Freisinger Köpfe: Florian Notter:Unterwegs in verschiedenen Jahrhunderten

Freisinger Köpfe: Florian Notter: Ein Archivar muss archivieren: Florian Notter bewahrt alte Dokumente und Aufzeichnungen aus der Geschichte der Stadt auf. Er muss aber auch entscheiden, was die Menschen in der Zukunft einmal über die Freisinger Gegenwart erfahren sollen.

Ein Archivar muss archivieren: Florian Notter bewahrt alte Dokumente und Aufzeichnungen aus der Geschichte der Stadt auf. Er muss aber auch entscheiden, was die Menschen in der Zukunft einmal über die Freisinger Gegenwart erfahren sollen.

Der Historiker ist seit drei Jahren Leiter des Freisinger Stadtarchivs. Er ist damit nicht nur der Hüter der Stadtgeschichte, sondern muss auch entscheiden, was die Menschen in 200 Jahren über das heutige Freising erfahren sollen.

Von Eva Zimmerhof, Freising

In den dunklen Keller geht Freisings Stadtarchivar Florian Notter (33), um zu forschen. Dort, im Haus der Vereine, liegen die Archivalien der Stadt - gut geschützt vor Licht und Diebstählen. Zugleich entscheidet Notter als Bewahrer dieser Zeit, was die Menschen in 200 Jahren über das heutige Freising überhaupt erfahren sollen.

SZ: Ihre Position als Stadtrat mussten Sie für Ihre Stelle aufgegeben. Vermissen Sie die Politik?

Notter: Nein, das ist mir relativ leicht gefallen. Es war damals schon eine sehr belastende Zeit: Trennung von der CSU, Gründung der Freisinger Mitte, OB-Wahlkampf. Wenn einer kein ganz harter Hund ist, geht einem das doch sehr nahe. Die Legislaturperiode hätte ich aber gerne noch zu Ende gebracht.

Inwiefern prägt der Archivleiter die Arbeit des Stadtarchivs?

Er ist wie jeder Amtsleiter derjenige, der die Grundlinien bestimmt und Entscheidungen trifft. Die wichtigste Frage ist: Welche Dokumente übernehme ich überhaupt in das Archiv. Klar, ganz objektiv kann kein Mensch an eine Sache herangehen. Darum muss man sich dezidiert die Frage stellen: Was ist für die Zukunft wichtig? Was sollen wir den Menschen in 100 oder 200 Jahren von unserer Zeit hinterlassen?

Was macht das heutige Freising aus?

Kennzeichnend ist die seit gut zwei Jahrzehnten anhaltende wirtschaftliche und gesellschaftliche Dynamik. Freising ist eine Stadt, die seit den frühen 1990er Jahren enorme Leistungen erbringen muss. Wir sind mit einem gewaltigen, fast abartigen Siedlungsdruck konfrontiert. Infrastruktur, Kitas, Kulturangebote, Umgehungsstraßen, soziale Leistungen - alles muss angepasst oder erweitert werden. Wenn ich nun aus meiner Perspektive heraus frage, was Freising in den Jahrzehnten um 2000 wesentlich ausmacht, um beantworten zu können, was aus dieser Zeit einmal übrig bleiben soll, dann ist die beschriebene Dynamik mit all ihren Folgen ein ganz zentraler Punkt.

Und wie überliefern Sie diese Zeit?

Vor allem über die Unterlagen, die in den einzelnen Referaten, Ämtern, Stiftungen und Eigenbetrieben der Stadt Freising entstehen. Wenn nach einem bestimmten Zeitraum die Aufbewahrungsfristen von Akten auslaufen, entscheiden wir, was davon ins Stadtarchiv übernommen wird. Freilich sind das immer nur wesentliche Dinge, etwa zwei oder drei Prozent des Gesamtbestandes. Die spannende Frage ist: Was ist wesentlich? Das ist gar nicht einfach und muss wohl überlegt werden.

Dann bewegen Sie sich also gar nicht so sehr vor allem in der Vergangenheit, sondern mehr sogar in der Gegenwart?

Ja, zumindest zum Teil, von den archivischen Aufgaben her in der jüngeren Vergangenheit. Natürlich gehören zu meinem Aufgabengebiet auch die Geschichtsforschung, die Geschichtspflege und die historische Bildungsarbeit. So gesehen bin ich dann schon immer in verschiedenen Jahrhunderten unterwegs.

Gibt es in Freising Themen, die Sie vorsichtig anfassen müssen?

