun Jahre lang als Sozialpädagogin und bildete sich berufsbegleitend im Bereich Psychotherapie weiter - bis sie ihren späteren Mann traf.

"Wegen der Liebe" kam sie nach Freising. Für drei Jahre war sie die Integrationsbeauftragte der Stadt. "Wir haben hier keine weitreichenden Migrationsprobleme, die Flüchtlingssituation einmal ausgeklammert", sagt sie aus dieser Erfahrung heraus. "Ansonsten gibt es in Freising so viele verschiedene Vereine und Organisationen, es gibt den Verein der Togoer, Frauen oder Männer im Dialog, Mibikids und viele andere. Alle sind gut miteinander vernetzt - auch über die Projektgruppe Migration der Stadt."

Aus der Bahn geworfen wurde Eschenbacher, als ihr Mann Oberbürgermeister wurde. "Das war ein Bruch in meiner Karriere", sagt sie. "Wir haben gemeinsam entschieden, dass es merkwürdig wäre, wenn ich Integrationsbeauftragte bliebe. Mein Mann wäre mein Vorgesetzter gewesen." Eschenbacher musste sich orientieren: "Ich hatte immer schon den Wunsch, selbstständig zu sein." Ihre neue Arbeitsweise nahm sie wörtlich und baute sich als Heilpraktikerin für Psychotherapie eine Praxis auf. Selbst das Schild an der Hauswand bohrte sie eigenhändig an. Nun begleitet sie Menschen in verschiedenen Lebenssituationen und bietet zudem Rohkost-Kochkurse an.

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"Rouladen, Rinderbraten, Knödel und Kartoffelsalat" liebte sie zwar einmal sehr, doch wegen einer Allergie begann sie sich schon vor Jahren vegan zu ernähren. Beinahe alles, was bei ihr auf den Tisch kommt, ist Rohkost. Ausnahmen mache sie aber bei der türkischen Küche, sagt Eschenbacher. "An Couscous-Salat oder an gefüllten Weinblättern komme ich nicht vorbei."

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Seit 13 Jahren lebt sie in Freising und fühlt sich zu Hause. Im Oberbayerischen sieht sie ihre Heimat, während sie von der türkischen Kultur Eigenschaften wie die Gastfreundschaft - sie kredenzt Besuch etwa feine Pralinen und auf Wunsch türkischen Mokka - und ihr Temperament mitbekommen hat. "Manchmal werde ich emotional und damit etwas lauter", meint Eschenbacher, "zum Beispiel bei den Sitzungen und Besprechungen, die ich als stellvertretende Vorsitzende der Freisinger Mitte habe."

Zwischen ihrem Mann und ihr werden kulturelle Unterschiede nur gelegentlich deutlich. "Als wir einmal in der Türkei die Straße entlangliefen, habe ich mit meiner Stiefmutter diskutiert", erinnert sich Eschenbacher an eine Situation. "Sie meinte, ich solle im Schatten gehen. Irgendwann sagte mein Mann: Streitet euch doch bitte nicht! Wir waren völlig überrascht. Wir waren laut, aber wir hatten ganz normal miteinander geredet, fanden wir." Es sind zwei Welten, die Nergiz Eschenbacher kennt, doch gab es für sie dazwischen nie eine Grenze: Das Türkische und das Bayerische gehören in ihrem Leben zusammen.

© SZ vom 19.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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