Sommerreise übers Land, Teil 3:Feurige Geschichten

Das kleine Dorf Nörting hat eine bewegte Vergangenheit. Im Mittelpunkt stand dabei oft die Kirche, die mehrmals abgebrannt ist und bei der Erzdiözese heute unter falschem Namen geführt wird

Von Peter Becker, Nörting

Mesner Jakob Ackstaller nimmt den Schlüsselbund zur Hand und sperrt die Tür zur Kirche auf, die der Heiligen Margaretha geweiht ist. Kühle Luft strömt heraus. Das tut gut bei der Hitze, die über Nörting, einem Ortsteil von Kirchdorf im Ampertal, lastet. Mit dem Kirchlein hat es eine besondere Bewandtnis, doch davon später. Mesner Ackstalller erzählt beim Aussperren beiläufig, dass neulich an einem Nachmittag ein Rosenkranz hätte stattfinden sollen. Nur eine Frau und drei Männer hätten sich eingefunden. Ein Indiz vielleicht dafür, dass die althergebrachten christlichen Traditionen in Nörting ebenso auf dem Rückzug sind wie die landwirtschaftlichen Betriebe. Es gibt nur noch deren zwei in dem einst bäuerlich geprägten Dorf. Das sagt Johann Westermeier, einstiger Zweiter Bürgermeister von Kirchdorf und Bauunternehmer, der sein ganzes Leben in Nörting verbracht hat.

Die Kirche liegt mitten im Dorf, dort ungefähr, wo die Staatsstraße 2054 ihren Namen wechselt. Von Allershausen kommend heißt sie Münchner Straße. Die Freisinger Straße führt über Kirchdorf und Zolling weiter nach Moosburg. Sie ist eine der wichtigen Verkehrsachsen im Landkreis. Rechts neben der Kirche stößt die Dorf- auf die Staatsstraße. Sie führt nach Schweitenkirchen zur Autobahn A 9. Staut sich dort der Verkehr, versuchen viele Autofahrer, über Nörting ans Ziel zu kommen.

Das Dorf habe heute etwa 450 Einwohner, schätzt Westermeier. Zu einem eigenen Gemeindestatus hat es der Weiler nie gebracht. Da war er stets zu klein dazu. "Die Norm hat Nörting nie erreicht", erklärt Heimatforscher Beat Bühler. Dafür kann das Dorf auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. 788 ist es erstmals beurkundet als Siedlung eines Nerito. Später war es eine Hofmark, der ein Adliger, meist niederer Herkunft, vorstand. So steht es in einer Ortschronik, geschrieben von Georg Völkl, Johann und Emma Westermeier.

Bühler ergänzt, dass Nörting früher zur Landgerichtsbarkeit Moosburg gehörte. 1721 nahm dort wohl einer der letzten Hexenprozesse in Deutschland seinen Ursprung. Wie Reinhard Haiplik in seinem Buch "Geheimnisvolle Plätze in der Hallertau" schreibt, sollen im Ampermoos einige Buben "bösen Zauber" getrieben haben. So gibt es auch Völkl in einer Geschichte der Kirchdorfer Pfarrei an. Unschuldiges Opfer des Hexenwahns war ein Hüterbub namens Johann Staindl, der aus Güntersdorf stammte und wohl unter epileptischen Anfällen litt. Er wurde vom Nörtinger Bettelbub Joseph Schwaiger des Umgangs mit dem Teufel bezichtigt. Staindl starb in Moosburger Kerkerhaft. Später gehörte Nörting laut Bühler zum Pflegegericht Wolnzach. Die Stadt liegt im Landkreis Pfaffenhofen, so dass Nörting lange Zeit ebenfalls zum Nachbarlandkreis gehörte. Erst im Zuge der Neuordnung Bayerns nach den napoleonischen Kriegen kam das Dorf in den Freisinger Landkreis und zur Gemeinde Kirchdorf.

Sommerreise übers Land, Teil 3: Mitten im Ort liegt die Kirche Sankt Margaretha, die von den Nörtingen nach diversen Bränden immer wieder aufgebaut worden ist.

Mitten im Ort liegt die Kirche Sankt Margaretha, die von den Nörtingen nach diversen Bränden immer wieder aufgebaut worden ist.

(Foto: Marco Einfeldt)

Ein paar Höfe haben sich um die ursprüngliche Nörtinger Kirche herum gruppiert. "Sie war eine der ältesten Pfarrkirchen in der Region", berichtete Bühler. Sie sei im 8. Jahrhundert erbaut worden und ursprünglich dem Heiligen Martin geweiht gewesen. Einfallende Heere der Ungarn haben sie im 10. Jahrhundert niedergebrannt, ebenso wie das ganze Dorf. Die Nörtinger bauten ihr Dorf wieder auf, so auch die Kirche, die sie diesmal der Heiligen Margaretha weihten.

Ungefähr 600 Jahre später fielen während des Dreißigjährigen Kriegs Truppen ein. Sie brannten das Kirchlein nieder. Unverdrossen bauten es die Nörtinger wieder auf. Den dritten Brand hat im Juni 1830 ein "rachsüchtiges Kind" verschuldet, wie es in den Chroniken heißt. Dem Vernehmen nach habe es sich um einen Hüterbuben gehandelt, erklärt Westermeier auf Nachfrage. "Der, so sagt man, hat sich ungerecht behandelt gefühlt." Den Flammen fiel nicht nur die Kirche zum Opfer, sondern auch "31 Behausungen wurden verheert", sagt Westermeier. Kein Wunder, die Häuser waren früher einfach gebaut, mit Dächern aus Stroh. Das brannte wie Zunder. Dorf und Kirche waren ein weiteres Mal vernichtet worden. In der Ortschronik heißt es: "Durch den Ortsbrand sind die Nörtinger ganz verarmt. Von den umliegenden Pfarreien wurden Sammlungen von Geld, Wäsche, Nahrungsmitteln und Hausgerätschaften veranstaltet."

