Süddeutsche Zeitung

Rote Luftballons weisen den Weg:1400 Menschen lassen sich typisieren

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Für den zehnjährigen Tobias aus Grafendorf und seine Eltern beginnt nun die Zeit des Wartens. Es kann bis zu drei Monate dauern, bis feststeht, ob ein geeigneter Stammzellenspender für ihn gefunden ist

Von Katharina Aurich, Rudelzhausen

Hunderte rote Luftballons an Gartenzäunen, Hecken und Straßenschildern haben an diesem Sonntag den Menschen den Weg in die Grundschule der Gemeinde Rudelzhausen gewiesen. In der haben sich fünf Stunden lang 1400 Menschen typisieren lassen. Denn der zehnjährige Bub Tobias aus Grafendorf sucht seinen Lebensretter und braucht passende Stammzellen für eine Transplantation. 150 Helfer waren den ganzen Tag auf den Beinen, um diese Aktion zu organisieren, allen voran die Familie von Tobias, Freunde und unzählige Mitglieder von Vereinen und Organisationen sowie Ärzte und Arzthelferinnen, die den potenziellen Spendern ein wenig Blut abnahmen. Die DKMS (Deutsche Knochenmarksspenderdatei), die auch die roten Luftballons mitgebracht hatte, unterstützte die Aktion mit ihrem Know How. Bis zu diesem Sonntag wurden 27 000 Euro für die Typisierung der Blutproben gespendet.

Tobias leidet an der seltenen Adrenoleukodystrophie (ALD), einer erblichen Stoffwechselkrankheit. Aufgrund eines Gendefekts können einige Fettsäuren nicht abgebaut werden, die dann das Gehirn, das Rückenmark sowie die Nebennieren schädigen. Die Krankheit kann durch die Transplantation passender Stammzellen aufgehalten werden. Seit Dezember wurde Tobias in einem Tübinger Krankenhaus behandelt, am Freitag durfte er endlich nach Hause. Aber er sei noch schwach und müsse sich erholen, schilderte die Psychologin Songül Grevel, die die Familie betreut. Aber Tobias Eltern Erich und Gudrun Schindlbeck waren in die Grundschule gekommen, um sich bei allen Unterstützern zu bedanken. "Es ist der absolute Wahnsinn, was hier in dieser kleinen Gemeinde abgeht. Danke für alles an alle," sagte Tobias Vater zu den unzähligen Helfern, die den ganzen Tag die Grundschule mit geschäftigem Treiben erfüllten. Bereits am Eingang wurden die Menschen begrüßt und in die Turnhalle geleitet, wo an langen Tischen Helfer saßen, die Daten der potenziellen Spender aufnahmen und ihnen ein mit ihrem Namen versehenes Röhrchen für die Blutabnahme überreichten. Im Nebenraum schritten Ärzte und Schwestern zur Tat und nahmen einige Milliliter Blut ab.

Im Innenhof der Schule waren Biertische aufgebaut, an denen sich die Besucher stärkten, vor allem Bäckerinnen hatten sich mächtig ins Zeug gelegt, so dass fast jeder gegen eine Spende noch einen Teller voller Kuchen mit nach Hause nahm. Auf dem großen Parkplatz unweit der Schule wiesen Feuerwehrleute die Autos ein, während die Mitarbeiter des Roten Kreuzes Acht gaben, dass es allen Spendern und Besuchern gut ging.

Vor allem viele Kinder waren zur Aktion gekommen, obwohl man sich erst ab einem Alter von 17 Jahren registrieren lassen konnte. Im Unterricht werde immer wieder über Tobias gesprochen, "wir haben in allen Klassen darüber informiert, dass ein Kind aus der Schule schwer erkrankt ist", sagte Schulleiterin Maria Behr. Es sei selbstverständlich gewesen, die Schule für die Aktion zur Verfügung zu stellen, "da mussten wir gar nicht überlegen". Behr hatte Tobias in der ersten und zweiten Klasse unterrichtet. Es sei wichtig, zu den Kindern ehrlich zu sein und ihre Fragen zu beantworten, berichtete sie. Sie seien sehr sensibel und würden genau erfassen, was los sei, so ihre Erfahrung.

"Morgen kommt sicher die Frage von den Kindern, ob Tobias jetzt nach der Typisierungsaktion wieder gesund ist", vermutete Behr. "Wir sagen dann, dass wir alle hoffen, dass ein passender Stammzellenspender gefunden wird." Söngul Greven bat darum, Tobias nicht zu besuchen, denn er müsse sich erst erholen, sei empfindlich gegen Keime und brauche viel Ruhe. Für seine Familie beginne nun das Warten. Die Typisierung der Blutproben dauere rund drei Monate, aber es kämen laufend neue Menschen zur weltweiten Datenbank an potenziellen Stammzellenspendern dazu, machte Kathrin Metzler von der DKMS Hoffnung auf eine Heilung des Jungen.

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SZ vom 27.03.2017
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