Andere Welt:Germaniten und Reichsbürger im Landkreis Freising

Reichsbürger Reisepass

Für Reichsbürger besteht das Deutsche Reich bis heute. Die Bundesrepublik mit ihrer Verfassung erkennen sie darum nicht an.

(Foto: Patrick Seeger/dpa)

Sogenannte Reichsbürger, die Staat und Behörden nicht anerkennen und keine Steuern zahlen, gibt es auch im Landkreis Freising. Bei Vollstreckungen ist schon mal Polizeischutz nötig.

Von Clara Lipkowski, Freising

In Wahrheit ist die Bundesrepublik kein souveräner Staat, sondern eine GmbH und die Bürger sind gar keine Bürger, sondern deren Personal, das beweist doch schon der "Personal"-Ausweis. Das zumindest behaupten sogenannte Reichsbürger, die bundesweit verstärkt seit 2010 auftreten und die Behörden aufmischen. Auch im Landkreis Freising sind schon mehrere Dutzend von ihnen auffällig geworden. Im Amtsgericht versuchten "Reichsbürger" 2015 beispielsweise lautstark, eine Gerichtsverhandlung zu stören, andere schicken Mitarbeitern im Landratsamt lange Schriftsätze, in denen sie ihre Überzeugungen kund tun; wieder andere beschimpfen Vollzugsbeamte.

Das Deutsche Reich besteht für sie bis heute und befindet sich noch immer im Kriegszustand, so eine ihrer Thesen, weil ein Friedensvertrag fehle. Damit sei die Bundesrepublik nicht legitimiert, sämtliche Behörden ebenfalls nicht. Sie nennen sich Germaniten oder Bürger des Deutschen Reichs und stellen sich selbst Ausweise aus.

Rechtsextremist, Preußen-Liebhaber oder einfach Steuerverweigerer

Hinter dem Verhalten der "Reichsbürger" steckt eine bunte Mischung verschiedener Überzeugungen. Sie können stramme Rechtsextremisten sein, Preußen-Liebhaber oder es praktisch finden, Verkehrsbehörden für illegitim zu erklären, um einen Strafzettel nicht zahlen zu müssen. Ohne Souveränität keine Autorität, lautet die Devise.

Dem Landratsamt in Freising sind sie seit 2014 etwa 30 "Reichsbürger" aufgefallen, Tendenz steigend: "Sie beantragen Nachweise über ihre Staatsangehörigkeit", sagt Sprecherin Eva Dörpinghaus. Dabei gäben sie an, Staatsangehörige des Königreichs Bayern, des Königreichs Preußen oder des Großherzogtums Oldenburg zu sein. Der Geburtsort kann dann auch schon einmal "München, Königreich Preußen" lauten. Bemerkenswert ist: Sie beantragen diesen Nachweis bei einer Behörde, die sie nicht anerkennen.

"Sie akzeptieren den deutschen Staat nicht, möchten aber Leistungen von ihm"

Mit etwa fünf "Geouteten" haben die Mitarbeiter des Jobcenters laut Geschäftsleiter Bernhard Reiml derzeit zu tun. "Sie akzeptieren den deutschen Staat nicht, möchten aber Leistungen von ihm", sagt er. Kooperieren sie bei der Antragstellung, würden sie wie jeder andere auch behandelt. So glimpflich läuft es bei Reinhard Kriesel in der Regel nicht ab. Er ist im Finanzamt Freising für Vollstreckungen zuständig. Zu seinem Job gehört es manchmal, zu Menschen zu fahren, um nicht bezahlte Steuern einzutreiben. Er pfändet Bankkonten, Bargeld oder den Fernseher. Kein angenehmer Job. Vor allem dann nicht, wenn er ihn unter Polizeischutz ausüben muss. "Uns war ein sogenannter Reichsbürger bekannt", berichtet er. "Er hatte sich geweigert, Steuern zu zahlen, weil er überzeugt war, dass Deutschland kein souveräner Staat sei und somit kein Recht habe, Steuern zu verlangen."

Als die Beamten auf seinem Grundstück erschienen, hatte der Mann seinen Neffen dazu geholt. "Der arbeitete bei einer Sicherheitsfirma", sagt Kriesel, "und war so der Typ Kleiderschrank." Kriesel war mit einer Polizeistreife gekommen. Denn der "Reichsbürger" hatte zuvor erklärt, die Pfändung sei eine Plünderung und das Erscheinen der Beamten Hausfriedensbruch. Die Beamten hatten einen Durchsuchungsbeschluss, dem Mann war das egal. Er beschimpfte sie wüst - sie pfändeten das Auto. "Wir haben die Nummernschilder abgenommen und Pfandsiegel auf das Auto geklebt", sagt Kriesel. Er glaubt, die Anwesenheit der Polizei habe die beiden Männer davon abgehalten, gewalttätig zu werden.

"Manche fahren mit einem Fantasiekennzeichen ihr Auto spazieren", sagt Polizeichef Neuner

Auch dem Freisinger Polizeichef, Ernst Neuner, kommen regelmäßig Menschen unter, die der Polizei alle Befugnisse absprechen. "Manche fahren mit einem Fantasiekennzeichen ihr Auto spazieren", sagt Neuner - etwa aus Preußen. "Oder ganz ohne Fahrerlaubnis." Werde das dann geahndet, weigerten sie sich, das Bußgeld zu bezahlen. "Das geht dann an die nächste Behörde oder an die Staatsanwaltschaft", sagt Neuner. Und vor Gericht.

Im Freisinger Amtsgericht gab es so einen Fall. Ein Mann war 2016 wegen zu schnellen Autofahrens angeklagt. Weil er die Verhandlung mit dem Smartphone aufzeichnete und illegalerweise später im Internet veröffentlichte, wurde er angezeigt. Erneut im Saal, wollte er partout nicht auf der Anklagebank Platz nehmen. "Für mich war er damit nicht anwesend", sagt Manfred Kastlmeier, Richter und Sprecher des Amtsgerichts. 270 Tagessätze lautete sein Urteil.

"Reichsbürger" einfach als Spinner abzutun, wäre aber zu kurz gegriffen - das ist spätestens klar, seit einer von ihnen im vergangenen Herbst im mittelfränkischen Georgensgmünd auf einen Polizisten geschossen hat, der später im Krankenhaus starb. Die Freisinger Behörden nehmen diesen Personenkreis deshalb ernst. Mitarbeiter bekommen Verhaltensregeln erklärt. "Sie sollen höflich, aber bestimmt sein, sich nicht auf Diskussionen einlassen und sich nicht verunsichern lassen", sagt Polizeichef Neuner. Die "Reichsbürger" seien schließlich schon oft aggressiv geworden.

Im Gericht sind laut Kastlmeier seit den Ereignissen von Georgensgmünd keine "Reichsbürger" mehr auffällig geworden. Er vermutet, dass das Gros der Bewegung nicht aus ideologischen Gründen nahestehe, sondern aus sehr pragmatischen. "Einigen von ihnen droht das Wasser in den Kragen zu laufen, etwa wegen Sorgerechtsstreitereien. In so einer verzweifelten Lage eignen sie sich deren Argumente an und versuchen sie irgendwie für sich zu nutzen." Diese Personen seien nach Georgensgmünd hoffentlich endlich aufgewacht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: