Pestizide in der Landwirtschaft:"Konzentrationen im Nanobereich"

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Laut einer neuen Studie verbreiten sich die in der Landwirtschaft verwendeten Pestizide weiter als bisher gedacht. (Foto: dpa)

Laut einer neuen Studie verbreiten sich Pflanzenschutzmittel weiter als bisher gedacht. Vertreter von Bauernverband und LfL in Freising warnen aber davor, konventionelle Bauern als Umweltvergifter abzustempeln.

Von Alexandra Vettori, Freising

Gerade ist die Aufregung um Insektensterben und Volksbegehren zur Artenvielfalt abgeklungen, da schreckt eine neue Studie auf: Danach verbreiten sich die in der Landwirtschaft verwendeten Pestizide und deren Abbauprodukte weiter als bisher gedacht. Gemessen wurde an 163 Standorten in Deutschland, im Auftrag des "Bündnisses für eine enkeltaugliche Landwirtschaft" und des Umweltinstituts München. Das Ergebnis: An rund drei Vierteln der Standorte, auch in Naturschutzgebieten, wurden wenigstens fünf Pestizidreste gefunden, oft dabei war das als krebserregend verdächtigte Glyphosat.

Auch beim Bayerischen Bauernverband im Landkreis Freising hat man von der Studie gehört. "Ein unschönes Thema", sagt Geschäftsführer Gerhard Stock. Angst vor einem Gesundheitsrisiko durch die Luftschadstoffe hält er aber für unbegründet. "Man hat da heute sehr feine Messmethoden", betont er mit Hinweis auf die gefundenen Konzentrationen weit unter den Grenzwerten. Einmal mehr warnt Stock davor, konventionelle Bauern als Umweltvergifter abzustempeln. Möglichst sicher und ausreichend hochwertige und lagerfähige Lebensmittel zu erzeugen, sei ohne chemischen Pflanzenschutz kaum möglich.

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Dabei werden die Mittel auch auf Flächen eingesetzt, die nicht direkt der Nahrungsmittelproduktion dienen. Immer öfter und staatlich gefördert pflanzen Bauern so genannte Zwischenfrüchte an, etwa Senf, Sonnenblume oder Leguminosen. Sie sorgen für eine natürliche Düngung und ein besseres Wasser-Aufnahmevermögen des Bodens und beugen Winderosion vor. Auch für die Insektenwelt sind sie ein vorübergehende Bereicherung. Dennoch sind die blühenden Felder bei Umweltschützern teils in Verruf geraten, denn ausgerechnet hier wird oft das umstrittene Totalherbizid Glyphosat eingesetzt.

Das räumt auch Gerhard Stock ein, betont aber, dass die meisten Bauern Zwischenfrüchte am Ende der Blühperiode mechanisch bearbeiteten. Chemische Mittel würden nur im Frühjahr eingesetzt. Da nämlich, wo die Zwischensaat nicht abgefroren sei. "Dann habe ich im Frühjahr eine grüne Masse mit Ackerunkräutern, für die neue Saat brauche ich aber eine feinkrümelige Krume", erklärt Stock. Er betont, mechanische Bearbeitung sei da nicht unbedingt besser für Boden und Umwelt.

In diese Richtung argumentiert auch Klaus Gehring vom Institut für Pflanzenschutz der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) in Freising. Wo auf Zwischensaaten im Frühjahr Glyphosat ausgebracht werde, müsse man im Laufe des Jahres bei der Hauptfrucht weniger spritzen. Auch er sagt, mechanische Behandlung sei eine massive Einwirkung auf den Boden, der als blanker Acker zurückbleibe. "Ein Hauptaugenmerk muss aber in Reinkulturen auf der Erosionsvermeidung liegen. Es ist wie im echten Leben: Die Medaille hat zwei Seiten." Für ihn ist die Aufregung um die neue Studie ein "Medien-Hype", hervorgerufen durch alarmistische Nichtregierungsorganisationen. Dass es Verdriftungen gebe, sei lange bekannt, auch lägen die gefundenen Konzentrationen im Nanobereich: "Das ist eine analytische Bestätigung, der Wirkstoff ist da. Aber das sagt nichts über das tatsächliche Gefährdungspotenzial aus."

Wie die Zukunft der Landwirtschaft aussieht, die zumindest im Landkreis Freising noch so ist, wie sie sich der Verbraucher wünscht, nämlich kleinbäuerlich, da machen sich die Fachleute wenig Hoffnung. Otto Roski, Leiter des Amts für Landwirtschaft Erding, das auch für den Landkreis Freising zuständig ist, befürchtet, dass die Zahl der Betriebe weiter sinkt: "Das sind vorwiegend überschaubare Familienbetriebe, für sie bedeutet das neuen Gegenwind." Denn was Umweltschützer freut, nämlich der Plan der EU, eine jährliche aktive Dokumentation des Pestizid-Einsatzes für Landwirte, ist für viele ein Horror, nicht nur wegen der Büroarbeit. "Dann hätten wir einen gläsernen Betrieb", so Gehring von der LfL. Auch wenn es sicher noch Jahre dauere, bis derlei Vorgaben umgesetzt würden, treiben die Pläne seiner Ansicht nach den bäuerlichen Strukturwandel an.

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Der Wirkstoff sei da, das sage aber über das Gefährdungspotenzial nichts aus, so Klaus Gehring von der Landesanstalt für Landwirtschaft

1532 Höfe gibt es derzeit im Landkreis Freising, 147 davon sind Biobetriebe. Ob die Zukunft darin liegt, weiß niemand, Fakt ist, ihre Zahl steigt. Doch für die besseren Preise muss einiges getan werden, nicht nur bei der aufwendigeren Bearbeitung der Felder. Wie BBV-Kreisvorsitzender Gerhard Stock betont, brauchen Biobauern auch ein "spezielles Wissen". Und es ist mit ein oder zwei Kulturen nicht getan. Weil ohne chemischen Pflanzenschutz auch ein Totalausfall drohen könne, müssten mehrere Kulturen angebaut werden, 30 Prozent Öko-Landbau, wie von der EU als Fernziel beworben, das sei im Prinzip aber auch im Landkreis zu machen, ist Stock überzeugt, entsprechende Kundennachfrage vorausgesetzt.

Klaus Gehring ärgern die allseits gelobten "schönen Beispiele" von glücklichen Bauern, die über Selbstvermarktung und Nischenkulturen den niedrigen Erzeugerpreisen entkommen. "Das sind Einzelbeispiele, kein Lösungsansatz", sagt er. Und fügt hinzu: "Nicht jeder Bauer ist geeignet und willig, auch Lebensmittelhändler zu sein. Ganz zu schweigen von dem Nebenerwerbslandwirt, der neben dem Job noch 50 oder 100 Hektar Land bewirtschaftet. Dem brauchen sie keinen Hofladen mehr auf's Auge zu drücken."

© SZ vom 23.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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