Süddeutsche Zeitung

Psychiatrisches Gutachten gefordert:Chaos auf der Terminalstraße

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Zollbeamter kettet vermeintlichen Bombenbesitzer an Gepäckwagen

Von Gerhard Wilhelm, Flughafen

Was hat einen 40-jährigen Zollbeamten am 19. September 2016 getrieben, einen damals 31-jährigen Nigerianer, der nur nach Hause fliegen wollte, im Regen und in der Kälte um 4.45 Uhr morgens auf der Straße vor dem Terminal 1 am Flughafen festzusetzen, mit Handschellen an dessen Gepäckwagen gefesselt? Er selber wusste das auch nicht mehr, er habe den Ablauf nur aus den Akten und den Aussagen seiner Verteidigung rekonstruieren können, sagte der Angeklagte. Laut Staatsanwaltschaft hatte er eine Bombe im Gepäck des Mannes vermutet. Jetzt soll ein psychiatrisches Gutachten klären, wie weit der 40-Jährige damals zurechnungsfähig war.

Da der Angeklagte keine Aussagen zum Vorfall machen konnte, musste das Geschehen mittels Zeugenaussagen am Amtsgericht ermittelt werden. Für den Nigerianer, der seit 15 Jahren im österreichischen Linz wohnt, war der Morgen dramatisch. Er sei am Air France Schalter gestanden, als ihn der Angeklagte angesprochen habe, ob er Feuer habe. Da er Nichtraucher sei, habe er das verneint. Ein paar Minuten später sei der Mann zurück gekommen, habe gesagt, dass er Polizist sei, sich mit einer Art Plakette ausgewiesen, und behauptet, dass er eine Bombe im Gepäck habe. Der Mann habe ihn nach draußen gebeten, ihn an seinen Gepäckwagen gekettet und mitten auf die Straße gestellt. Für ihn sei das alles "unwirklich" gewesen, sagte der heute 33-Jährige, aber er habe gehorcht, weil der Mann verbal aggressiv gewesen sei. "Hätte er eine Waffe dabei gehabt, er hätte mich wohl erschossen", sagt er. Er sei sehr enttäuscht gewesen von dem angeblichen Polizisten, so was kenne er eher aus seiner Heimat.

Den Anblick, den der Nigerianer bot, schilderte ein Zeuge: "Da stand ein dünn angezogener, hilflos wirkender Mann an einem Gepäckwagen auf der mittleren Spur der Straße im Regen und fröstelte." Nachdem der 40-Jährige den vermeintlichen Bombenbesitzer angekettet hatte, sperrte er die Terminalstraße komplett, was offenbar zu chaotischen Zuständen führte. Weil der Angeklagte die Bombenwarnung weitergegeben hatte, kam als erstes ein Zollkollege zu Fuß zum nicht weit entfernten "Tatort". Der 40-Jährige haben anfangs "souverän" gewirkt und erklärt, dass er lange bei einem Sondereinsatzkommando gewesen und Experte im Entschärfen sei - wobei die Sache mit der Spezialeinheit stimmt. Doch als dann die ersten Beamten der Bundespolizei und kurz danach der Landespolizei gekommen seien, sei die Stimmung bei ihm gekippt und er sei zunehmend aufgebrachter geworden.

Eine 30-jährige Bundespolizistin, die mit ihrem Kollegen zuerst an der Terminalstraße angekommen war, sagte aus, dass ihr von Anfang an aufgefallen sei, dass er zwar eine Art Polizeischild an seiner Bauchtasche gehabt habe, dass sie aber alle Kollegen im Dienst kenne, auch die Zivilkräfte. Er habe ihr dann einen Ausweis vom Zoll gezeigt. Die Situation sei völlig unüberschaubar gewesen und der Angeklagte sei immer aufgebrachter geworden. Man habe ihn immer wieder abhalten müssen, wieder zum Gepäckwagen zu gehen. Einmal habe er sogar seinen Oberkörper im Regen entblößt.

Der angekettete "Bombenbesitzer" wurde kurz nach dem Eintreffen der beiden Bundespolizisten von der Beamtin vom Gepäckwagen befreit und aus dem Regen gebracht. Eine spätere Untersuchung seines Gepäcks ergab keinen Sprengkörper. Da hatte der Mann aber schon seinen Flug nach Hause verpasst. Den Flug am nächsten Tage habe ihm als Entschuldigung die Polizei bezahlt, sagte der Nigerianer.

Ein 46-Jähriger, der seine Eltern zum Flughafen gefahren hatte und ins Chaos geriet, sagte, für ihn habe die Aktion des Angeklagten etwas "clownhaftes" gehabt. Der 40-Jährige, der angeklagt ist wegen Freiheitsberaubung, Störung des öffentlichen Friedens und Amtsanmaßung, wird sich jetzt einer psychiatrischen Untersuchung stellen - was er bis zur Verhandlung verweigert hatte.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2018
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