"Puzzlestück" für die mobile Zukunft:Datensammeln auf der Autobahn

"Puzzlestück" für die mobile Zukunft: Das Datenzentrum für autonomes Fahren in Unterschleißheim. 80 Teams stehen dort zur Verfügung, die sich immer wieder neu zusammenfinden, je nach aktueller Anforderung.

Das Datenzentrum für autonomes Fahren in Unterschleißheim. 80 Teams stehen dort zur Verfügung, die sich immer wieder neu zusammenfinden, je nach aktueller Anforderung.

(Foto: Gudrun Muschalla)

Für die Entwicklung selbstfahrender Fahrzeuge verarbeitet BMW in Unterschleißheim riesige Mengen an Informationen

Von Iris Hilberth, Unterschleißheim

Die bunt beklebten BMW-Fahrzeuge auf den Straßen rund um Unterschleißheim fallen auf. Der Schriftzug an der Seite bestätigt, dass es sich um jene Autos handelt, bei denen der Fahrer sich ruhig mal zurücklehnen, vielleicht auch lesen oder arbeiten kann. Die Maschine macht das schon, bringt einen hoffentlich unfallfrei ans Ziel: "Autonomous Driving Test Vehikel" eben. Bis ein solcher BMW aber sicher ganz ohne Fahrer für jedermann durch den Stadtverkehr kurvt, werden noch ein paar Jahre ins Land gehen. Einen weiteren Meilenstein dorthin hat der Automobilkonzern nun auf seinem Campus für autonomes Fahren an der Landshuter Allee in Unterschleißheim mit der Eröffnung des Data Centers geschafft.

"Ein wichtiges Puzzlestück" nennt Alejandro Vukotich, der neue Vize-Chef für diese Sparte bei BMW, das neue Datenzentrum, das sich ein paar Kilometer entfernt vom Campus befindet und 230 Petabyte Speicherplatz bietet. Es ist eine sichere Plattform, um die enormen Datenmengen, die die Testfahrzeuge liefern, zu selektieren, zu speichern und zu verwalten. 80 Testautos der Siebener-Baureihe von BMW sind weltweit derzeit unterwegs, um Kilometer zu sammeln. Fünf Millionen müssen in der Realität zusammenkommen, ergänzt durch 240 Millionen virtuelle Kilometer. Bis Ende 2019 soll die Flotte auf 140 Fahrzeuge aufgestockt werden.

Täglich werden so 1500 Terabyte neue Rohdaten gesammelt. Diese Menge an Daten entspricht etwa der Speicherkapazität von 23 000 iPhones X. Acht Stunden dauert es im Durchschnitt, die Daten nachts vom Fahrzeug zu übertragen, das tagsüber unterwegs war. Die 230 Petabyte der Plattform entsprechen laut BMW dem Speicherplatz der CDs, die 45 Wohnungen mit etwa 80 Quadratmetern und einer Raumhöhe von drei Metern komplett ausfüllen.

Im Herbst 2017 sind die ersten Mitarbeiter in das neue Gebäude auf dem Campus für autonomes Fahren eingezogen, vor einem Jahr war offizielle Eröffnung des Forschungsstandorts. Inzwischen arbeiten hier auf 23 000 Quadratmetern 1300 Ingenieure und Software-Entwickler, bis zum Jahr 2020 sollen es 1800 sein. Mit dem Einstieg in eine neue Mobilität geht BMW auch neue, moderne Wege in der Organisation der Arbeit. "Agiles Arbeiten" nennt sich das Modell, das völlig weggeht vom bisherigen Planen beim Autobauer. "Wir waren Planungsweltmeister und wussten genau, wo wir hin müssen", sagt Vukotich. Jetzt denkt man nur noch in Zwei-Wochen-Schritten, um flexibel auf die stets neu entstehenden Problemstellungen reagieren zu können. 80 Teams stehen in Unterschleißheim zur Verfügung, die sich immer wieder neu zusammenfinden, je nach Anforderung. "Die fassen an, wo es notwendig ist und haben hohe Eigenverantwortung", erläutert Vukotich die Arbeitsweise auf dem Campus. Die BMW Group sei das erste Unternehmen in der Automobilbranche, das das agile Arbeitsmodell konsequent und flächendeckend von der Forschung bis zur Serienentwicklung anwende, so der Konzern. "Das waren dramatische Veränderungen für meine Mitarbeiter, aber sie haben es positiv aufgenommen", sagt Data-Center-Chef Klaus Straub, "wir pushen uns damit in die neue Welt."

Noch haben die Testfahrzeuge den gesamten Kofferraum voll gepackt mit Hardware. Dieses riesige technische Equipment zum Datensammeln soll der BMW Vision i.Next World Flight nicht mehr haben, wenn er 2021 in Serie geht. Optional soll er dann über ein sogenanntes Level-drei-System verfügen, einen Autopiloten, der einen mit maximal 130 Stundenkilometern kutschiert - allerdings ausschließlich auf der Autobahn. Bis Level vier, also auch der Stadtverkehr, autonom sicher beherrschbar wird, muss noch längere Zeit erprobt werden. Als Teststrecke für die Autobahn nutzen die Unterschleißheimer häufig die Strecke nach Saarbrücken, mitunter geht es auch über den Brenner nach Norditalien. Ziel soll später einmal Hamburg werden. Für den urbanen Ernstfall biete München genügend Möglichkeiten, wie Richard Rau vom BMW-Entwicklungsteam bestätigt. "Hier finden wir alles, woran wir noch arbeiten", sagt er. Entsprechend würden dann die Routen ausgewählt - etwa mit vielen Linksabbiegerampeln.

Besondere Herausforderungen sind Kreisverkehre. Es müsse der genaue Zeitpunkt festgelegt werden, wann das Auto losfahren soll. "Wartet man zu lange, kommt man nicht rein", sagt Vukotich. Zu aggressiv soll die Fahrweise auch nicht sein. Auch das Einfädeln ist für die Entwickler eine Herausforderung. "Die Strategie, so nah heranfahren, bis einer Angst bekommt, wollen wir natürlich nicht verfolgen", so Rau.

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