Die damalige Verwaltung zog die Konsequenzen aus dem Brand. Westermeier weist auf die Anordnung der Häuser entlang der Staatsstraße hin. Sie sind streng ausgerichtet, mit großen Abständen dazwischen, so dass bei einem Brand die Flammen nicht mehr so leicht überspringen konnten. Die Nörtinger bauten ihre Ortschaft ein weiteres Mal auf, ebenso die Kirche, so wie sie sich heute dem Betrachter präsentiert.

Der Künstlerin, die damals das Altarbild fertigte, ist ein Missgeschick unterlaufen. "Statt ein Margarethenbild zu malen", sagt Westermeier, "hat sie ein Katharinenbild gemalt", erklärt Bühler. So kommt es, dass das Altarbild die Heilige Katharina mit Folterrad, Palme in der Rechten und Schwert in der Linken zeigt. Über dem rechten Seitenaltar prangt dagegen das Bildnis der Margaretha, in der Rechten Stab mit Kreuz, in der Linken Palme und eine Kette, an welcher ein Drache gefesselt ist. So kommt es, dass die Erzdiözese das Nörtinger Kirchlein als Katharinenkirche führt, während es doch eigentlich der Margaretha gewidmet ist.

Eine weitere Konsequenz aus den Bränden war, dass Nörting früh über eine eigene Feuerwehr verfügte. 1900 gegründet, hatte sie laut Ackstaller ein Jahr später ihren ersten großen Einsatz mit der neuen Spritze. Die Kirchdorfer Kirche brannte. "Die Glocken sausten schon in die Tiefe", erzählt Ackstaller. Die Nörtinger Wehr war zur Stelle, um zu retten, was zu retten war.

Ein eigenwilliger Geistlicher scheint der Pfarrer Sturm gewesen zu sein. "Von 1904 bis 1940 war er in Nörting", sagte Bühler. Das sei ungewöhnlich. Sturm war nicht nur Seelsorger, sondern auch Architekt. Das Leichenhaus, das etwa 200 Meter entfernt auf dem Nörtinger Friedhof steht, hat er geplant. Anscheinend hat der geistliche Herr über einen großen Gerechtigkeitssinn verfügt. Ackstaller erzählt, dass früher die reichsten Bauern im Dorf am Palmsonntag mit den größten Palmbuschen zur Kirche zogen. Sturm habe ihnen diese abgebrochen und so zurecht gestutzt, dass sie sich nicht mehr von denen der einfacheren Landwirte unterschieden. "Seither hieß es im Dorf: Der Sturm hat den Bauern die Palmen gebrochen", sagt Ackstaller lächelnd.

Sommerreise übers Land, Teil 3: Aus der Zeit, als es noch keine Hausnummern gab, stammen die Namen, die noch heute an Nörtings Gebäuden hängen - egal, wie die Bewohner heißen.

Aus der Zeit, als es noch keine Hausnummern gab, stammen die Namen, die noch heute an Nörtings Gebäuden hängen - egal, wie die Bewohner heißen.

(Foto: Marco Einfeldt)

Aus jener Zeit gibt es aber Geschichten, die bei weitem nicht so lustig sind. Ackstaller und Westermeier erinnern daran, dass auch durch Nörting am Ende des Zweiten Weltkriegs Elendszüge von Häftlingen zogen. Wer ihnen Brot oder Wasser reichen wollte, den riefen die Wachleute zur Raison. Ein Häftling, berichten beide, sei in einer Kiesgrube unweit des Dorfes erschossen und verscharrt worden. Jemand habe ihn wieder ausgegraben und auf dem Nörtinger Friedhof bestattet. Später wurde die Leiche exhumiert und an einen anderen Ort überführt. Einige Unerschrockene haben seinerzeit auch das Betonkreuz auf der Leichenhalle errichtet. Es wurde von den Nationalsozialisten geduldet.

Wenn heute der Kirchenzug zum Friedhof zieht, kommt er auf dem Bürgersteig neben der viel befahrenen Straße nur langsam voran. Wer genau hinsieht, erkennt dort Täfelchen mit den ursprünglichen Hausnamen, die aus der Zeit stammen, in denen es in Nörting noch keine Straßennamen gab. Haus 6 heißt beispielsweise "Mang". Das Haus, in dem Ackstaller wohnt, trägt die Bezeichnung "Brandl". "Der Name bleibt", erklärt Ackstaller dazu. Unabhängig vom Namen der Familie, die dort gerade in dem Haus wohnt.

Nörting hat nicht so viele neue Wohngebiete wie etwa Kirchdorf. Gewerbebetriebe wie ein Elektrohandel, ein Steuerbüro, ein Eisenhändler, ein Omnibus-Unternehmen, ein Frischhändler oder ein Spengler bieten heute die Arbeitsplätze anstatt der Landwirtschaft. Immerhin gibt es noch einen Kramer in Nörting. Und natürlich Wirtschaften: das Schützenstüberl und den Huberwirt, der jedoch am Wochenende geschlossen hat. Das gesellschaftliche Leben spielt sich in den Vereinen ab. Da gibt es die Eisstockschützen, die Feuerwehr und natürlich die Schützen. Die feierten im Juni 1982 ihr 100-jähriges Bestehen. 1200 Menschen seien aus diesem Anlass ins Dorf gekommen, erinnert sich Mesner Jakob Ackstaller. "Das wird es nie wieder geben."

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