Pirat mit NPD-Vergangenheit:Gestrandet

Valentin Seipt bezeichnet es als "Jugendsünde": Vor vier Jahren tritt der junge Mann in die rechtsextreme NPD ein. Doch dann entfernt sich Seipt von den Rechten - und wird Pirat. Er ist nicht der einzige Überläufer aus der rechten Szene. Eine Geschichte mit Widersprüchen.

Christian Gschwendtner

Valentin Seipt blickt nach unten zur Tischkante und verschränkt die Arme schützend vor seinem Körper. Das wirkt so, als erwarte er jeden Augenblick einen Angriff auf seine Person. Denn die Vergangenheit hat den 25-jährigen Systemadministrator eingeholt. Vor knapp einer Woche ist er mit sofortiger Wirkung von seinem Amt als Kreisvorsitzender der Freisinger Piratenpartei zurückgetreten, nachdem seine frühere Mitgliedschaft bei der NPD bekannt wurde.

Piraten Partei und Scientology

Transparenz in der Politik wird bei der Piratenpartei groß geschrieben, doch nicht alle Mitglieder nehmen es mit der Offenheit so genau, wenn es um ihre eigene politische Vergangenheit geht.

(Foto: dpa)

Die vergangenen Tage haben Spuren bei Valentin Seipt hinterlassen. Er wirkt nachdenklich an diesem Abend im Café. Weit über die Grenzen der Domstadt hinaus sorgte sein unfreiwilliges Outing für Gesprächsstoff. Das liegt an dem sensationellen Wahlergebnis der Piraten bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus.

Das liegt aber auch an weiteren aktuellen Skandalen um Parteimitglieder mit Wurzeln im rechtsextremen Milieu. Im Kreistag in Vorpommern-Greifswald sitzt mit Matthias Bahner ein weiteres früheres NPD-Parteimitglied. Bahner bekannte sich am gleichen Tag wie Valentin Seipt zu seiner "Jugendsünde".

Wird der auf ihr frisches und unverbrauchtes Image bauenden Piratenpartei mit solchen Negativschlagzeilen nun der Wind aus den Segeln genommen? Der Landesverband Bayern bemühte sich am vergangenen Mittwoch in einer allgemeinen Presseerklärung zu früheren Mitgliedern der NPD um Schadensbegrenzung. "Totalitäre, diktatorische und faschistische Bestrebungen jeder Art lehnt die Piratenpartei Deutschland entschieden ab." Doch da war die Lawine längst losgetreten, Valentin Seipt wenig später mit seiner Geschichte in den Schlagzeilen.

Er rührt mit einem Strohhalm in seinem Glas. Der Kopf bleibt gesenkt, nur zur Unterstützung seiner Erklärungsmanöver wird von Zeit zu Zeit der Blickkontakt gesucht. "Ich hatte damals die politische Küngelei, den Parteienfilz und die Mauscheleien der etablierten Parteien in den Hinterzimmern satt. Privat war ich auch in keiner einfachen Situation." Der politikverdrossene Berufsschüler wollte den Eltern nicht länger auf der Tasche liegen.

Seipt hat dann zu einer Art politischem Rundumschlag ausgeholt, den ganzen Frust kanalisiert, die eigenen Probleme schriftlich allen Parteien im politischen Spektrum geschildert. Neben einer patzigen Antwort der Linkspartei sei ihm allein die NPD mit ihrer laut Seipt "äußerst effektiven Jugendarbeit" offen begegnet.

Seine politische Bildung von damals hätte - rückblickend besehen - dem Niveau einer großen deutschen Boulevardzeitung entsprochen, sagt er noch entschuldigend. "Klar waren die Rechten auch für mich irgendwie die Bösen, die Holocaustleugner. Aber ich habe mich einfach von den wortgewandten Biedermännern belabern lassen."

Brainwashing, Rattenfänger, Anzugträger mit hypnotischen Fähigkeiten

Doch Widersprüche bleiben. Nach seinem Eintritt im Jahr 2007 ist Valentin Seipt bald fester Bestandteil der rechten Szene in Freising. Knapp ein Jahr später sei er in einer Gaststätte in Neustift zum stellvertretenden Kreisvorsitzenden der Rechtsnationalen gewählt worden, berichtet er - und wieder folgt eine Rechtfertigung: "Da hat es geheißen, du musst das machen, wir brauchen dich.

Valentin Seibt

Valentin Seipt musste als Kreisvorsitzender der Piratenpartei zurücktreten.

(Foto: privat)

Der NPD-Kreisvorsitzende Dirk Reifenstein hat mit seinen Verbindungen zu den Freien Kameradschaften besonderen Druck ausgeübt." Seipt beschreibt den Dunstkreis der Rechtsextremen als hermetisch abgeriegelte Sekte und jongliert mit dem üblichen Wortrepertoire: Brainwashing, Rattenfänger, Anzugträger mit hypnotischen Fähigkeiten.

Als Opfer möchte er dennoch nicht gesehen werden. Der gelernte Systemelektroniker bemüht sich, plausible Gründe für seinen zwei Jahre andauernden Fehltritt ins Feld zu führen. Er rechtfertigt sich, laviert, wiegelt ab. Irgendwann habe man mit ihm nicht mehr über Inhalte diskutieren können. Die Parolen der Rechten seien ihm unkritisch über die Lippen gegangen. Er habe nichts hinterfragt.

