Raser-Unfall vor Gericht:"Ich habe nicht darüber nachgedacht, wie gefährlich das ist"

Mordprozess Landshut

Nach einer tödlichen Raserei bei Eching hat ein Berufungsgericht einen Jugendlichen zu einer Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt.

(Foto: dpa)

Ein heute 20-Jähriger muss sich erneut für einen Raser-Unfall vor Gericht verantworten, bei dem ein Mitfahrer bei Eching ums Leben gekommen ist.

Von Alexander Kappen, Landshut/Eching

Lange drehte sich alles um technische Dinge. Mithilfe eines Sachverständigen versuchte man herauszufinden, ob der Angeklagte die für die Tat relevante Strecke kannte, welche maximale Geschwindigkeit er mit seinem geliehenen, 560 PS starken Auto theoretisch hätte erreichen können und welche er realistisch erreichte. Ob und wann er bremste und warum. Gegen Ende des Verhandlungstags am Landshuter Landgericht verlagerte sich das Geschehen jedoch auf die menschliche Schiene, weil sich der Angeklagte, so die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe, "überraschend öffnete" und Einblicke gewährte, was hinter dem schlimmen Autounfall in Eching steckte, beim dem im November vergangenen Jahres ein 20-jähriger Mitfahrer starb.

Der damals 19-jährige Fahrer, der bis zu seiner Verhaftung bei seinen Eltern in Neufahrn lebte, ist vom Freisinger Amtsgericht zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten wegen eines verbotenen Autorennens mit Todesfolge verurteilt worden. Verteidigung und Staatsanwaltschaft legten Berufung ein, wodurch der Fall nun am Landshuter Landgericht erneut verhandelt wird.

Das Fahrzeug, das der Angeklagte ausgeliehen hatte, war vergangenen November, vom Echinger Industriegebiet kommend in Richtung A 92 unterwegs und geriet auf dem Autobahnzubringer kurz vor der Auffahrt Eching-Ost ins Schleudern. Das Auto durchbrach die rechte Leitplanke, prallte gegen einen Baum, überschlug sich. Ein 20-jähriger Mitfahrer wurde herausgeschleudert und starb am Unfallort.

Der Angeklagte war vor dem Unfall mit seinen Kumpels mit stark überhöhter Geschwindigkeit durchs Echinger Gemeindegebiet gerast. Bei der Unfallstelle war laut des technischen Sachverständigen bei voller Beschleunigung theoretisch eine Maximalgeschwindigkeit von 216 Stundenkilometern möglich. Aus seiner Sicht realistisch sind 209 Stundenkilometer. Das hatten seine Berechnungen aufgrund der vorliegenden GPS-Daten ergeben. Wirklich nachweisbar sei aber nur eine Geschwindigkeit von 193 Stundenkilometern. "Es ist nicht davon auszugehen, dass er durchgehend Maximalbeschleunigung hatte, sondern mal kurz abgebremst hat - warum auch immer", so der Sachverständige. Das Gericht versucht herauszufinden, ob der Angeklagte bei seiner Raserei die Höchstgeschwindigkeit erreichen wollte - denn dann wäre der Straftatbestand des verbotenen Wettrennens erfüllt.

Der Beschuldigte, der laut seiner Verteidiger durch den Unfall selbst traumatisiert ist und eine psychotherapeutische Behandlung bräuchte, bestritt, dass es ihm nur ums Tempo gegangen sei. "Es ging nicht unbedingt ums Schnellfahren, sondern darum zu zeigen, dass man das Auto beherrscht - man kann ja auch die Reifen durchdrehen lassen, das beherrscht auch nicht jeder", erzählte er dem Gericht unter Vorsitz von Richter Andreas Wiedermann.

Anders als heute hatte der junge Neufahrner damals ein Faible für hoch motorisierte Fahrzeuge. "Ich mochte Autos", sagte er. Obwohl er den Maserati seines Vater fahren durfte, lieh er sich immer wieder andere schwere Autos aus, allein im vergangenen Jahr an die fünf bis sechs Mal, wie der Richter aufzählte. "Ich wollte aus Eigeninteresse mal alle Marken ausprobieren", berichtete der Angeklagte. Am Unfalltag war es ein BMW, "weil der Maserati in der Werkstatt war". Im Laufe der Vernehmung stellte sich heraus, dass der Angeklagte die Autos auch auslieh, um sich quasi die Freundschaft seiner Kumpels zu erkaufen. Der Sohn einer wohlhabenden Gastronomenfamilie war der Einzige, der sich die Autos leisten konnte und ließ seine Freunde damit fahren. Man machte abwechselnd Spritztouren, drehte Videos und schoss Fotos. Heute spricht der inzwischen 20-Jährige von "falschen Freunden", von denen er sich distanziert habe. "Die waren eh nur meine Freunde, weil ich Geld hatte." Das mit den schnellen Autos sei rückblickend "alles sinnlos, rücksichtslos und verantwortungslos gewesen, ich habe nicht darüber nachgedacht, wie gefährlich das ist", sagte er. "Das brauche ich nicht mehr, ich will nicht mehr Auto fahren."

Der Sohn indischer Einwanderer, der als Zweijähriger nach Deutschland kam, steht laut Jugendgerichtshelferin "in einem kulturellen Zwiespalt und sucht noch seine Identität". Die Eltern, in deren Restaurant er arbeitete, sprächen kaum Deutsch, er aber fühle sich als Deutscher, mit der indischen Kultur könne er nicht viel anfangen, sagte der 20-Jährige selbst.

Beim nicht vorbestraften Angeklagten, der die Zusage für einen Ausbildungsplatz außerhalb des elterlichen Betriebs habe, seien Reifeverzögerungen festzustellen, so die Jugendgerichtshelferin, deshalb schlage sie die Anwendung des Jugendstrafrechts vor. Nach zehnmonatiger Untersuchungshaft sei "die Einwirkung des Strafvollzugs ausgeschöpft". Deshalb empfahl sie dem Gericht, den Rest der Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen. Der Prozess wird fortgesetzt.

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