Schlagend oder nicht:Ein Bund fürs Leben

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Neun Studentenverbindungen gibt es in Freising, in ihnen engagieren sich mehr als 200 junge Menschen

Von Kim Björn Becker

- Der deutsch-amerikanische Maler und Grafiker George Grosz war einer, der aus seiner Geringschätzung für die Mitglieder schlagender Verbindungen keinen Hehl machte. Sein Bild "Stützen der Gesellschaft", 1926 gemalt, zeigt eine Reihe skurriler Personen, von denen eine schlechter wegkommt als die andere. Ganz vorne: Ein sogenannter "Alter Herr" einer Verbindung, Maßkrug in der linken Hand, Säbel in der rechten, die Kratzer auf der Wange - auch Schmisse genannt - als Zeugen seiner zu Studienzeiten gefochtenen Fechtpartien. Unter dem Sakko blitzt das mehrfarbige Couleurband hervor, das die Farben der Verbindung zeigt. Und aus dem geöffneten Schädel galoppiert ein Reiter, umgeben von Paragrafenzeichen. Der grimmige Gesichtsausdruck des Mannes tut sein Übriges. Keine Frage: Man kann diesen Menschen nicht mögen. Man soll es auch gar nicht.

In einem holzvertäfelten Zimmer mit unzähligen Fachbüchern und Aktenordnern in den Regalen sitzen Michael Peter, 27, Student des Brauwesens an der Technischen Universität München (TUM) in Weihenstephan, und Benedikt Duda, 22, der an der gleichen Hochschule Bioprozesstechnik studiert, an einem Holztisch in der Ecke. Sie gehören zum Vorstand - der sogenannten Charge - der Landsmannschaft Bavaria zu Weihenstephan, der ältesten Freisinger Studentenverbindung. Als eine von zwei Gruppen in der Domstadt sind die Bavaren schlagend, will heißen: Wer dort aufgenommen werden will, muss fechten und eine bestimmte Anzahl von Pflichtpartien, sogenannte Mensuren, bestreiten. Bei der Bavaria sind es zwei. "Ich war bei meiner ersten Mensur schon ziemlich aufgeregt", sagt Benedikt Duda. "Man hat zum ersten Mal eine scharfe Klinge in der Hand und steht im Kettenhemd da."

Davor, getroffen zu werden, also selbst einen Schmiss abzubekommen, habe er weniger Angst gehabt als davor, einen groben Technikfehler zu begehen. Denn das studentische Fechten unterscheidet sich vom Sportfechten, es gibt nur wenige zugelassene Bewegungen, und die Partie ist streng strukturiert. Bei Duda ging alles gut. "Danach war ich schon erleichtert", sagt er. Das gemeinsame Bier mit dem Gegenpaukanten, wie der Partner bei der Mensur auch genannt wird, ist obligatorisch.

In der Verbindung ist Benedikt Duda der Fuchsmajor, er kümmert sich um die jüngsten Mitglieder, die im Verbindungsjargon Füchse genannt werden. Bei den meisten Studentenverbindungen dauert die Fuchsenzeit etwa ein Jahr, sie ist ein gegenseitiges Kennenlernen. Am Ende steht die sogenannte Burschung, der Fuchs wird zum vollwertigen Mitglied und erhält Stimmrecht bei den regelmäßigen Vollversammlungen der Studenten, den Conventen. Wie man vom Fuchs zum Bursch wird, ist von Verbindung zu Verbindung unterschiedlich. Bei den Bavaren müssen die Füchse drei Viertel der Prüfungen des ersten Semesters bestanden haben, ein Referat halten, eine theoretische Prüfung über das Verbindungswesen in Freising bestehen und schließlich, und das ist eine Besonderheit, ihre erste Mensur schlagen, die sogenannte Fuchsenpartie.

Ein paar hundert Meter entfernt vom Bavarenhaus, wie die Gruppe ihr Verbindungshaus in der Vöttinger Straße nennt, sitzt Thomas Zimmermann, 22, Forstingenieur-Student an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT), an einem kargen Holztisch unweit der opulenten Theke. Das Verbindungshaus der katholischen Agilolfia steht auf dem Domberg, ein turmartiges Gebäude mit einem spektakulären Blick über die Stadt. Eine Mensur zu schlagen, ist für Agilolfen undenkbar, als katholische Verbindung führen sie keine Waffen. Zimmermann ist Senior, also der Vorsitzende der Aktivitas.

