Podiumsdiskussion in Freising:"Lehrkräfte werden regelrecht im Stich gelassen"

Podiumsdiskussion in Freising: Auf großes Interesse stieß die Podiumsdiskussion der Freisinger Volkshochschule zum Thema Inklusion in Schulen.

Auf großes Interesse stieß die Podiumsdiskussion der Freisinger Volkshochschule zum Thema Inklusion in Schulen.

(Foto: Marco Einfeldt)

Inklusion an den Schulen gibt es, doch wegen Personalmangels tragen die Lasten oft die Regelschullehrerinnen und Kinder

Von Johann Kirchberger, Freising

"Schulische Inklusion - ein weites Feld" hat die Volkshochschule eine Diskussionsveranstaltung überschrieben, und in der engagierten Runde aus Fachleuten, Betroffenen und Interessierten wurde dann auch mehr als deutlich, wie weit dieses Feld ist. Inklusion bedeutet, jedes Kind da abzuholen, wo es steht, sagte Moderatorin und Bürgermeisterin Eva Bönig. Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen zu lassen, sie gemeinsam zu unterrichten, ist freilich alles andere als einfach, wie sich auch herausstellte.

Denn die Arten der Behinderung sind vielfältig. Es gibt Kinder mit Lernschwierigkeiten, mit Seh- oder Hörbeeinträchtigung, mit Schwierigkeiten beim Sprechen, Kinder mit körperlicher oder motorischer Beeinträchtigung, Kinder mit chronischen Krankheiten wie Herzfehler oder Diabetes, Kinder mit auffälligem oder auch autistischem Verhalten. Alle müssen auf unterschiedliche Art und Weise behandelt und gefördert werden. In Freising seien die meisten Schulen inklusionsfähig gemacht worden, sagte Schulreferentin Ricarda Schindler. Es gebe Kooperations-, Partner- und Tandemklassen und Schulen mit dem Profil Inklusion. Es wurde auch viel getan, gestand Bönig zu, aber die Runde war sich auch einig, dass noch viel getan werden müsse.

Das A und O der Inklusion sei die Haltung, sagte Eva Vielhuber, Leiterin eines integrativen Kindergartens und Mitglied im Verein Junge Herzen, die Haltung der Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderung. Änderungen könnten aber nur von der Basis aus erfolgen. Auf den Staat zu warten, sei wenig zielführend. Früher seien Menschen mit Behinderung versteckt worden, erinnerte Franz Burger, ehemaliger Geschäftsführer der Freisinger Lebenshilfe, heute beginne die Inklusion oft schon im Kindergarten und werde in den Schulen fortgesetzt. Gemeinsamer Unterricht sei gut und erstrebenswert, Inklusion nach einer UN-Konvention ein Menschenrecht. Aber es brauche auch Förderschulen, so lange die sachliche Ausstattung in den Regelschulen nicht gesichert sei.

Doch vor allem bei der personellen Ausstattung der Schulen liege noch vieles im Argen, wusste Rudolf Weichs, stellvertretender Kreisvorsitzender des bayerischen Lehrerverbands (BLLV) und Schulleiter mit Inklusionserfahrung in Freising (St. Korbinian) und aktuell in Hallbergmoos. Wenn eine Lehrkraft ohne sonderpädagogische Ausbildung in eine Klasse mit 26 Schülern geschickt werde, um sich dort gleichzeitig um Hochbegabte und um Kinder mit speziellem Förderbedarf zu kümmern, werde sie regelrecht im Stich gelassen. Notwendig in solchen Klassen sei eine zweite Lehrkraft. Schulbegleiter, die sich eigentlich nur um ein Kind kümmern dürfen, reichten da nicht. Seit Jahren habe der BLLV auf den sich abzeichnenden Lehrermangel hingewiesen, aber der Staat habe immer nur aufs Geld geschaut. Es müssten dringend mehr Lehrer ausgebildet und das Studium umstrukturiert werden. An den Schulen müssten die Rahmenbedingungen stimmen, forderte Weichs, sonst würden letztlich die Kinder benachteiligt.

Bei Holger Kiesel, Behindertenbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung, rannte er damit offene Türen ein. Den Personalmangel an den Schulen und den allgemeinen Fachkräftemangel sah er als Hauptproblem. Er wünschte sich aber auch mehr Reformwillen der Staatsregierung. Die Rahmenbedingungen müssten verbessert und alternative Unterrichtsformen erwogen werden. Geklärt werden müsse etwa, was Schulbegleiter dürften. Eigentlich dürften die nämlich nicht pädagogisch arbeiten, sondern sich nur um das von ihnen zu betreuende Kind kümmern. Burger forderte daher eine Professionalisierung der Schulbegleitung, Kiesel allerdings betonte, wichtiger als eine bessere Ausbildung der Schulbegleiter sei ihm ein zweiter Pädagoge in der Klasse.

Was den Staat anbelangt, zeigte sich Burger skeptisch. Dem fehle ein Plan, wie Inklusion vorangetrieben werden könne. Werde kein gesellschaftlicher Druck ausgeübt, passiere in zehn Jahren noch nichts. Auch deshalb ermunterten die Diskutanten die anwesenden Mütter, die ihre Erlebnisse mit staatlichen und kommunalen Stellen teils recht emotional schilderten, sich zu vernetzen. Robert Wäger, Landratskandidat der Grünen und Zweiter Vorsitzender der Lebenshilfe, fragte Kiesel, wie er Inklusion definiere. "Inklusion ist dann, wenn man das Wort nicht mehr braucht", antwortete dieser. Ob und wann es dazu komme, sei eine Frage politischer Prioritäten.

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