Querdenker in Freising:Ist die AfD mittendrin oder nur dabei?

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Unter den "Querdenkern" sammeln sich auch AfD-Politiker und Menschen, die gewagte Verschwörungstheorien verbreiten. (Foto: Marco Einfeldt)

Corona-Kritiker nutzen den Messenger-Dienst Telegram, um sich zu vernetzen und Verschwörungstheorien zu verbreiten. Die SZ hat in mehreren Gruppen recherchiert und Politiker mit ihrer Mitgliedschaft konfrontiert.

Von Thilo Schröder und Nadja Tausche, Freising

Es ist eine wilde Mischung. Was die sogenannten "Querdenker" in Gruppen im Nachrichtendienst Telegram veröffentlichen, beginnt beim Ankündigen von Protestveranstaltungen gegen die Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern - und hört bei der Verbreitung der krudesten Verschwörungstheorien auf. Dazu gehört die, dass mit der angeblich seit Langem geplanten Corona-Pandemie eine Vielzahl an Menschen getötet werden soll - mit voller Absicht. In Baden-Württemberg wird die Initiative bereits vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet.

Für Freising und die Region hat die Freisinger SZ die Inhalte mehrerer "Querdenker"-Gruppen analysiert: Anlass war die Recherche des SPD-Politikers Michael Firlus, der kürzlich eine Reihe kritischer Beiträge aus der Gruppe "Corona Rebellen Freising" publik gemacht hat. In den untersuchten Gruppen sind oder waren auch mehrere örtliche AfD-Politiker mit wichtigen politischen Ämtern als Mitglieder vertreten. Auf Nachfrage distanzieren sie sich, wenn überhaupt, nur zurückhaltend von den Inhalten.

Die Verschwörungstheorien

Was viele der abenteuerlichen Theorien in den Telegram-Gruppen gemeinsam haben: die Annahme, dass die Krise von langer Hand geplant ist und einem bestimmten Zweck dient. Eine propagierte NWO-Agenda (New World Order) etwa besagt, dass sich sogenannte "Eliten" - dazu gehören die Regierungsverantwortlichen weltweit - zusammengetan haben. "Unsere Demokratie wird Tag für Tag abgetragen und durch einen zentralisierten, weltweiten Kontroll- und Überwachungsstaat ersetzt", heißt es in einem weitergeleiteten Beitrag in der Gruppe "Freiheitsboten Freising" von Anfang Dezember: "Corona ist die offizielle Geburtsstunde der Neuen Weltordnung."

Doch nicht nur das liest man bei "Querdenken 8161". Mit der Corona-Pandemie solle eine große Zahl an Menschen ermordet werden: "...das werden Gen-Waffen (Impfungen !!!) und Seuchen erledigen", heißt es in einem weitergeleiteten Beitrag, in dem aus einem Buch zitiert wird. Der Name des Buchs: "Wir töten die halbe Menschheit - und es wird schnell gehen!". Bei den "Corona Rebellen" heißt es, für die kommenden Jahre sei eine künstliche Lebensmittelverknappung geplant.

Die meisten dieser Verschwörungstheorien haben die Gruppenmitglieder nicht selbst formuliert, sondern weitergeleitet. Auch vom bereits mehrfach festgenommenen Verschwörungstheoretiker Attila Hildmann werden Inhalte geteilt. Die sogenannten "Querdenker" scheinen sich als die einzigen zu sehen, die die Wahrheit kennen. So schreibt eine Userin in der Gruppe "Freiheitsboten Freising": "Mit aller Gewalt wollen die Satanisten verhindern, dass die Wahrheit ans Licht kommt."

Auch, wer sich bei Gegendemonstrationen zu den Veranstaltungen der Querdenker engagiert, gehört zur sogenannten anderen Seite: "Die Antifanten machen das als Hauptberuf und kriegen Staatsgeld dafür", schreibt Clemens Koppe (AfD-Kreistagskandidat 2020) bei den "Corona Rebellen". An anderer Stelle betont Koppe zumindest, die "Corona Rebellen" stünden auf dem Boden des Grundgesetzes.

