SZ-Serie: Die ganze Welt in Freising:Anpassungsfähig wie ein Chamäleon

SZ-Serie: Die ganze Welt in Freising: Heimat ist für ihn da, wo das Glück ist: Samuel Fosso ist in Freising längst angekommen und engagiert sich für andere Zuwanderer.

Heimat ist für ihn da, wo das Glück ist: Samuel Fosso ist in Freising längst angekommen und engagiert sich für andere Zuwanderer.

(Foto: Marco Einfeldt)

Samuel Fosso weiß früh, was er will: Mit zwölf verlässt er seine Familie, um aufs Gymnasium zu gehen, zum Studium zieht er von Kamerun nach Polen. Der Liebe wegen lebt der IT-Spezialist seit 2001 in Freising.

Von Eva Zimmerhof, Freising

Ein Junge, der 300 Kilometer von seiner Familie wegzieht, um zur Schule zu gehen. Ein Schüler ohne Computer, der Informatik studieren will. Ein Student, der den Kontinent wechselt, ohne jemanden in seiner neuen Welt zu kennen. Samuel Fosso (43) wusste schon immer, was er wollte. "Ich habe in meinem Leben viel Unterstützung bekommen", sagt Fosso - und ist doch vor allem aus eigenem Antrieb weit gekommen und inzwischen IT-Spezialist.

Serie: Die ganze Welt in Freising

Sie haben dem Landkreis etwas mitgebracht: Menschen, die das Wissen anderer Kulturen in sich tragen. Wie sind sie oder ihre Eltern hergekommen, wie fühlen sie sich hier und wie leben sie? Davon berichtet die SZ-Porträtserie mit dem Titel "Die ganze Welt in Freising".

Er wird Anfang der siebziger Jahre in Zentralafrika geboren. Sein Vater stirbt früh. Der zwölfjährige Sohn verlässt daraufhin seine Familie im Westen Kameruns, um in der weit entfernten Großstadt Douala das Gymnasium zu besuchen. "Wir waren zu fünft und meine Mutter mit uns allein. Damit war wenigstens eines ihrer Kinder aufgehoben." Fosso kam bei einer befreundeten Familie unter. "Mein Cousin hat mich damals sehr unterstützt, auch finanziell", sagt er. "In Kamerun versteht man unter dem Begriff Familie nämlich nicht nur Mama, Papa und Geschwister." Auch auf entfernte Verwandte könne man sich absolut verlassen.

Polen war Fossos kamerunischen Mitschülern zu exotisch

Am Gymnasium hat er die Möglichkeit, einen Computer zu benutzen und Fosso entdeckt, dass ihm das liegt. Der Wunsch nach einer entsprechenden beruflichen Laufbahn wächst. Nach einem Sozialjahr an einer katholischen Schule bemüht er sich um ein Studienstipendium für Informatik. Wegen seiner guten Noten erhält er eines von der polnischen Regierung.

"Die meisten meiner Mitschüler wollten nach Frankreich oder England, um keine Zeit mit dem Lernen einer Sprache zu verlieren. Polen war ihnen zu exotisch. Ich hatte aber kein Problem damit, zuerst ein Jahr lang polnisch zu lernen." Fosso verlässt Kamerun, als er zwanzig ist. In der neuen Welt ist er ganz auf sich allein gestellt. Nach einem Jahr Sprachstudium in Lodz studiert er bis 2000 in Breslau. Er sucht sich seinen Weg, obwohl diesmal zwischen ihm und seiner Familie immerhin die größte Wüste der Welt, das Mittelmeer und etwa 5000 Kilometer liegen. Fosso geht auf Menschen zu, das ist eine seiner Stärken. So findet er schnell Freunde und auch eine feste Freundin. "Nach dem Studium wollte ich zurück nach Kamerun. Ich hätte Arbeit gehabt." Doch seine Freundin ist Deutsche. Sie wird seine Frau und "der Liebe wegen" zieht er mit ihr nach Freising. "Es spielt eigentlich keine Rolle, wo man lebt. Wichtig ist: Wo ist mein Glück", sagt er.