Ja, natürlich, zum Beispiel die NS-Zeit. Mein Vorgänger war da noch zurückhaltender, aber ich habe vergangenes Jahr entschieden, dass wir uns, was die öffentliche Benutzung von Archivgut der NS-Zeit betrifft, an übergeordneten Vorgaben orientieren. Das heißt, sobald Schutzfristen insbesondere auch bei personenbezogenen Akten ausgelaufen sind, können Personen, die ein nachweisbares Interesse daran haben, sie einsehen - zum Beispiel Historiker. Das wird einigen Nachkommen möglicherweise nicht gefallen, aber so ist die rechtliche Situation und allgemein üblich. 30 Jahre nach Aktenschließung und zusätzlich zehn Jahre nach dem Tod der betreffenden Person laufen die Schutzfristen aus.

In der Geschichte wiederholt sich vieles. Was hat sich in Freising wiederholt?

Bezogen auf die Stadtgeschichte fällt mir da auf Anhieb kein aussagekräftiges Beispiel ein. Was in Freising eine gewisse Kontinuität hat, ist der Umgang mit der Rolle als Stadt im Großraum München. Freising schwankt immer ein bisschen hin und her, zwischen sehr ausgeprägtem Lokalpatriotismus und Stolz einerseits - und dem großen Wehklagen andererseits. Die Stadt hat ihre Rolle im Großraum noch immer nicht gefunden. Nicht emotional, nicht gesellschaftlich, nicht wirtschaftlich. Ich finde, dass es schöne Vorbilder gibt: Freising sollte sich neben München als das sehen und etablieren, was etwa Meißen neben Dresden und was Potsdam neben Berlin ist. Die Potenziale wären vorhanden. Wir nutzen sie nur nicht.

Was halten Sie von den Neugestaltungsplänen für den Domberg?

Ich glaube, dass die Umgestaltung eine Chance für die Stadt Freising ist. Wir sollten der Erzdiözese sehr dankbar sein, dass in den Domberg investiert wird. Klar gibt es einige Entscheidungen, die man erst mal verdauen muss. Etwa, dass die Dombibliothek nicht mehr in ihrer jetzigen Form weiter bestehen wird. Jedoch sollte man bei aller Begeisterung für Neuerungen trotzdem die Verhältnismäßigkeit wahren. Wenn der Lichthof des Diözesanmuseums ein millionenschweres Glasdach erhalten soll, wo die ursprüngliche, baugeschichtlich hochinteressante und denkmalgeschützte Holz-Glas-Dachkonstruktion von 1870 noch da ist, und auf der anderen Seite Marmorbrocken von den Grabdenkmälern im Domkreuzgang wegbrechen, dann ist für mich zum Beispiel die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben.

Wie können Sie Ihre Meinung einbringen?

In Freising gibt es ein großes Geschichtsbewusstsein. Das ist natürlich auch innerhalb der Stadtverwaltung so und wird zudem sehr gefördert. Was konkret die Historiker bei der Stadt betrifft, so sind meine Chefin, Ulrike Götz, und ich selbst bei allen wichtigen städtischen Konzeptionen eingebunden. Zum Beispiel die Neugestaltung des Asam-Gebäudes, die Neugestaltung der Hauptstraße mit Moosach-Öffnung, die Stadtentwicklungsplanung (STEP) und so weiter.

Wie wichtig ist die Geschichte für Freising?

Freising braucht seine Geschichte und seine Kultur wie ein Mensch die Luft zum Atmen braucht. Bildung, Kultur und Geschichte - das ist das Profil der Stadt und das ist auch der emotionale Kitt, der es etwa den vielen Neubürgerinnen und Neubürgern leichter macht, hier Halt und Identität zu finden.

Was fehlt Ihnen noch für Ihr Archiv?

Ungefähr drei Viertel des Bestandes macht das städtische Archivgut aus. Beim nichtstädtischen, den Nachlässen, Familien- und Vereinsarchiven, sind wir noch schwach. Da müssen wir stärker werden. Darum hat sich auch der Verein "Freunde des Stadtarchivs" gegründet, für den Alt-OB Dieter Thalhammer, OB Tobias Eschenbacher und Kulturreferent Hubert Hierl eine engagierte Netzwerkbildung betreiben. Und für die Sammlungen nehmen wir gerne Zeugnisse wie Fotos, Postkarten und Plakate an. Es ist besser, wenn wir die Sachen sichten, als wenn sie einfach weggeschmissen werden. Was glauben Sie, was wir schon Wertvolles in vermeintlichem Schrott gefunden haben? Gemessen natürlich am ideellen und nicht am finanziellen Wert. Was uns sehr gefreut hat, war etwa erst kürzlich die Schenkung eines Telegrammes aus dem Jahr 1945. Ein älterer Herr hatte uns einen Stapel mit Papieren übergeben und dazwischen war ein Dokument, das die Anordnung zur Sprengung der Freisinger Isarbrücke am 29. April 1945 schriftlich bezeugt.

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