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Viele der Verschwörungstheorien drehen sich um die Impfung. Die mache unfruchtbar, liest man, sie zerstöre das Immunsystem nachhaltig, greife in die DNA ein. Auch andere Tatsachen werden durch die Blume in Frage gestellt, etwa dass Menschen wirklich an dem Virus sterben. Beispiel: Ein Bild im "Erdinger Freiheitsforum" zeigt Fotos von Menschen, die an Covid-19 verstorbene Menschen tragen. Teils halten sie die Planen und Särge nur mit wenigen Fingern, unter dem Bild steht: "Weisheit des Tages: Wenn man an COVID stirbt, wird man sehr leicht...".

Fragwürdige Beiträge von AfD-Politikern

Nicht unbedingt Verschwörungstheorien, aber allemal Beiträge mit fragwürdigem Inhalt finden sich in den Gruppen auch von AfD-Politikern. Am 11. Mai teilt der Freisinger AfD-Bundestagsabgeordnete Johannes Huber in der Gruppe "Corona Rebellen Freising" eine Nachricht des schwäbischen Verschwörungstheoretikers Gerhard Wisnewski mit dem Link zu einem Artikel des rechten US-Onlineportals Infowars. In dem heißt es, Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu fordere, dass alle Kinder mit Mikrochips versehen werden sollen.

Glauben Sie das wirklich, Herr Huber? Nein, sagt der Bundestagsabgeordnete am Telefon. Er würde diesen Beitrag heute auch nicht mehr weiterleiten: "Weil ich nicht weiß, ob das stimmt." Auf Nachfrage distanziert sich Huber auch von der Theorie, dass im Rahmen der Pandemie bewusst Menschen getötet werden sollen: "Dass Abgeordnete bewusst nach dem Leben von anderen trachten, ist abwegig", sagt er. Anders ist das mit der These, dass der Ausbruch der Pandemie geplant war. Sehr wahrscheinlich sei es nicht, so Huber: "Aber ich kann es nicht ausschließen." Huber sagt im Gespräch, er müsse prüfen, ob bei den Beiträgen in den genannten Gruppen eine Grenze überschritten werde. Kurz danach ist er nicht mehr unter den Mitgliedern zu finden.

Mitte November kommentiert Huber zudem in Bezug auf die Festnahme des AfD-Politikers Karsten Hilse, der Widerstand gegen Polizeibeamte geleistet hatte: Diese sei unverhältnismäßig gewesen. Als Reaktion auf vorangegangene Beiträge, in denen die Polizei kritisiert wurde, schreibt Huber: "Karsten ist aber selbst wie viele weitere Kollegen und auch Querdenker Polizist. Das zeigt, dass Polizisten zwar für politische Spielchen missbraucht werden. Sie selbst sind aber nicht pauschal unsere Gegner, sondern vielfach auf unserer Seite!". Wer denn "unsere Seite" sei, kann Huber auf Nachfrage nicht genau sagen: die Kritiker des Lockdowns, meint er, oder eben generell die politische Opposition. Seinen Post sieht Huber als Beleg dafür, dass er in den Gruppen "mäßigend einwirke, wenn ich das Gefühl habe, es geht in die falsche Richtung".

Gerhard-Michael Welter, Stadtrat in Moosburg, provoziert vor allem durch zwei Beiträge. In einem schreibt er: "Sozialismus ist die größte Gefahr. Egal ob brauner, roter oder grüner Sozialismus." Dass er damit die Politik der Parteien SPD und Grüne mit dem NS-Regime vergleiche, wie es Firlus in einem zu seiner Recherche veröffentlichten Dokument schreibt, bestreitet Welter. In einem anderen Post spricht Welter von einem "guten Beitrag einer jungen, mutigen Frau". In diesem Beitrag geht es um den Mindestabstand, der bei Demonstrationen eingehalten werden muss - in Klammern steht dort: "Wir wollen ja die Führer nicht verärgern." Grundsätzlich steht Welter auch im Nachhinein zu den Posts, die er veröffentlicht hat, und zu seiner früheren Mitgliedschaft in der Gruppe. Er ist eigenen Angaben zufolge Ende Mai aus der Gruppe ausgetreten.