Aktive sind Verbindungsmitglieder, die bestimmte Pflichten erfüllen müssen - zum Beispiel Veranstaltungen organisieren, das Haus in Schuss halten oder Bier besorgen für die nächste Kneipe, wie ritualisierte Verbindungspartys genannt werden. Wer nach einer bestimmten Zeit keine Dienste mehr erfüllen muss, wird Inaktiver, kann damit meist aber auch nicht mehr dem Vorstand angehören. Wer schließlich sein Studium beendet hat und im Berufsleben ist, bleibt der Verbindung als Alter Herr erhalten - und unterstützt die Jüngeren ideell durch Kontakte und finanziell, indem er Mitgliedsbeiträge zahlt. "Hohe Damen" sind hingegen die Ausnahme - in Freising nehmen nur zwei Verbindungen auch Frauen auf. Die meisten Verbindungen funktionieren nach dem sogenannten Lebensbundprinzip, dem zufolge eine Mitgliedschaft lebenslang besteht.

"Ich hatte am Anfang Vorurteile gegenüber Verbindungen", sagt Thomas Zimmermann. "Die sind doch alle irgendwie rechts, sind nur am Saufen. Dann kam ich mit der Agilolfia in Kontakt und habe mir die Gruppe mal angeguckt." Bei Zimmermann lief dieser erste Kontakt ab wie bei vielen: Bei der Wohnungssuche meldete sich ein Alter Herr und bot ihm ein günstiges Zimmer an. Zimmermann sagte zu. "Kurze Zeit später kam die Einladung zu einem Kennenlernen." Gerade zu Beginn des Wintersemesters werben die Verbindungen um neue Mitglieder. "Keilzeit" heißt diese Phase.

Auch dem Bavarenhaus kann man schon von außen ansehen, dass gerade Keilzeit ist: die Tür steht meistens offen. Drinnen ist Senior Michael Peter gerne bereit, Interessierten das Haus zu zeigen und die Tradition der Bavaren zu erläutern. Peter trägt das Couleurband mit den Farben der Verbindung, Grün, Gold, Braun. Zu bestimmten Anlässen, etwa zum jährlichen Stiftungsfest, tragen die Aktiven "Vollcouleur", also Band und Mütze. "Farbentragend" wird eine Verbindung genannt, wenn ihre Mitglieder mit entsprechenden Symbolen ausgestattet sind, "farbenführend" werden Gruppen genannt, die zwar Farben haben, diese aber nicht öffentlich tragen.

"In Freising können wir auch in Vollcouleur durch die Stadt gehen und werden immer freundlich gegrüßt", sagt Fuchsmajor Benedikt Duda, "da gibt es in Deutschland andere Städte, da kann man sich so nicht raustrauen." Noch immer sitzen die Vorurteile gegenüber Studentenverbindungen tief - dabei könnten die Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen größer kaum sein.

Fast alle Studentenverbindungen gehören einem Dachverband an, der die unterschiedlichen Strömungen bündelt. Bavaria zum Beispiel ist eine sogenannte Landsmannschaft. Die Landsmannschaften nahmen früher nur Mitglieder aus einer bestimmten Region auf, mittlerweile gibt es diesen Grundsatz aber praktisch nicht mehr. Der Dachverband aller Landsmannschaften und Turnerschaften, deren Ursprung beim Sport liegt, ist der Coburger Convent (CC). Ihm gehören etwa 100 Studentenverbindungen mit mehr als 1500 Aktiven an. Die angeschlossenen Verbindungen folgen keiner bestimmten Weltanschauung, sind aber alle farbentragend und pflichtschlagend.

Ihnen stehen die christlichen Studentenverbindungen als zahlenmäßig größte Gruppe gegenüber: Im Cartellverband (CV) der katholischen Studentenverbindungen sind 120 Organisationen mit 4000 Studenten organisiert, deren Mitglieder durchweg Farben tragen. Im Kartellverband (KV) sind weitere 80 Verbindungen aktiv, die nicht farbentragend sind. Bei den christlichen Verbindungen gibt es teils große Unterschiede: Während viele katholische Verbindungen auch nur katholisch getaufte Mitglieder aufnehmen, sind andere offen gegenüber anderen Religionen - auch fernab des Christentums. Schließlich gibt es die Corps, die sich als weltanschaulich neutral verstehen und in mehreren Dachverbänden organisiert sind, sowie die Burschenschaften. Die einzige Freisinger Burschenschaft, Ceresia, hat derzeit keine aktiven Mitglieder.

Insbesondere den Burschenschaften, die in einem eigenen Dachverband organisiert sind, haftet das Etikett an, am rechten und teils rechtsextremen politischen Rand zu stehen. Während einige Gruppen sich bewusst liberal präsentieren, agieren andere deutlich konservativer. Eine drohende Spaltung des Dachverbands Deutsche Burschenschaft (DB) wurde unlängst kurzfristig verhindert. Zuvor war es zum Eklat zwischen dem liberalen und dem konservativen Flügel gekommen, nachdem der Chefredakteur des Verbandsmagazins die Hinrichtung des Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer durch die Nationalsozialisten "juristisch gerechtfertigt" bezeichnet hatte.

© SZ vom 15.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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