Streetwork:Jugendliche fallen durchs soziale Netz

Basketball Platz Isarstrasse

Die Freisinger Jugendlichen haben kaum Plätze, wo sie sich treffen können, ohne mit Anwohnern in Streit zu geraten, sagen die Streetworker.

(Foto: Veronica Laber)

Keine Schule, keine Ausbildung, kein Job. Jugendliche ohne Bindung zu Gesellschaft und Familie werden in Freising zum Thema. Ihr Interesse gilt oft der körperlichen Fitness - eine Chance, die die Stadt vielleicht ergreift.

Von Kerstin Vogel, Freising

Auf der freien Fläche westlich des Lerchenfelder Jugendzentrums Tollhaus soll in möglichst naher Zukunft ein "Spielplatz für junge Erwachsene" entstehen - mit Fitnessgeräten und anderen Sportmöglichkeiten, Raum für Begegnung, überdachten Plätzen und vielleicht ein- oder zwei Feuerstellen. Was bislang nur eine Wunschvorstellung der Freisinger Stadtjugendpflege war, ist am Dienstag im Kulturausschuss als Prüfauftrag an die Stadtverwaltung formuliert worden.

Hintergrund für diese fraktionsübergreifende Initiative war der teilweise alarmierende Bericht der Freisinger Streetworker über ihre Arbeit im vergangenen Jahr. Kurz und knapp, dafür aber durchaus eindringlich hatten David Luigart und Rainer Heinsdorff die Mitglieder des Ausschusses unter anderem auf das Phänomen der "disconnected youth" aufmerksam gemacht.

Die Jugendlichen verschwinden für den Staat von der Bildfläche

Beschrieben werden mit diesem Begriff gewissermaßen "entkoppelte" junge Menschen im Alter zwischen 15 und 27, "die aus allen institutionellen Kontexten herausfallen", wie Luigart sagte. Die Betroffenen tauchten quasi nirgends auf, nicht in der Schule oder in einer Ausbildung, nicht im Berufsleben - aber eben auch nicht beim Jobcenter oder als Empfänger kontinuierlicher Leistungen des Staates. Meist stammten diese Jugendlichen zudem aus problematischen Familien, in denen sie auch nicht mehr leben könnten, oft hätten sie Gewalterfahrung, teilweise auch Suchtprobleme oder Schulden, schilderte der Streetworker weiter: "Das ist ein großes Thema, das in Zukunft eher noch größer werden wird."

Streetwork: Neben dem Basketballplatz beim Tollhaus könnte ein "Spielplatz für junge Erwachsene" entstehen.

Neben dem Basketballplatz beim Tollhaus könnte ein "Spielplatz für junge Erwachsene" entstehen.

(Foto: Marco Einfeldt)

Zunehmend schwierig werde es für die Betroffenen, wenn sie volljährig würden, den Anforderungen der damit verbundenen Selbstständigkeit aber nicht gewachsen seien, so Luigart. Helfen könne man in diesen Fällen oft aber nur bedingt, weil die jungen Menschen zum Teil auch bereits schlechte Erfahrungen mit allen Formen von Institutionen gemacht hätten. Da brauche man auch als Streetworker einen "sehr langen Atem", ergänzte Heinsdorff.

Ohne eine gewisse Geduld wäre deren Arbeit allerdings ohnehin kaum denkbar, wie der Bericht der beiden jungen Männer zeigte. Gemeinsam hatten sie Ende 2014 die Nachfolge der langjährigen Freisinger Streetworkerin Kerstin Barth angetreten und die ersten Wochen und Monate vor allem mit der "aufsuchenden Arbeit" verbracht: Sie sind dort hin gegangen, wo sich die Jugendlichen aufhalten, haben sich vorgestellt und zu etwa 50 Freisinger Jugendlichen Kontakte geknüpft, wie Luigart schilderte. Daraus hätten sich zahlreiche Einzelfallhilfen ergeben, etwa wenn es um fehlende Schlafplätze oder ganz einfach die finanzielle Grundsicherung ging.

Man helfe bei Behördengängen und kläre über Suchtmittel auf, so der Streetworker weiter. Man sei mit einem Infostand bei den Freisinger Berufetagen, auf dem Uferlos-Festival und bei allen größeren Festen vertreten gewesen, "um zu zeigen, wir sind hier". Außerdem habe man das Projekt "Cook Your Style" angeboten, bei dem man sich mit den Jugendlichen getroffen habe, um gemeinsam zu kochen und so unter anderem die Selbstständigkeit der jungen Leute zu fördern.

Ein direktes Problem mit Rechtsextremismus haben die Freisinger Streetworker bis jetzt nicht feststellen können, wie Luigart auf eine Frage von CSU-Stadtrat Hubert Hierl sagte. Vernachlässigen dürfe man das Thema jedoch nicht. "Wir sind noch nicht auf besonders rechtsextreme Positionen gestoßen", so der Sozialarbeiter: "Aber der Diskurs bewegt sich schon so, dass Aufklärungsbedarf besteht - gerade zum Thema Flüchtlinge."

Körperliche Fitness ist bei den Jugendlichen angesagt

Festgestellt haben Luigart und Heinsdorff bei ihrer Arbeit auch, dass ihre Klientel ausgesprochen mobil ist. Die Freisinger Jugend habe kaum Plätze im öffentlichen Raum, wo sie sich treffen könne, ohne in Konflikte mit den Anwohnern zu geraten, kritisierten die beiden Streetworker. Dabei hätten gerade junge Menschen aus eher prekären Verhältnissen das Bedürfnis, Präsenz zu zeigen und auch mal jugendlich sein zu dürfen. Hinzu komme ein teilweise ausgeprägtes Interesse an körperlicher Fitness, so Luigart: "Das ist der Trend."

Inwieweit die Stadt hier nun helfen kann, indem sie den angeregten "Spielplatz für junge Erwachsene" tatsächlich baut, muss nun die Verwaltung prüfen und ein Konzept dafür erstellen. Rainer Heinsdorff allerdings wird eine mögliche Umsetzung der Idee nicht mehr als Streetworker feiern. Er hat den Job aus persönlichen Gründen aufgegeben, wie er im Kulturausschuss sagte - auch wenn die Arbeit in Freising interessant und vielfältig gewesen sei. Eine lange Vakanz wird es nicht geben: die Stelle wird zum 15. Februar wieder besetzt, wie es am Dienstag hieß.

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