Süddeutsche Zeitung

SZ-Balkonien:Die Tomaten dürfen bleiben

Auch Nutzpflanzen sind beim Balkon-Projekt willkommen.

Kolumne von Alexandra Vettori, Freising

Der Haussegen hängt wieder schief auf Balkonien. Nicht nur, weil immer noch nichts blüht auf der Topf-Insektenwiese und sich nur die Brennnessel so richtig wohl fühlt. Es hat sich wieder dieser leidige Interessengegensatz aufgetan, der sich weltweit auch im Großen überall zeigt. Das scheint tatsächlich systemimmanent zu sein, selbst bei Landnutzung im Blumentopf.

Die große Komitee-Vorsitzende hat bekanntlich Tomaten geschenkt bekommen, viele Tomaten. So viele, dass jetzt Töpfe und Erde fehlen, Gärtnerkraft und vor allem -zeit gebunden wird, weil allein das Gießen all der "Zuckertrauben", "Green Pearls" und "Black Zebras" länger dauert als mit dem Redaktionsalltag vereinbar. Und so entbrennt die Diskussion aufs Neue: Steht auf Balkonien das Wohl der Insekten im Vordergrund oder nicht? Gegen Ordnung und Geranien-Wahn ist schon gestimmt, doch Nutzpflanzen, das sei in Ordnung, so die Mehrheitsmeinung. Da hilft es auch nicht, den Unterschied zwischen Sorten- und Artenvielfalt noch mal herauszustellen. Eine junge Kollegin gibt die pragmatische Linie vor: Der Mensch gehöre zur Artenvielfalt, und gegen ein Mittagspausen-Tomätchen vom Balkon sei nichts zu sagen, zumal - sie verweist auf den ökologischen Fußabdruck von Zebra, Perle und Co - da ja alles im grünen Bereich sei.

Um 1900 kam die Tomate nach Deutschland

Bleibt die Recherche zum ökologischen Nutzen der Tomate, die aus Süd- und Mittelamerika stammt und von dortigen Kulturen, den Maya zum Beispiel, seit Jahrtausenden geschätzt wird. Nach Europa kam sie, klar, mit Kolumbus Mitte des 15. Jahrhunderts. Allerdings nutzte man sie lange als Zierpflanze, weil man sich nicht sicher war, ob der "pomi del Peru" (peruanischer Apfel), beziehungsweise der "pomme d'Amour" (Liebesapfel) überhaupt bekömmlich seien. Nach Deutschland kam das Fruchtgemüse, das lange keinen richtigen Namen hatte, um 1900, nachdem es auf der Wiener Weltausstellung 1873 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde.

Für unsere Freunde, die Insekten, bieten Tomatenblüten immerhin Pollen und Nektar. Am liebsten kommen Hummeln, weil die mit ihren starken Flugmuskeln die sehr fest in den Pollensäcken sitzenden Pollen gut heraus schütteln können. Sind aus den Blüten Früchte geworden, treten oft Blattläuse auf. Die tun zwar der Pflanze nicht so gut, der Honigtau, den Blattläuse absondern, lockt aber Ameisen. Und damit fördert der Liebesapfel also die Artenvielfalt und darf auf Balkonien bleiben.

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