Seipt beschreibt seine Teilnahme am Landesparteitag der NPD in Günzburg: "Man saß an den Tischen und redete mit seinem Tischnachbarn. Die anderen oben haben irgendwas gemacht."

Vielleicht hilft das Internetvokabular weiter. In der digitalen Welt schallt einem gerne mal als Antwort "Too long; didn't read" entgegen, kurz "TL;DR". Zu umfangreich - der Adressat Seipt war offenbar nicht bereit, sich durch den "Text" der NPD zu quälen. Ist dies das Motto von Seipts politischer Vergangenheit bei den Rechtsextremisten?

Heute steht ihm die Technikbegeisterung ins Gesicht geschrieben. Das Smartphone ist sein Navigator im Alltag, die Bezeichnung "Nerd" wie eine Ehrenmedaille. Um dies zu bestärken, geht Seipt in eine aufrechte Sitzhaltung über.

Überhaupt, seine Körpersprache: Kommt man auf seine Trennung von der rechten Szene zu sprechen, folgt eine reflexartige Rückkehr in den Abwehrmodus. Der Ausstieg aus der rechten Szene, sagt er, sei für ihn schwer gewesen. "Nach einem längeren inneren Erkenntnisprozess habe ich einen radikalen Cut gezogen. Ohne den Rückhalt meiner Eltern hätte ich dazu nicht die Kraft aufbringen können."

Widersprüche bleiben

Bernd Wagner, der Gründer und Leiter des Aussteigerprogramms Exit, unterstützt seit 21 Jahren Menschen, die sich vom Rechtsextremismus lossagen wollen. Als permanenter Außenbegleiter kennt er die Situation, wie kaum ein anderer. "Entscheidend ist der eigene Wille, es unbedingt schaffen zu wollen. Das ist die halbe Miete. Wir können an dieser Stelle mit Analysen, persönlicher Begleitung und individuell entworfenen Ausstiegsszenarien nur Hilfe zur Selbsthilfe anbieten." Von den Mitgliedern aus der rechtsextremen Szene, die den Kontakt zu Exit gesucht hätten, seien seit Gründung der Initiative nur acht Personen rückfällig geworden.

Valentin Seipt hat sich zusammen mit einem Freund an dieser Methode orientiert, jedoch auf eigene Faust. Der persönliche Kontakt sei nicht zustande gekommen. Einen Vorwurf, den der Diplom-Kriminalist Wagner zurückweist. "Kommunikationsschwierigkeiten können auch bei Exit nicht ausgeschlossen werden. Aber jeder, der es ernst meint mit dem Ausstieg, der nimmt diese Mühen auf sich."

Von den braunen Kameraden zu den Piraten war es dann nur ein kurzer Weg. Beim Stöbern im Netz war Valentin Seipt auf die Agenda der Piraten aufmerksam geworden. Während des Bundestagswahlkampfes 2009 ist aus den anfänglichen Sympathien glühende Begeisterung für die Netzpartei entstanden. Drei Monate nach seinem formalen Austritt aus der NPD hob der zukünftige Vorsitzende Valentin Seipt mit vier weiteren Mitstreitern den Piraten-Kreisverband Freising aus der Taufe. Das war am 17. Januar 2010.

Transparenz. Valentin Seipt hebt den Kopf, als spräche er zu einem versammelten Auditorium. Seine Augen leuchten durch die Brillengläser. Transparenz, das Alleinstellungsmerkmal der Piraten, liege ihm besonders am Herzen. "Transparenz im politischen Betrieb, statt Heimlichkeiten und Filz. Oder auch Bürgerrechte statt Dauerüberwachung von der Wiege bis zur Bahre." Die Leidenschaft des 25-Jährigen ist zu spüren, seinen Schutzpanzer braucht er jetzt nicht mehr. Er wirft ihn über Bord.

Nur die Widersprüche bleiben. Warum das späte Bekenntnis zur eigenen Vergangenheit, erst nachdem der rechtsextreme Aktionsbund Freising die Geschichte publik machte? Warum spricht Seipt nicht über die genauen Umstände seines Verstoßes gegen den Grundgesetz-Artikel 86a? Welches Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation damals auf seinem T-Shirt prangte, erfährt man nicht.

Mittlerweile fühle er sich befreit, sagt der ehemalige Kreisvorsitzende. Ein Stein sei ihm buchstäblich vom Herzen gefallen. "Als Inhaber eines Amtes war es ein Fehler, nicht offen mit meiner Vergangenheit umzugehen. Aber ich habe mich dafür geschämt und Vorurteile gefürchtet. In meinem ganzen Freundeskreis wusste niemand davon."

Der Systemadministrator ist inzwischen in die Offensive gegangen. Er stellt sich der Öffentlichkeit und ist damit auf einer Linie mit den Piraten. Man müsse die Menschen vorbehaltslos über die politische Vergangenheit informieren. Im Gegenzug solle jeder bei den Piraten aber eine zweite Chance bekommen. Valentin Seipt möchte deshalb jetzt nach vorne blicken.

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