Süddeutsche Zeitung

Politik des ständigen Wachstums:Die Wohnungsnot spitzt sich zu

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Diakonie und Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit schlagen Alarm, immer mehr Menschen sind gefährdet. Überall fehlen Sozialwohnungen. Jetzt will man die Präventionsarbeit auf dem Land verbessern.

Von Mark Geiger, Freising

Die Wohnungsnot im Landkreis wird immer größer. Beate Drobniak, Leiterin der Diakonie, fordert darum mit Nachdruck, dass jetzt schnell gehandelt wird: "Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum. Bezahlbar für mittlere und untere Gehälter." Zudem mahnt sie bei Vermietern "Offenheit denen gegenüber, die weniger haben" an. Drobniaks Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit (FOL) läutet ebenfalls alle Alarmglocken. Prävention ist dort das Schlagwort. "Entscheidend für den Erfolg ist, in welcher Phase der Betroffene mit uns Kontakt aufnimmt", erklärt Ninja Flux, Leiterin der Fachstelle. "Je früher jemand kommt, umso größer sind die Chancen, durch Gespräche mit den Vermietern eine Kündigung zu verhindern." 2017 betreute die FOL 69 Fälle erfolgreich. 195 Menschen blieb der bittere Gang in eine Notunterkunft erspart. Nur in neun Fällen war nichts mehr zu machen.

Freuen kann sich Flux aber nicht. Die Zahl der Betroffenen steigt jährlich: 2017 zählte die Fachstelle 150 neue Fälle - 371 Erwachsene und 143 Kinder. Besonders alleinerziehende Mütter sind gefährdet - und schwer zu vermitteln: "Sie verdienen meist nicht viel. Aber selbst gut verdienende Mütter finden häufig keine Wohnung. Die Vermieter nehmen lieber Familien", so Flux. Zu niedrige Gehälter bei zu hohen Mietpreisen sieht sie als das große Problem - und falsche Versprechen der Politik: "Freising wurde durch den Flughafen stark belastet. Es wurde behauptet, er schaffe Arbeitsplätze. Viele davon liegen aber im Niedriglohnbereich." Zudem stehen bezahlbare Wohnungen häufig auf dem Land. Mangels Nahverkehr wird dann ein zweites Auto nötig. Zu teuer für viele: "Es wäre gut, wenn endlich in jedem Dorf jede Stunde der Bus ginge", fordert Flux.

In der Stadt Freising ist das Amt für Soziales und Wohnen zuständig, dort sieht man die Situation nicht minder dringend. Leiter Robert Zellner beobachtet eine gefährliche Entwicklung: "Vor 15 bis 20 Jahren habe ich im Jahr rund 100 Wohnungen vergeben können. Letztes Jahr waren es zehn Stück." Auch sein Amt arbeitet vorbeugend. Im Raum stehe immer die Frage: "Macht die Erhaltung der Wohnung Sinn?" Häufig dreht es sich um das Gehalt der Notleidenden: "Wir können vielen Leuten oft nur raten: Ihr verdient zu wenig, zieht besser weg. Bei einem Gehalt unter 3000 Euro brutto lohnt sich das hier nicht mehr." Aus Zellner sprechen Ärger und Frustration. Gerne würde er mehr Menschen helfen, "aber man muss leider auch hart sein. Manche Fälle sind hier nicht vermittelbar. Es wäre falsch, dann Hoffnungen zu schüren."

Viel mehr Wohnungen könne man nicht bauen: Es gebe kein Bauland mehr

Zellner macht die Politik des ständigen Wachstums verantwortlich: "Immer mehr kommen in den Großraum München. Alle wollen hier arbeiten und mieten irgendein Kellerloch. Dann verdienen sie nur 1000 Euro in einem Lokal am Flughafen, kommen zu uns und wollen plötzlich eine Sozialwohnung. So geht das aber nicht." Als Lösung bezeichnen Politik und Wirtschaft gerne die Verdichtung. Zellner versetzt dieses Wort aber in Wut: "Das bringt gar nichts. Wir bauen 100 bis 130 neue Sozialwohnungen, haben aber auf 15 000 Einwohner in Freising nur 1000 Stück." Tatsächlich bräuchte er viel mehr Heimstätten: "600 neue und nach zwei Jahren die gleiche Summe wieder." Den Politikern und Privatleuten wirft er Geschwafel vor: "Wir können gar nicht soviel bauen, es gibt kein Bauland mehr. Alles heiße Luft." Seine Prognose für 2018 betrübt. Erneut wird er wohl nur zehn freie Sozialwohnungen zur Verfügung haben. Zu wenig.

Seit Mitte Juli arbeitet Zellners Amt verstärkt mit der Caritas Freising zusammen. "Wir wollen Wohnungen auch außerhalb des Landkreises vermitteln", erklärt Sozialpädagogin Christiane Buser das gemeinsame Ziel. Die erste Bilanz ist ernüchternd: "Nach drei Monaten kam noch kein Umzug zustande." Oft scheitert es am Schufa-Eintrag und der Ablehnung durch Vermieter. Auch die hohen Mietpreise stehen jeder Hilfe im Weg: "Die Verweildauer in den Notunterkünften steigt. Auf dem freien Markt ist es fast unmöglich, die Leute zu vermitteln. Man findet ja selbst kaum eine Wohnung." Treffen kann der Notstand jeden. Schicksalsschläge wie Scheidungen, Entlassungen oder Unfälle führen schnell zu Mietschulden. Eigenbedarfskündigungen bringen sogar die Mittelschicht in Bedrängnis. Rund 120 Haushalte "aller Altersschichten und Hintergründe" betreut die Caritas im Stadtgebiet.

Um die Vernetzung der Gemeinden auf dem Land zu stärken, die sehr eigenständig arbeiten, veranstaltet die Fachstelle der Diakonie Ende Oktober einen Fachtag. "Wir wollen besonders die Präventionsarbeit gemeinsam verbessern", sagt Flux. Bedrohte Haushalte könnten davon profitieren. Bezahlbaren Wohnraum aber schafft das leider nicht.

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Quelle:
SZ vom 29.10.2018
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