Süddeutsche Zeitung

Politischer Salon in Freising:"Judenfeindlichkeit ist wieder salonfähig geworden"

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, spricht über offenen Hass und den Einzug der AfD in den Bundestag.

Von Petra Schnirch, Freising

Charlotte Knobloch sagt von sich, sie sei eigentlich eine Optimistin. Dazu hätte sie auch guten Grund, denn die jüdischen Gemeinden in Bayern sind nach ihren Worten inzwischen "gut aufgestellt". Sie spricht aber von "größer werdenden Fragenzeichen" und Zweifeln, gegen die sie sich nicht wehren könne. Mit Sätzen wie diesen stimmte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München und Oberbayern das Publikum des neunten politischen Salons im Kardinal-Döpfner-Haus sehr nachdenklich. Offener Hass und Antisemitismus ergriffen auch Teile der bürgerlichen Mitte, sagte sie. "Judenfeindlichkeit ist wieder salonfähig geworden."

Auf Einladung von Staatskanzleichef Florian Herrmann war die 85-Jährige zusammen mit Steven Guttmann, als Vertreter der jüngeren Generation, nach Freising gekommen, um über Perspektiven jüdischen Lebens in Deutschland zu sprechen. Das Interesse war groß, fast 100 Leute waren der Einladung gefolgt.

Dass die AfD in den Bundestag einzogen ist, ist für Knobloch eine Zäsur

Die positive Entwicklung nach 1945 hätte sie als junges Mädchen nicht für möglich gehalten, räumte Charlotte Knobloch ein. Sie war damals nach München zurückgekehrt, nachdem eine fränkische Bauersfamilie sie vor der Deportation bewahrt hatte. Anfang der Fünfzigerjahre wollte sie mit ihrem Mann zunächst auswandern, inzwischen sagt sie ganz klar: "Bayern ist meine Heimat". Die Eröffnung des Gemeindezentrums mit der 2006 geweihten Synagoge in der Münchner Stadtmitte bezeichnet sie als "Herzensangelegenheit" und "Initialzündung für die ganze Republik", denn weitere Synagogen folgten. Dennoch sei es "keine makellose Erfolgsgeschichte".

Hass und Vorurteile seien zunächst hauptsächlich über das Internet verbreitet worden, inzwischen kursierten sie oft darüber hinaus. Auch in München würden jüdische Schüler angegriffen. Dass die AfD in den Bundestag einzogen ist, ist für Knobloch eine Zäsur. "Ausgrenzung, Rassismus und Menschenverachtung" seien in die Parlamente eingezogen. Dies hätte vermieden werden müssen, "die wehrhafte Demokratie hat hier leider versagt", bilanzierte die 85-Jährige. Auch muslimische Verbände müssten in die Pflicht genommen werden. Knobloch vermisst parteiübergreifende Lösungen, "um den Rechten das Wasser abzugraben". Ihre Hoffnung ruht nun auf Bayern, wie sie mit Blick auf die Landtagswahl im Herbst sagte.

Es sei nicht normal, wenn jüdische Kindergartenkinder an Polizeibeamten vorbeigehen müssen, sagt Steven Guttmann

Steven Guttmann, 31, schilderte, dass er "recht unbeschwert aufgewachsen" sei. Mit der zionistischen Jugend habe er sich an Infoständen über Israel beteiligt, ohne dass es Anfeindungen gegeben hätte. Er habe damals nie verstanden, dass seine Großmutter gesagt habe, sie sitze auf gepackten Koffern. Verschwunden sei seine Unbedarftheit 2014 angesichts der Hass-Parolen bei einer Anti-Israel-Demonstration in München. Nun sagt auch er, dass es kein normaler Zustand sei, wenn jüdische Kindergartenkinder an Polizeibeamten vorbeigehen müssten.

Normalität herrsche erst dann, wenn solche Vorkehrungen nicht mehr gebraucht würden. Guttmann hätte sich gewünscht, dass die Politik schneller gegen Hasskommentar durchgegriffen hätte. Dies sei erst passiert, als sich gleichartige Kommentare gegen Flüchtlinge gerichtet hätten. Er spricht sich für mehr Aufklärung aus, "um die Unwissenheit an der Wurzel zu bekämpfen". Aktivitäten, wie einen Antisemitismusbeauftragten im Bund, wären schon vor zwei, drei Jahren nötig gewesen, ergänzte Knobloch. Ihr Appell: Die Leute sollten sich auch mal einmischen, wenn, zum Beispiel an Stammtischen, Vorurteile verbreitet werden.

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SZ vom 11.04.2018/zim
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