Werbung für Corona-Demos

In den Gruppen wird schon seit dem Frühjahr für coronakritische Veranstaltungen im Landkreis geworben, auch von AfD-Funktionären. Gerhard-Michael Welter hat etwa im Mai eine Nachricht von Parteikollege Huber geteilt, in der für die "Mahnwache für das Grundgesetz" geworben wird. Organisiert hat diese Clemens Koppe. Stefano Angelopoulos, Inhaber mehrerer Gruppen und ein Querdenken-Demosprecher in Freising, hat über sein Facebook-Profil einen Aufruf zum "Lichterspaziergang für das Grundgesetz" in Freising verbreitet.

Bei der Organisation von Demonstrationen sind Querdenken-Initiativen offenbar überregional bestens vernetzt. Ein Plakat unter dem Titel "Bayern steht auf" im Vorfeld der Freisinger Demo war etwa mit der Kennung "Querdenken 871 - Landshut" bedruckt. Die Landshuter Initiative tourt derzeit mit einem Infotruck durch mehrere Regierungsbezirke. Auch in Freising war sie an der Durchführung der Demonstration offensichtlich beteiligt. Der Truck am Marienplatz trug ein Pfaffenhofener Kennzeichen, das Erkennungsmerkmale der Landshuter Querdenker enthielt.

Bei der Freisinger Demo war auch die Querdenken-871-Vertreterin Renate Kukral im Publikum. In einem Beitrag einer Landshuter Querdenken-Gruppe proklamiert sie: "Wenn die Regierung wirklich fällt, werden auch die restlichen 80 Prozent der passiven Erwachten und auch Schlafenden erwachen und eine Meinung dazu entwickeln. Vorrangig ist für mich, das ganze Regime erst mal zu stürzen. Darauf arbeite ich jetzt hin."

Gegenseitiges Informieren

In den Gruppen wird dazu aufgerufen, sich über persönliche Kanäle und nicht über journalistische Formate zu informieren. Eine Nutzerin teilt etwa in der Gruppe "Corona Rebellen Freising" einen Video-Beitrag, in dem es heißt: "Schaltet die MSM einfach aus und informiert Euch eigenständig für Eure Kinder und Enkelkinder". MSM sind die Mainstream-Medien. Ein geteiltes Youtube-Video stammt von Frank Hannig, einem Rechtsanwalt aus dem Pegida-Umfeld, der unter anderem den mutmaßlichen Lübcke-Attentäter Stephan E. verteidigt hat.

Wenn doch journalistische Formate zitiert werden, dann etwa die österreichische Wochenzeitung Wochenblick, der ein enges Verhältnis zur rechtspopulistischen FPÖ nachgesagt wird. Die Information über den Lockdown, den die Stadt Nürnberg verhängt hat, wird genauso geteilt wie die über die Amokfahrt von Trier. Bei den "Corona Rebellen" taucht zudem der Link zu einem Artikel auf, in dem es um einen Politiker in Namibia geht: Dieser heiße Adolf Hitler.

In den Gruppen verbreiten außerdem AfD-Funktionäre Informationen aus politischen Gremien. Bernhard Kranich (Ex-AfD-Kreischef) teilt etwa am 22. November eine Nachricht von seinem Parteikollegen Johannes Huber bei den "Corona Rebellen", in der die Neuregelungen zum Infektionsschutz als "verfassungswidrig" bezeichnet werden. Die AfD-Beisitzerin im Kreisvorstand Melanie Hilz teilt am 25. Oktober in derselben Gruppe einen Brief an Landrat Helmut Petz (FW) und den Kreistag, in dem die Partei fordert, die Maskenpflicht im Schulunterricht zu kippen.

Vorlagen zur Verteidigung

Weiterer Zweck der Gruppen: verschiedene Vorlagen teilen, die den Mitgliedern helfen sollen, sich zur Wehr zu setzen - etwa gegen Journalisten. Es gibt im Kanal "Querdenken 8161-Aktiv" ein Musterschreiben für Pressebeschwerden. Adressaten werden darin "höflichst" aufgefordert, "Ihren Artikel innerhalb von einer Woche (...) richtigzustellen". Unter anderem ist die Rede von "unwahren Tatsachenbehauptungen, weil keiner auf den Demonstrationen die Existenz des Virus leugnet", von einer "Diffamierung der Motive". Es wird auf den Pressekodex verwiesen und gedroht: "Sollte ich von Ihnen keine Nachricht erhalten, wende ich mich mit einer Beschwerde an den deutschen Presserat." Auszüge dessen hat die Freisinger SZ in Mails zur Demo im November erhalten.

