Prozess:Zweifel an der Glaubwürdigkeit

Landgericht in Landshut setzt Prozess um Vergewaltigung mit Gutachten fort, alle Beteiligten sind geistig gehandicapt

Von Alexander Kappen, Landshut/Freising

Bereits im Dezember 2017 hatte sich ein heute 38-jähriger Freisinger wegen Vergewaltigung und versuchter Vergewaltigung vor dem Landshuter Landgericht verantworten müssen. Zu einem Urteil war das Gericht damals nicht gekommen, weil es sich nicht in der Lage sah, ohne Hilfe eines Gutachtens die Glaubwürdigkeit der beiden Hauptbelastungszeuginnen einzuschätzen. Sie sind, genauso wie der Angeklagte, geistig gehandicapt und benötigen im Alltag Betreuung. Nachdem die Verhandlung damals ausgesetzt worden war, wird sie nun vor der sechsten Strafkammer unter Vorsitz von Ralph Reiter fortgesetzt. Das am Montag vorgestellte Gutachten konnte die Glaubwürdigkeit der beiden vermeintlichen Opfer nicht einwandfrei belegen.

Der 38-jährige Freisinger führte seit dem Jahr 2008 eine Liebesbeziehung zu einer der beiden Frauen und zog 2009 mit ihr zusammen. Im Jahr 2010 soll er seine Freundin, als sie keinen Sex mit ihn haben wollte, mit der Faust ins Gesicht geschlagen und vergewaltigt haben. Wegen der Verletzung der Frau wurden die Betreuer auf die Sache aufmerksam. Nach einem Gespräch beschlossen die Beteiligten, von einer Anzeige abzusehen, wenn der Angeklagte sich in Therapie begebe. Das tat er dann auch.

Der Fall wurde jedoch wieder relevant, als im Jahr 2017 eine Bekannte des Angeklagten und seiner Freundin angab, dass der Beschuldigte in einer Einrichtung für Betreutes Wohnen in Freising versucht habe, auch sie zu vergewaltigen. Durch ihren Widerstand habe sie das jedoch verhindern können. Ein Betreuer meldete den Vorfall der Polizei. Das Gericht ordnete daraufhin die Unterbringung des Manns in einem Bezirkskrankenhaus an. Seit der Verhandlung vor einem Jahr ist er in einer Betreuungseinrichtung in Straubing untergebracht, in der nur Männer wohnen.

Der Angeklagte, der 2017 in der Polizeivernehmung die Tat gestanden hatte, zog dieses Geständnis in der Verhandlung damals wieder zurück. Bei der Fortsetzung am Montag machte er keine Angaben zur Sache. Den Widerruf des Geständnisses erhalte man aber aufrecht, so sein Verteidiger.

Die Psychologin, die das Glaubwürdigkeitsgutachten der beiden Belastungszeuginnen erstellt hatte, erläuterte ihr Vorgehen. Sie gehe zunächst von einer Falschaussage aus, um dann in Gesprächen herauszufinden, ob die Aussagen der Zeuginnen auf eigenen Erlebnissen basieren und ohne Zweifel zutreffend sind. Was die angeklagten Fälle anbelangt, sei eine gesicherte "erlebnisbasierte Erinnerung" nicht festzustellen. Bezüglich der versuchten Vergewaltigung sei das Aussageverhalten der Zeugin "nicht so konstant, wie es nötig wäre, es gibt doch gravierende Abweichungen".

Was die Freundin des Angeklagten angeht, könne sie "suggestive Verzerrungen" nicht ausschließen. Auch verfüge die Freundin, die den Vorwurf der Vergewaltigung in der Polizeivernehmung nicht aufrecht erhalten habe, über eine gewisse Erfindungsgabe: "Die Möglichkeit, dass fantasiert oder was erfunden wurde, steht weiter im Raum."

Motiv für eine mögliche Falschaussage könnte laut Gutachterin sein, "dass der Angeklagte vermehrt Pornos angesehen und auf Sex-Messen gegangen ist, seine Freundin fühlte sich wie Luft und war gekränkt". Auch Eifersucht könne im Spiel gewesen sein. Laut seiner Freundin habe der Angeklagte mit der Bekannten, die die versuchte Vergewaltigung angezeigt hatte, "einmal vor ihren Augen einvernehmlichen Sex". Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.

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