SZ-Serie: Auf den Spurender SeuchengeschichteFreisings · Folge 1:"Wer gut abführt, heilt gut"

Ein modernes Klinikum mit höchstem Hygienestandard haben die Freisinger Landkreisbewohner erst seit einigen Jahrzehnten. Die längste Zeit der Geschichte stand es um die medizinische Versorgung ganz anders: Es gab Spitäler und Leprosenhäuser für die ansteckenden Patienten, die Hauptarbeit aber leisteten Bader und Hebammen

Von Peter Becker, Freising

Die Corona-Pandemie hat den Landkreis Freising fest in ihrem Griff. Von Tag zu Tag steigt die Zahl der Infizierten. Manche Menschen sterben an der Krankheit. Die moderne Medizin hilft trotzdem, die Auswirkungen der Pandemie in Grenzen zu halten. In früheren Zeiten war das nicht so. Die hygienischen Verhältnisse erlaubten es Krankheitserregern, sich ungehindert zu verbreiten. Die medizinische Versorgung war schlecht. Lange Zeit wussten selbst Ärzte nicht, was genau die Krankheiten ihrer Patienten verursacht hatte. Erst im späten 19. Jahrhundert entdeckten Louis Pasteur und Robert Koch, dass bestimmte Mikroorganismen Infektionskrankheiten auslösten und wie sie zu bekämpfen seien. Die Serie beschreibt, welche Krankheiten immer wieder im Landkreis grassierten. Der erste Teil ist der medizinischen Versorgung gewidmet.

Wie es um die medizinische Versorgung der Bevölkerung in Freising im Mittelalter bestellt war, darüber gibt es wenig Aufzeichnungen. Der ehemalige Kreisheimatpfleger Rudolf Goerge nennt in seinem Aufsatz "Das Eckher-Haus in Freising" in der Zeitschrift Amperland verschiedene Wohltätigkeitseinrichtungen in der fürstbischöflichen Stadt. Da gibt es das Heilig-Geist-Spital mit Krankenanstalt, das auf die Pestepidemie in den Jahren 1347 bis 1351 zurückgeht. Der Chorherr in St. Andrä und Domherr in Freising, Conrad Gaymann, widmete seinen gesamten Nachlass dem Bau einer Unterkunft für arme, notleidende und kranke Menschen. Das Gebäude im Osten am Rande der Altstadt wurde etwa 1378 fertiggestellt. Auch das Kloster Weihenstephan verfügte über ein Hospital.

Goerge nennt zudem zwei sogenannte Leprosenhäuser. Eins an der Steinmühle am Wörth und eins vor den Toren der Stadt in Neustift bei der Kirche St. Nikolai. Diese existiert nicht mehr. Ihr Standort befand sich in etwa dort, wo die Tuchinger Straße in die Landshuter Straße mündet. Heute steht dort eine Wohnanlage. In den Leprosenhäusern wohnten Leprakranke oder solche Menschen, die an anderen ansteckenden Krankheiten litten. Gingen sie zum Betteln, mussten sie sich mit einer Klapper bemerkbar machen. Mildtätige Spender legten dann ihre Gaben auf den Boden und entfernten sich.

SZ-Serie: Auf den Spurender SeuchengeschichteFreisings · Folge 1: Die Volkshochschule Freising beendet vorzeitig das Semester.

Die Volkshochschule Freising beendet vorzeitig das Semester.

(Foto: Marco Einfeldt)

Reinhard Weber vermittelt in seinem Aufsatz "Zum Medizinalwesen im Raum Freising im 19. Jahrhundert" in der Zeitschrift Amperland eine deutliche Vorstellung von der medizinischen Versorgung und den hygienischen Verhältnissen. Vor 1803 hatten sich überwiegend nicht akademisch gebildete Personen um das Wohl der Menschen gekümmert. Nach der Säkularisation hatte der Staatsreformer Montgelas jedem Landgerichtsbezirk einen verbeamteten Arzt zugeteilt. Der hatte seinen Sitz in der damals etwa 3000 Einwohner umfassenden Stadt Freising. Ihn unterstützten drei Chirurgen und drei Hebammen. Gleichzeitig waren diese sowie 14 Bader und weitere Hebammen für den 13 349 Einwohner umfassenden Landkreis zuständig.

1831 ließ sich in Johann Baptist Holg der erste praktische Arzt in Freising nieder. Weber registriert dies als Signal dafür, dass jetzt immer mehr akademisch gebildete Mediziner das niederärztliche Personal, insbesondere die Bader, verdrängten. In Freising gab es laut Weber seit 1829/30 ein städtisches Krankenhaus.

