Prozess am Freisinger Amtsgericht:"Blackout" nach einem Streit im Zug

Prozess am Freisinger Amtsgericht: Für den Tod eines Motorradfahrers, der bei einem Unfall im Sommer 2019 verunglückt ist, gibt es keinen Alleinverantwortlichen. Ein Angeklagter wird darum freigesprochen.

Für den Tod eines Motorradfahrers, der bei einem Unfall im Sommer 2019 verunglückt ist, gibt es keinen Alleinverantwortlichen. Ein Angeklagter wird darum freigesprochen.

(Foto: Marco Einfeldt)

65-Jähriger packt eine 81-Jährige und schubst sie auf Höhe Moosburg in eine Sitzgruppe, nachdem er sich über die Frau geärgert hat. Vor Gericht akzeptiert er schließlich einen Strafbefehl über 400 Euro.

Von Alexander Kappen, Freising/Moosburg

Eigentlich fühlte er sich selbst als Opfer. Das ließ der 65-jährige Angeklagte immer wieder durchblicken. Deshalb hatte er wohl Einspruch gegen einen Strafbefehl wegen Körperverletzung eingelegt. Diesen hatte er erhalten, weil er im Juni 2018 bei einem Streit um einen Sitzplatz im Zug auf Höhe Moosburg eine heute 81-jährige Frau gepackt und in eine Sitzgruppe geworfen haben soll. In der Verhandlung am Freisinger Amtsgericht stellte sich am Montag jedoch heraus, dass sich die zu zahlenden 400 Euro aus dem Strafbefehl bei einem Urteil wohl eher noch erhöhen würden. Als Richterin Tanja Weihönig das dem Angeklagten mühsam nähergebracht hatte, zog er seinen Einspruch schließlich zurück.

Somit blieb es bei den zehn Tagessätzen zu je 40 Euro. "Mit zehn Tagessätzen sind wir eh schon absolut auf dem untersten Niveau", sagte die Richterin, "für eine Körperverletzung ist das eher untypisch, da sind wir normal im Bereich von 30 bis 40 Tagessätzen." So ganz einsehen wollte der Angeklagte das zunächst nicht, aber dann willigte er ein. So mussten nicht alle Zeugen gehört werden, das Verfahren ist beendet, sofern der 65-Jährige seine Strafe zahlt.

Die Bahnkundin setzte sich auf einen Platz, den der Angeklagte besetzen wollte

Auslöser war an besagtem Juni-Tag 2018, dass die 81-jährige Bahnkundin sich in einer Vierersitzgruppe auf den Platz setzte, der sich gegenüber dem Angeklagten befand, der gerade auf der Toilette war. Der Mann hat einen Behindertenausweis und Probleme mit dem Fuß, der an diesem Tag schmerzte, wie er erzählte. Deshalb habe er den Fuß auf den Sitz gegenüber gelegt - bis die 81-Jährige kam. Sie hatte zuvor auf einem anderen Platz gesessen. Dort war es ihr aber zu eng, sie hatte Angst, dass ihr schwindlig und übel werden könnte. Eine Zeugin, die zuvor neben der 81-Jährigen saß, ahnte schon Böses, wie sie berichtete. Der Angeklagte habe schon nach dem Einsteigen in München eine Tasche auf den Sitz gegenüber gelegt und zwei Leute abgewiesen. Als die 81-Jährige sich später dort niederließ, "habe ich mir gedacht: Au weh, das gibt Ärger".

Tatsächlich war der Angeklagte nach seiner Rückkehr von der Toilette ziemlich erbost, wie er selber zugab: "Das war dreist von der Frau." Er forderte sie auf, den Sitz zu verlassen, weil er ihn für seinen Fuß brauche. Diese weigerte sich jedoch. "Sie hat gesagt, sie bleibt jetzt", so der Angeklagte, "das hat mich geärgert." Laut der Zeugin beschimpfte der Angeklagte die 81-Jährige noch eine Zeit lang. Diese sei jedoch erstaunlich ruhig geblieben und habe nicht darauf reagiert. Nachdem einige Passagiere ausgestiegen waren, machte ein anderer Fahrgast den Angeklagten offenbar darauf aufmerksam, dass eine andere Sitzgruppe frei sei, und sagte ihm, er solle sich dorthin setzen. Der 65-Jährige tat das auch - schimpfte aber weiter.

Die Sache wurde der Polizei gemeldet

Dann deutete er offenbar auf eine Stofftasche am Boden "und sagte zu mir: Heb das auf!", erzählte die 81-Jährige der Richterin. "Ich habe gesagt: Das gehört mir nicht." Daraufhin habe der Angeklagte sie am Arm gepackt "und in eine Sitzgruppe geschmissen - das war entwürdigend, ich habe geschrien, was ich konnte". Die Frau, sie ist Herzpatientin und nimmt Medikamente, erlitt einen blauen Fleck. Fünf, bis zehn Sekunden habe er sie festgehalten, schätzte der Angeklagte. Dann kam die Schaffnerin. Schließlich wurde die Sache der Polizei gemeldet.

Der 65-Jährige sprach von einem "Blackout, ich weiß, so was tut man nicht". Andererseits sah er sich von der 81-Jährigen und der Zeugin ungerecht behandelt: "Was die da erzählen - die organisieren direkt ein Verbrechen, das ist Behindertendiskriminierung." Er könne, auch wenn er sich ärgere, nicht einfach jemanden packen und wegdrücken, sagte die Richterin: "Das nächste Mal holen Sie die Schaffnerin, fragen nach einem behindertengerechten Platz und fangen keinen Streit an."

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