Süddeutsche Zeitung

Wohnsitzauflage:Vielleicht bald obdachlos - junge Syrerin darf nicht umziehen

Eine Syrerin verliert ihre Wohnung in Freising, bei Fürstenfeldbruck hat sie eine neue gefunden. Dennoch darf sie nicht umziehen und ist gefangen im Labyrinth der Bürokratie.

Von Laura Dahmer, Freising

Sie hat eine Wohnung gesucht, eine Wohnung gefunden und sitzt wohl trotzdem bald mit Schulden auf der Straße. Und das nur, weil die neue Bleibe im falschen Landkreis liegt. Es ist eine Geschichte, bei der am Ende wohl alle Recht haben und die sich trotzdem nur schwer begreifen lässt.

Alia (Name geändert) ist seit zweieinhalb Jahren als Geflüchtete in Freising anerkannt. Sie hat sich seitdem gut integriert, spielt Theater beim Münchner Verein "Zuflucht Kultur", betreut ehrenamtlich Kinder im "Alte Heimat Kreis München" und macht seit September 2018 eine Ausbildung zur Kinderpflegerin in der Landeshauptstadt. Doch jetzt muss die Syrerin bis Mai umziehen, weil ihr in Freising die Wohnung gekündigt wurde. Nach langem Suchen hat sie eine neue Bleibe gefunden, in Emmering im Landkreis Fürstenfeldbruck. Aber: Alia hat eine dreijährige Wohnsitzauflage, die sie noch für vier weitere Monate gesetzlich an Freising bindet. Ihren Antrag, diese Auflage aufzuheben, hat die Ausländerbehörde in Fürstenfeldbruck abgelehnt. Obwohl sie seit dem 1. Januar bereits eine bezugsfertige Wohnung hat, sitzt Alia also wohl bald auf der Straße.

Ihre Einzimmerwohnung in Freising, in der sie gemeinsam mit ihrem herzkranken Vater lebt, wurde Alia im Januar gekündigt. "Das war auch nur eine Übergangslösung", erzählt die 25-Jährige. Schon beim Einzug machten die Vermieter darauf aufmerksam, dass Vater und Tochter nur vorübergehend beide dort wohnen können, da das Zimmer nicht für zwei Bewohner geeignet ist. Deshalb suchte Alia schon länger eine neue Bleibe. "Ich habe mich in Freising und München umgesehen, aber es ist sehr schwer", sagt sie betrübt. In Emmering wurde die Syrerin dann endlich fündig und unterschrieb sofort den Mietvertrag. Erst danach stellte sie den Antrag zur Aufhebung der Wohnsitzauflage bei der Ausländerbehörde in Freising, die diesen in Rücksprache mit Fürstenfeldbruck ablehnte. Weil Fürstenfeldbruck sich dagegen aussprach, wie Luitgard Reigl, Leiterin der dortigen Ausländerbehörde, bestätigt. Ihre Begründung: "Die Betroffene macht eine unbezahlte Vollzeitschulausbildung und muss aus öffentlichen Mitteln finanziert werden." Da sich die Schule in München befindet, sehe man keine Notwendigkeit für den Umzug nach Fürstenfeldbruck. "Das war keine Prinzipienreiterei, wir haben geltendes Recht angewendet", rechtfertigt Reigl die Entscheidung.

Die 25-jährige Alia und Gudrun Gehrt, die sie durch Zufall kennengelernt hat und die sich nun für die Syrerin einsetzt, sehen das anders und können die Entscheidung der Ausländerbehörde nicht nachvollziehen. Sie pochen auf den ersten Abschnitt des Paragrafen 12a des Aufenthaltsgesetzes, in dem es wörtlich heißt: Die Wohnsitzauflage "findet keine Anwendung, wenn der Ausländer (. . .) in einem Studien- oder Ausbildungsverhältnis steht". Die Ausländerbehörde in Freising erklärt auf Nachfrage, dieser Abschnitt "gilt grundsätzlich nur für den Zeitpunkt der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltserlaubnis". Ändern sich die Umstände, wie in Alias Fall, erst später, so gelten Voraussetzungen, die im fünften Abschnitt desselben Paragrafen die nachträgliche Aufhebung der Wohnsitzauflage regeln - zum Beispiel, wenn an dem anderen Ort "ein Ausbildungs- oder Studienplatz zur Verfügung steht". Auf Grundlage dieser Bestimmungen hat die Ausländerbehörde Fürstenfeldbruck Alias Antrag abgelehnt. Um eine Wohnsitzauflage zu umgehen, hätte die Syrerin den Ausbildungsplatz also bereits bei der Anerkennung haben müssen.

"Wir haben im Bekanntenkreis Geld gesammelt und so die ersten zwei Monatsmieten stemmen können"

Jetzt aber bedeutet das für die junge Frau, dass sie nicht nur ihre bisherige Wohnung in Freising verliert, sondern auch die bereits gemietete in Emmering. Und am Ende nicht nur auf der Straße sitzen könnte, sondern auch auf einem Berg Schulden. "Wir haben im Bekanntenkreis Geld gesammelt und so die ersten zwei Monatsmieten stemmen können", erzählt Gudrun Gehrt. Jetzt aber werde es eng, bis zum 15. März konnten Alia und sie noch eine Mietaufschiebung aushandeln, dann ist die Wohnung weg. Vor ein paar Tagen kam es noch dicker: "Die Vermieterin in Emmering will jetzt auf die dreimonatige Kündigungsfrist bestehen", sagt Gehrt. Noch drei weitere Monatsmieten muss Alia nun also auftreiben, in der Wohnung leben darf sie in der Zeit trotzdem nicht.

Das ist jetzt offenkundig endgültig: Gudrun Gehrt wandte sich an die Integrationsbeauftragte Bayerns, Gudrun Brendel-Fischer. "Sie wollte sich des Falles annehmen und an die Ausländerbehörde in Fürstenfeldbruck herantreten", so Gehrt. Die Rückmeldung fand sie kürzlich in ihrem E-Mail-Postfach: In Fürstenfeldbruck halte man an der Entscheidung fest. Gehrt will es jetzt, mit wenig Hoffnung, auf Bundesebene versuchen.

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SZ vom 09.03.2019/psc/smb
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