Doch wie fühlt er sich nach so vielen Stationen? Als Deutscher oder Kameruner? Oder doch als Pole? "Ich habe viele Kulturen durchlaufen, da ist es schwierig zu sagen, welche mich am meisten geprägt hat. Ich weiß, wo meine Wurzeln sind. Aber ich kann nicht alles leben, was ich aus diesen Kulturen mitbekommen habe."

"Stellen Sie sich vor, die Untere Hauptstraße öffnete erst um 18 Uhr"

Für afrikanische Gerichte gibt es etwa in Freising nicht unbedingt die Zutaten. Auch das Klima wirkt sich aus. "Stellen Sie sich vor, die Untere Hauptstraße öffnete erst um 18 Uhr und es gäbe dort überall Straßenverkäufe. In Kamerun ist es sehr heiß, da geht das Leben oft erst abends los. In Freising ist es um die Zeit aber meist kalt und dunkel", erzählt Fosso.

Unterschiede gebe es außerdem in der Kindererziehung: "Wenn ich in Kamerun beobachte, dass ein Jugendlicher eine Dummheit macht, kann ich sagen ,so nicht, junger Mann', noch bevor ich seinen Eltern Bescheid sage. Stellen Sie sich vor, das macht hier jemand mit Ihrem Kind! Es ist dort einfach so, dass alle mithelfen, die Werte der Gesellschaft zu erhalten. Der Spruch, dass ein ganzes Dorf ein Kind erzieht, stimmt schon."

Zum Teil unterscheiden sich die Gesellschaften grundlegend. So sei es in Kamerun ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Jungen den Älteren Respekt entgegenbringen, sagt Fosso. "Alte Menschen tragen einen Schatz an Erlebnissen mit sich. Das ist etwas, was die Jugendlichen hier vielleicht lernen sollten." Zudem gebe es in Deutschland nicht das gleiche Verständnis von der großen Familie, die auch weitere Verwandte mit einbezieht. "Hier ist jeder ein bisschen für sich."

Obwohl Europa so anders ist als Afrika, findet Samuel Fosso Anknüpfungspunkte: "In Polen gibt es wie in Kamerun eine ausgeprägte Gastfreundschaft. In Kamerun gehört dazu, seinen Gästen alles zu geben, selbst wenn man kaum etwas hat. Polen ist außerdem sehr religiös, und ich habe eine katholische Schule besucht." Noch immer hat Fosso eine polnische E-Mail-Adresse. Auch seine Studienfreunde sind ihm wichtig geblieben, er besucht sie regelmäßig.

"Egal wo ich hingehe, meine Offenheit behalte ich"

Nach Deutschland kommt er als berufstätiger Ingenieur, der bald eine eigene Familie hat. "Das ist schon etwas anderes als die Studentenzeit." Doch auch hier kommt Fosso an. Da er sich für Kommunalpolitik interessiert und etwas bewegen möchte, wird er Vorstandsmitglied der Freisinger Mitte (FSM).

Den eigenen Weg vergisst er nicht - und engagiert sich als Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender des Vereins Mibikids, der Kinder mit Migrationshintergrund ehrenamtlich beim Deutschlernen unterstützt. "Mich selbst hat keiner gezwungen, Deutsch zu lernen, für meinen Beruf brauchte ich es nicht", sagt Fosso. Doch nicht die Sprache des Landes zu sprechen, in dem man lebt, sieht Fosso als Blockade. "Als Zuwanderer ist es ein Muss zu schauen, welche Spielregeln hier gelten" - egal ob es um die Sprache geht oder die gesellschaftlichen Normen. "Wie man in einer Gesellschaft aufgenommen wird, hängt viel von einem selbst ab", sagt er. "Ich weiß nicht, was das Leben noch mit mir vorhat, aber Werte wie Offenheit sind mir besonders wichtig. Egal wo ich hingehe, die behalte ich."

In Polen hat Fosso ein Buch über das Leben von Studenten aus Afrika in Europa geschrieben ("Czarnoskory Student w Europie"). Seine wichtigste Erkenntnis daraus: "Dass man im Leben nie aufgeben soll, dass das Leben kein Wunschkonzert ist und dass es sich lohnt, sich im Leben anzustrengen."

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