Die Anstecker mit dem alten Logo an der Jacke, die Haare etwas grauer, man nickt wissend, wenn es um Passagier-Prognosen, Sitzladefaktoren und Sperrgrundstücke geht, man kennt sich und man kennt das Gefühl, sich wehren zu müssen, gegen den großen Nachbarn im Moos, den Münchner Flughafen mit seinem immerwährenden Expansionsdrang. Der Saal vom Grünen Hof ist so voll wie schon lange nicht mehr. Denn ja, es geht mal wieder um die dritte Startbahn – und um die neueste Volte, mit der die Flughafengesellschaft deren Bau doch noch durchsetzen will. Die Empörung ist groß – es sieht aus, als hätte das Aktionsbündnis „Aufgemuckt“ nichts an Mobilisierungskraft verloren.
Noch nicht von Anfang an dabei, dafür aber als Jurist und ehemaliger Richter am Bundesverwaltungsgericht umso hilfreicher ist der Freisinger Landrat Helmut Petz. Er dröselt noch einmal auf, was es mit dem aktuellen Aufreger, dem „Ewigkeitsbeschluss“, auf sich hat. Der ist Ende September beim Luftamt Süd ergangen und gesteht – kurz gesagt – der Flughafengesellschaft FMG ein immerwährendes Baurecht für eine dritte Startbahn zu.
Petz braucht knapp 20 Minuten, um zu erklären, warum Landkreis und Stadt Freising, die Gemeinde Berglern und fünf Privatkläger dagegen Klage eingereicht haben und warum er trotz „sehr schwieriger juristischer Fragen“ eine realistische Chance sieht, „zu gewinnen und die dritte Startbahn endlich mit Anstand zu beerdigen“.
2016 hatten die Anwohner des Flughafens die gerichtliche Auseinandersetzung um eine weitere Startbahn zwar endgültig verloren. Die FMG konnte dennoch nicht mit dem Bau beginnen, weil der 2012 gefasste Münchner Bürgerentscheid gegen die Flughafenerweiterung Sperrwirkung hatte – und bis heute hat. Außerdem gebe es bekanntlich ein Moratorium der Staatsregierung, erinnerte Petz, das einen Baubeginn bis 2028 ebenfalls verbiete. Weil Planfeststellungsbeschlüsse für Flughäfen nach zehn Jahren verjähren, wenn mit dem Bau nicht begonnen wird, würde das Baurecht für die Startbahn eigentlich am 4. März 2026 erlöschen. Zwar könnte diese Frist theoretisch um fünf Jahre verlängert werden, sagte Petz. Die aktuellen Zahlen bei den Starts und Landungen gäben das jedoch kaum her.
Die FMG aber will die Startbahn bauen, daran lässt sie keine Zweifel. In ihrem vom Luftamt bewilligten Antrag heißt es, dass die Realisierung „in der Mittel- und Langfristplanung mit einer Inbetriebnahme für das Jahr 2035 vorgesehen“ sei, wie „Aufgemuckt“-Sprecher Christian Magerl zitierte. Begründet werden Antrag und Bewilligung mit dem Argument, dass das Unternehmen bereits mit Maßnahmen begonnen habe, die im Kontext der dritten Startbahn stünden. Als Beispiel wird der Bau des S-Bahn-Tunnels für den Erdinger Ringschluss genannt, außerdem etwa der Ausbau des Straßennetzes im Osten. Weit mehr als 400 Millionen Euro seien dafür bereits ausgegeben worden.
„So geht man nicht mit der Wahrheit um.“
Doch Investitionen hin oder her: „So geht man nicht mit der Wahrheit um“, empörte sich Petz. Tatsächlich können sich viele Politiker aus der Region sehr gut erinnern, dass die Flughafenbetreiber beim Start dieser Baumaßnahmen stets jeden Zusammenhang mit der Startbahn bestritten hatten. Magerl, lange Jahre auch Landtagsabgeordneter der Grünen, ist einer von ihnen. Aus seinem Fundus stammt unter anderem eine Karte aus dem Jahr 1989, auf welcher die Trasse für den Ringschluss eingezeichnet ist. Da war der Flughafen noch gar nicht in Betrieb.
