SZ-Serie "An der Amper - Menschen am Fluss", Teil 4:Spirituelles Leben am Wasser

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Vor fast 30 Jahren entsendet der Franziskanerorden der polnisch-schlesischen Sankt-Hedwigs-Provinz Mönche nach Grafrath und bewahrt die Pfarrgemeinde dadurch vor dem Verlust des Klosters. Heute wird es von Prior Ludwik Mazur geleitet, der von drei Patres unterstützt wird.

Von Stefan Salger, Grafrath

Vom Klostergarten ist die Amper nicht zu sehen. Sie verbirgt sich hinter einem dichten Galeriewäldchen, das ihre Ufer säumt. Aber der Fluss gehört zum Leben der vier Patres, die im Grafrather Kloster leben und sich im Pfarrverband Grafrath/Schöngeising, der bis zum Fürstenfeldbrucker Ortsteil Aich reicht, um die Seelsorge kümmern. Sie gehören dem Franziskanerorden an, verzichten bewusst auf Wohlstand und wollen im Einklang mit der Natur leben. Pater Ludwik Mazur steht vor dem 1778 von den Chorherren von Dießen erbauten Klostergebäude auf der grünen Wiese neben dem kleinen Fischteich und blickt von seiner "Oase" gen Norden. Aus der Richtung ist ein leises Rauschen zu vernehmen. "Die Amper gehört zu unserem Leben", sagt der Geistliche. Der Fluss, das Moos und die Rassokirche bilden eine Einheit. Vor zwei Jahren zeigte sich der Strom, der sich förmlich um Kloster und Kirche herumwindet, von seiner ungezügelten Seite. Er trat über die Ufer und griff fast nach dem Garten der Patres. Die aber ließen sich dadurch nicht ängstigen. Denn ein solches Schauspiel gehört zur Natur. Und die ist das Werk Gottes.

Im Refektorium, dem kleinen Speisesaal im Obergeschoss des Klosters, erzählt der 42 Jahre alte Pater Mazur, Prior des Klosters und Pfarrer von Grafrath, über das Leben in diesem Mikrokosmos. Der gebürtige Pole trägt Jeans und eine randlose Brille, bietet dem Besucher einen Kaffee an und hat sich Zeit genommen. Er spricht fließend Deutsch und passt so gar nicht in das Bild von abgeschieden, in ihrer mystischen Welt lebenden Männern, das Filme wie "Der Name der Rose" von Mönchen zeichnen. 1991 entschied er sich für ein Leben im Kloster und dafür, "mehr Zeit mit dem lieben Gott zu verbringen". 1999 empfing er in Breslau die Priesterweihe.

Quelle: SZ-Grafik (Foto: N/A)

Auf einer Holzanrichte steht ein altes Röhrenradio der Marke Boheme, gegenüber stehen ein Kreuz und Marienstatuen, Decke und Wände sind mit spirituellen Bildern verziert. Ein Telefon deutet darauf hin, dass die Bewohner sehr wohl einen Draht zur Welt haben. Sie kommunizieren zudem wie selbstverständlich per Handy oder E-Mail, recherchieren im Internet, fahren mit dem Auto. Sie halten Schritt mit der Moderne, versuchen dabei aber, ihre Werte zu bewahren. Die vier Patres, die Funktionen eines Pfarradministrators, eines Wallfahrtskuraten und zweier Kapläne innehaben, stammen aus der polnisch-schlesischen Sankt-Hedwigs-Provinz. Vor fast 30 Jahren bewahrte ihr Provinzial, also der Ordensobere, das Grafrather Kloster mit der erstmaligen Entsendung von Mitbrüdern vor der Schließung. Es wäre das Ende einer langen Tradition gewesen, hatte König Ludwig I. von Bayern doch bereits 1836 den Franziskanern die Nutzungsrechte für das Kloster und die Wallfahrts- und Pfarrkirche in Grafrath verbrieft. Zunächst kamen drei junge Patres aus Südpolen, die das Kloster und die Seelsorge im Pfarrverband aufrechterhielten. Bereits 2006 sollten sich die Franziskaner aus Schlesien dann aber erneut um andere Klöster kümmern - jene in Marienweiher, Nürnberg und Gößweinstein. Die bayerischen Ordensbrüder beschlossen also, das Kloster in Grafrath endgültig aufzugeben und die Seelsorge an die Erzdiözese München und Freising sowie die Diözese Augsburg zu übergeben. Die nur noch 92 Mitglieder zählende Bayerische Franziskanerprovinz, das machte ihr Provinzial Pater Maximilian Wagner damals klar, konnte die Aufgabe angesichts von Überalterung und Nachwuchsproblemen aus eigener Kraft nicht mehr schultern. Für Grafrath eine ernüchternde Entwicklung, zumal Kloster und Kirche, die über eine die B 471 überspannende Fußgängerbrücke verbunden sind, erst einige Jahre zuvor aufwendig renoviert worden waren - so auch der vom Barockbildhauer Johann Baptist Straub geschaffene Rokokoaltar, über dessen Tabernakel sich ein Glasreliquienschrein mit den Gebeinen des heiligen Rasso erhebt. Der Graf von Dießen-Andechs, der ums Jahr 850 gelebt haben soll, hatte hier nach einer Wallfahrt ins Heilige Land ein Benediktinerkloster gegründet, dem er selbst als Laienbruder beitrat.