Von Journalisten werden in den Gruppen außerdem Telefonnummern und Mailadressen öffentlich geteilt. Ein Beispiel: Stefano Angelopoulos, einer der Sprecher bei der Freisinger Corona-Demo im November, teilt am Tag danach eine Beschwerdemail an den Verfasser des Demo-Berichts. Er ruft zur Nachahmung auf, mit Verweis auf Kontaktdaten. Später wird auch die Antwort geteilt. Mehrere Mitglieder loben das "Engagement". Über die Medien heißt es bei den "Corona Rebellen", dass sie sowieso immer lügen: "und wenns nix zum umdeuten gäbe dann würdens halt Geschichten erfinden der Propaganda-Mainstream." Verbunden ist der Post mit der Aufforderung, in der Arbeit oder beim Zahnarzt immer wieder auf die angeblichen Fake News hinzuweisen.

Auch wer sich von der Polizei falsch behandelt fühlt, findet Handlungsanweisungen. So wird in "Querdenken 8161" eine Anleitung zum Stellen von Strafanzeigen bei Polizeigewalt geteilt: Betroffene könnten selbst aktiv werden, heißt es in dem Beitrag, in dem auch ein Musterschreiben und eine Videoanleitung geteilt werden. In der gleichen Gruppe zu finden: der Link zu einer Petition an die Europäische Arzneimittel-Agentur, in der die Aussetzung klinischer Impf-Studien gefordert wird.

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Die Rolle der AfD-Vertreter

Warum nun sind - oder waren - AfD-Politiker in diesen Gruppen zugange? Der Freisinger Bundestagsabgeordnete Johannes Huber sagt: "um mit den Leuten im Wahlkreis in Kontakt zu bleiben". Er wolle wissen, was die Leute dort bewege. Aber müsste sich eine Partei, die wichtige politische Ämter besetzt, nicht von solch irren Theorien distanzieren? "Ich kenne nicht alle Inhalte in den Gruppen", sagt Huber - aber generell handle es sich bei den Beiträgen um reine Meinungsäußerungen, die jeder kundtun dürfe. Ob die Demokratie in Deutschland im Moment so funktioniere, wie sie soll? "Ich bekenne mich zur parlamentarischen Demokratie" - auch wenn er hinter der AfD-Forderung nach einer direkten Demokratie mit Volksabstimmungen stehe. Trotzdem, so findet Huber: "In der Gesellschaft ist etwas am Rutschen."

Etwas drastischer klingt es bei Gerhard-Michael Welter. In einem Facebook-Post hatte er Ende November an Beamte des Staatsschutzes gerichtet geschrieben: "(...) Ich möchte Euch aber auch an Euren Eid erinnern. Den habt Ihr weder auf #Merkel, #Söder, oder auf irgend eine andere #Diktatur oder #Diktator geleistet! (...)". Gegen ihn läuft in der Sache eine Strafanzeige. Auf die Frage, ob er finde, dass die Deutschen derzeit in einer Diktatur leben, antwortet Welter schriftlich: "Ja, definitiv. Das Umgehen des Parlaments und die Einschränkung der Grundrechte sind ein eindeutiges Zeichen von Diktatur."

Ob es nicht einen Unterschied zwischen sachlicher Kritik und Verschwörungstheorien gebe, dazu ist Gerhard-Michael Welters Eindruck, dass "alles was nicht Regierungs- und linken Massenmedienkonform ist", als Verschwörungstheorie abgetan werde. Er selbst habe keine solche Theorie verbreitet, und "ich kenne auch keinen in der AfD, der solch einen Unfug von sich gibt". Welter betont: "Ich stehe zur FDGO und handele Grundgesetzkonform." Die Abkürzung FDGO steht für Freiheitliche demokratische Grundordnung.

© SZ vom 12.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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