Freisings Dritte Bürgermeisterin Eva Bönig kann sich ebenfalls erinnern. In hochkarätiger Besetzung sei die FMG im Stadtrat erschienen, um die Bauarbeiten für den Ringschluss zu erklären und jede Verbindung mit der Startbahn von sich zu weisen, sagte sie – und es gebe auch ein Protokoll des Nachbarschaftsbeirats aus dem Juli 2017, in dem derartiges nachzulesen sei.
Was es dagegen offenbar nicht gibt, ist eine Akte zu den jüngsten Vorgängen. Der Bund Naturschutz, der ebenfalls gegen den „Ewigkeitsbeschluss“ klagt, weiß das, weil sein Anwalt dazu Akteneinsicht beim Luftamt beantragt hatte – aber mangels Vorhandenseins nicht erhielt. Der am 30. August vom BN gestellte „Antrag nach Umweltinformationsgesetz“ sei an sich internationales Recht, sagte BN-Artenschutzexpertin Christine Margraf am Mittwoch, doch man habe weder eine Eingangsbestätigung noch eine Zwischennachricht erhalten, bis es den Bescheid gleich dazu gab. Das sei schlicht skandalös.
Margraf und Petz ärgert aber noch etwas anderes: Mittlerweile wisse man, dass die Prognosen, mit denen der Bedarf für eine dritte Startbahn früher gerechtfertigt worden sei, bei Weitem verfehlt worden seien, sagte der Landrat. „Eine Prognose zu verhauen, ist eine Sache. Aber die Erweiterung jetzt wider besseres Wissen durchdrücken zu wollen, ist ein Skandal.“ Der Flughafen versuche immer, sich als guter Nachbar darzustellen. Da sei es sehr befremdlich, wenn man stets „nach Strich und Faden ausgeschmiert wird“. Petz: „Mit solchen Nachbarn redet man normalerweise nicht mehr.“
„Es gibt kein Baurecht auf Vorrat“, stellte Anton Scherer, Bürgermeister von Berglern klar. Und es könne nicht angehen, dass sich die FMG jetzt über das Luftamt „Baurecht durch die Hintertür“ verschaffe. „Wie soll ich als kleiner Bürgermeister bei meinen Bürgern da noch um Vertrauen werben?“ Der Bedarf für eine weitere Startbahn sei jedenfalls nicht vorhanden, sagt Scherer: „Wir wehren uns weiter mit Händen und Füßen.“
Dass das Bündnis „Aufgemuckt“ die Menschen in der Region tatsächlich noch einmal mobilisiert, dazu rief auch der Neufahrner Bürgermeister Franz Heilmeier auf. Er ist Vorsitzender der Schutzgemeinschaft Freising-Nord, Erding und Dachau, der ältesten Solidargemeinschaft in der Flughafenregion, der 43 Kommunen und gut 400 Privatleute angehören – und mochte mit Blick auf die aktuelle Klage zwar die Hoffnung, nicht aber den Optimismus des Freisinger Landrats teilen. Wer lange im Flughafenwiderstand sei, wisse, „wie so eine mächtige Phalanx Rechte dehnen, biegen und mit Verfahrenstricks aushebeln kann.“ Es brauche „das klare Signal, dass da im Widerstand gar nichts eingeschlafen ist“, appellierte er. Die Schutzgemeinschaft werde die privaten Kläger, solange es notwendig ist, finanziell unterstützen.
Die FMG habe vor mehr als 40 Jahren, am 16. Oktober 1981, also lang bevor der Flughafen überhaupt fertig gebaut worden sei, auf den Bau einer dritten Startbahn verzichtet, erinnerte abschließend Magerl: „Wir fordern jetzt nichts weniger, als dass der Mehrheitseigentümer des Flughafens dafür sorgt, dass die FMG das erneut tut.“ Und für die Ewigkeit sei ohnehin nicht der Flughafen zuständig, „sondern jemand anders“.