Vor elf Jahren wurde die Schließung dann in der Tat erneut abgewendet. In der Pfarrgemeinde waren Unterschriften gesammelt und an Friedrich Kardinal Wetter geschickt worden, Landrat Thomas Karmasin und der Landtagsabgeordnete Thomas Goppel hatten sich ebenfalls für den Fortbetrieb des Klosters eingesetzt. Die Patres Flavian Michali, David Zmuda und Pius Thomzek wechselten an andere Orte, ihre vakanten Stellen wurden aber wieder von Ordensbrüdern besetzt. So kam auch Pater Mazur vor fast vier Jahren nach Grafrath. Versetzungen seien etwas ganz Normales im Leben eines Franziskanermönchs, sagt Mazur. Und so wird auch er wieder gehen, wenn es von ihm verlangt wird - mag er sich im Süden des Landkreises Fürstenfeldbruck und in seiner kleinen Glaubensgemeinschaft auch noch so wohl fühlen.

Der Alltag der vier Mönche ist meist klar strukturiert. Das Gebet, in das die Mitmenschen eingeschlossen werden, steht im Mittelpunkt. Um 7 Uhr beginnt der Tag mit der Laudes, dem Morgengebet, in der kleinen Kapelle des Klosters, die nur ein paar Meter entfernt liegt vom Refektorium. Nach dem Mittagessen folgt ein weiteres Gebet, abends das nächste oder auch der Gottesdienst. Am Samstag zelebrieren die Patres zwei, am Sonntag sieben Gottesdienste. Vor allem Pater Mazur muss sich zudem um die Verwaltungsarbeit in vier Pfarrbüros kümmern. Jahr für Jahr kommen mit schöner Regelmäßigkeit mehr als zehn größere Wallfahrtsgruppen nach Grafrath sowie zahlreiche Einzelreisende. Gelegenheit für viele Gespräche in dem "lebendigen Kloster". "Die Leute wollen nicht immer beichten, sondern sich auch mal einfach unterhalten", sagt Mazur. Und er selbst? Was will er, wenn er frei hat und weder das Gespräch suchen noch meditieren will? Dann liest er, fährt in die Berge oder erkundet mit Rennrad und Mountainbike die Gegend rund um das Ampermoos. Manchmal radelt er auch rüber zur 14 Kilometer südwestlich liegenden Erzabtei Sankt Ottilien, wo mehr als hundert Benediktinermönche leben. Um über die Amper zu kommen, die die beiden Klöster voneinander trennt, muss er zunächst aber ein Stück nordwärts fahren. Denn zwischen Grafrath und den Straßenübergängen am Nordufer des Ammersees gibt es keine weitere Brücke. Das hat sich in all den Jahren nicht geändert. Die Amper war immer schon nicht nur ein Quell der Inspiration und der Melancholie, sondern auch eine oft schwer zu überwindende Grenzlinie.

© SZ vom 28.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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