"Ein heißes Eisen der Zeit war die Körper- oder Individualhygiene", schreibt Weber. Er zitiert aus der Dissertation "Medizinische Topographie des königlichen Stadt- und Landgerichts Freising" von Ludwig Anton Hug aus dem Jahr 1870. Diese befindet sich im Freisinger Stadtarchiv. "Die Reinlichkeit lässt zu wünschen übrig", kritisiert Hug. "Manche alten Leute sagen, dass sie seit ihrer Jugendzeit kein Bad mehr genommen haben." Trinkwasser kam seinerzeit nicht aus der Wasserleitung, sondern ein Pumpbrunnen fördert es zu Tage. Hug stellt fest, dass diese Brunnen oft zu nahe an einer Jauchegrube platziert waren. "Das Trinkwasser wird mit Jauche imprägniert, was am üblen Geschmack und Geruch zu erkennen ist", schreibt er in seiner Dissertation.

Weber zitiert in seinem Aufsatz aus einer Denkschrift des Bezirksarztes Moritz Henkel über die sanitären Zustände in Freising aus dem Jahr 1904. Der Mediziner klagt über die Sturheit der einfachen Leute. "Die Landleute versäumen gewöhnlich Vorboten und erstes Stadium der Krankheit und suchen erst Hilfe, wenn die Krankheit schon zu ziemlicher Höhe angestiegen ist oder die zuerst angewandten Hausmittel wie Pfuschereien durch Bader und Laien nicht den gewünschten Erfolg geleistet haben." Der dann doch herbeigerufene Arzt finde den Patienten unzureichend untergebracht und schlecht versorgt vor. Weit verbreitet sei bei chronisch Kranken die "Urinbeschau" durch Pfuscher. Sobald sich die ersten Behandlungserfolge zeigten, werde der Arzt aus Kostengründen wieder verabschiedet. Henkel kritisiert die beim Volke üblichen Krankenbesuche an Sonn- und Festtagen. "Jeder Nachbar will den Kranken sehen und ihm sein Mitleid zeigen. Die Krankenzimmer sind auf solche Weise oft von Fremden überfüllt." Kein Wunder, dass sich Infektionskrankheiten bei diesen Gebräuchen leicht verbreiten konnten.

SZ-Serie: Auf den Spurender SeuchengeschichteFreisings · Folge 1: Zwei Krankenhäuser gab es lange Zeit in Freising. Die heutige Musikschule wurde vom Militär genutzt.

Zwei Krankenhäuser gab es lange Zeit in Freising. Die heutige Musikschule wurde vom Militär genutzt.

(Foto: Marco Einfeldt)

Henkel bedauert, dass das Volk dem ärztlichen Rat schlecht zugänglich ist. "Im Ganzen ist das Landvolk überhaupt gebildeten Ärzten nicht sonderlich geneigt." Er macht dafür einen gewissen Fatalismus verantwortlich und sie schenkten ihren Gunst denjenigen, "deren Schild ausser dem Doctorhute auch noch eine Baderschüssel ziert". Den Grund dafür sieht der Bezirksarzt darin, dass das Volk nicht so gebildet sei. Die Bader, also das niederärztliche Personal, begegne ihnen im täglichen Umgang, deshalb sei das Verhältnis zu ihnen besser. In höherem Ansehen als die ärztliche Kunst stünden Hausmittel und medizinische Pfuscherei wie die Uroskopie. Diese Harnschau war von der Antike weg bis in die frühe Neuzeit hinein ein diagnostisches Mittel, um Krankheiten zu bestimmen.

Henkel kritisiert die einfachen Bader, die im wesentlichen nur Abführmittel verabreichten nach dem Motto "Wer gut abführt, heilt gut". Für jede Krankheit gebe es spezielle Sachverständige und geheime Mittel. "Die tägliche Erfahrung des Arztes lehrt die traurigen und oft fatalen Folgen für die Gesundheit. Henkel wünschte sich, die Lehrer und Pfarrer würden mehr auf das Landvolk einwirken und es dementsprechend belehren.

Den Ärzten stand die Aufgabe einer Änderung der medizinischen Kultur der breiten Bevölkerung erst noch bevor. "Noch waren sie nicht in der Lage, für größere Bevölkerungsteile erste Hilfsinstanz zu sein", folgert Weber in seinem Aufsatz. "Erst die Verbindung mit dem Staat und seinen Interessen sollte ihnen ihre seitdem unangefochtene Stellung garantieren." Doch bis dies soweit war, musste noch ein weiter Weg bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein beschritten werden.

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