Sucht:"Ich kann überall mitreden, weil ich schon jede Droge genommen hab"

Sucht: Die Küche in der KoB: Nicht nur bei den Sozialarbeiterinnen Sarah Sohst und Ninja Flux (rechts) kommen die Kochkünste von Thomas Bayerhammer gut an.

Die Küche in der KoB: Nicht nur bei den Sozialarbeiterinnen Sarah Sohst und Ninja Flux (rechts) kommen die Kochkünste von Thomas Bayerhammer gut an.

(Foto: Einfeldt)

Heroin, Kokain, Schnaps: Jahrelang war der 47-jährige Thomas Bayerhammer schwer abhängig. Dann begann er zu kämpfen.

Von Christian Gschwendtner, Freising

Um es gleich vorwegzunehmen, Thomas Bayerhammer (Name von der Redaktion geändert), 47, ist noch am Leben. Schon diese simple Tatsache gleicht einem Wunder, hat sich der Neufahrner doch über zwei Jahrzehnte hinweg so ziemlich jede Droge reingepfiffen, die er irgendwie in die Finger kriegen konnte.

"Polytoxikomanie" lautet die offizielle Bezeichnung für seine Form des Drogenkonsum. Mal war es Kokain, mal war es Heroin, mal waren es täglich zwei Flaschen Schnaps. Zuletzt waren es "Badesalze" - so heißen jene Chemiedrogen, die beim jungen Partyvolk gerade schwer angesagt sind.

Dem Neufahrner Bayerhammer war da längst nicht mehr nach Feiern zumute. Schluss machen wollte er endlich mit seiner Drogenkarriere, bevor für ihn selbst Schluss ist. Also meldete sich Bayerhammer freiwillig bei der "Kontakt- und Begegnungsstätte für suchtkranke Menschen" (KoB), einem Projekt des Freisinger Prop Vereins.

Drei Jahre sind seitdem vergangen. Bayerhammer ist noch immer Stammgast im KoB. Mit dem kleinen Unterschied, dass der gelernte Metzger seit zwei Jahren komplett clean ist. Er gilt heute als lebender Beweis für das Erfolgsmodell der Begegnungsstätte. "Das KoB hat mir den Arsch gerettet", sagt Bayerhammer. Der leitende Sozialpädagoge Felix Hartl, 51, gibt das Lob postwendend zurück. "Bayerhammer ist ein guter Grund, dass es so etwas wie die KoB in Freising gibt", sagt Hartl.

Rund 80 Menschen aus Freising und Umgebung dürften ganz ähnlich denken. So groß war die Zahl der KoB-Stammbesucher im vergangenen Jahr. Laut dem Jahresbericht 2015 kamen täglich 26 Menschen mit Suchtproblemen in die Heiliggeistgasse 1. Die meisten von ihnen sind alkoholkrank, etwa ein Drittel kämpft mit einer Spiel-, Medikamenten- oder Kaufsucht. Drogenpatienten stellen nur einen verschwindend geringen Teil der Suchtkranken. So gesehen ist Thomas Bayerhammer eine Ausnahme.

Wie das Leben in der Einrichtung abläuft

Was ihn mit den anderen Besuchern verbindet, ist die Suche nach einem Weg zurück in die Normalität des Alltags. Genau dabei will die KoB behilflich sein. Die Suchtkranken sollen einen "Ort zum Verweilen" haben. In Freising können sie auf 160 Quadratmetern Kontakte knüpfen und an gemeinsamen Unternehmungen teilnehmen.

Das Angebot reicht von Kinoabenden, Reittherapie und Ausflügen an den Chiemsee bis zum gemeinsamen Kartenspielen am Nachmittag. In der Sozialpädagogensprache nennt man so was ein "niedrigschwelliges Angebot". Thomas Bayerhammer sagt, er wisse gar nicht, was er ohne die KoB den ganzen Tag lang tun sollte.

Als er vor drei Jahren in die KoB kam, hat er dort einen Ein-Euro-Job bekommen. Beim Treppenfegen ist er regelmäßig gestrauchelt, Koordinierungsprobleme, Bayerhammer war ja noch drauf. Mit der Zeit hat er seinen Drogenkonsum zurückgeschraubt, nach einem Jahr endgültig aufgehört. Aus dem auf drei Monate angelegten Ein-Euro-Job wurden zwei Jahre. Und Thomas Bayerhammer wurde der Chefkoch der KoB. Wenn er Schweinebraten macht, stehen sie jetzt Schlange in der Heiliggeistgasse.

Im Grunde ist die Lebensgeschichte des Thomas Bayerhammer auch viel zu komplex, als dass man sie einfach so in 120 Zeilen heruntererzählen könnte. Nur so viel: Mit zwölf Jahren die falschen Leute kennengelernt, zehn Jahre "geballert wie ein Blöder", dann Entzug, 17 drogenfreie Jahre, Arbeit als Lagerist, die Heike geheiratet, zusammen ein Haus gebaut, dann die falsche Frau kennengelernt, Scheidung, Haus wieder verkauft, Selbstmordversuch, künstliches Koma, Komplettabsturz.

Wie es Bayerhammer heute geht

Die Narben aus seinem früheren Leben trägt Thomas Bayerhammer jeden Tag mit sich herum. Wegen einer drogenindizierten Psychose hat er einmal eine Waschbecken-Batterie aus der Verankerung gerissen, damit die Fensterscheibe eingeworfen und ist selbst hinterher gesprungen.

Wirklich von Belang ist das längst nicht mehr. Was zählt ist, dass Thomas Bayerhammer sich zurückgekämpft hat ins Leben. Er ist heute Vorbild für andere in der KoB. "Ich kann überall mitreden, weil ich schon jede Droge genommen hab", sagt er. Wenn er die Chance hätte, dann würde er sich noch zum Sozialpädagogen ausbilden lassen. Inoffiziell hat er den Titel qua Lebenserfahrung auch so.

Rührend wird es, wenn Thomas Bayerhammer für sich und seine Kollegen Lebensmittel bei der Tafel holt. Sein neuer Küchenassistent, auch ein Metzger, mag nur Wurst. "Ich krieg den Markus nicht dazu, dass er auch ein bissl Obst isst", sagt Bayerhammer. Bei ihm ist es genau andersherum. Also tauschen die beiden Lebensmittel. Nicht nur die zwei Damen von der Freisinger Tafel finden das urkomisch.

Wenn Bayerhammer überhaupt noch was stört, dann sind es die vorwurfsvollen Blicke, die manch ein KoB-Besucher in Freising auf der Straße spürt. "Du wirst sofort in eine Schublade gesteckt", sagt Bayerhammer, obwohl er jeden Tag um 6 Uhr aufsteht und von Neufahrn mit der S-Bahn zur Arbeit in die KoB fährt. Für 50 Euro Monatsgehalt. Thomas Bayerhammer ist ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft.

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