Wohnungsmarkt in Freising:Steigende Nachfrage nach Obdachlosenunterkünften

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Die Nachfrage nach Obdachlosenunterkünften ist auch in der Stadt Freising zuletzt gestiegen. (Foto: Marco Einfeldt)

Bei der Beratungsstelle der Caritas erwartet man, dass sich die prekäre Situation, die auch der Pandemie geschuldet sei, zum Jahreswechsel weiter verschärft. Dann enden Schonfristen, etwa bei Krediten, Zwangsräumungen drohen.

Von Thilo Schröder, Freising

Zuletzt ist die Nachfrage nach Obdachlosenunterkünften in Freising gestiegen. Das teilt die Stadtverwaltung auf Nachfrage mit. Die Unterkünfte seien dadurch voll ausgelastet, heißt es. Ob die Corona-Pandemie die direkte Ursache ist, bleibt offen. Bei der Obdachlosenberatung der Caritas rechnet man damit, dass sich die Situation mit ablaufenden Schonfristen zum Jahreswechsel weiter verschärft. Bei der Diakonie melden sich schon jetzt mehr Menschen aus dem Landkreis, die eine Räumungsklage am Hals haben.

In Freising haben zuletzt weniger Obdachlose die Notunterkunft verlassen, gleichzeitig ist die Zahl neu aufgenommener Menschen gestiegen. Konkret verzeichnet die Stadt Freising seit Januar für ihre Obdachlosenunterkünfte 40 Auszüge und 17 Aufnahmen, zwölf davon im ersten Halbjahr, wie Pressesprecherin Christl Steinhart mitteilt. Im Vergleich dazu habe es im Vorjahr 45 Auszüge bei sechs Aufnahmen gegeben. Die Stadt hatte mit einem höheren Bedarf in der Corona-Krise gerechnet; Anfang des Jahres hieß es, dass wegen erwarteter Räumungswellen und dadurch Wohnungslosen größere Obdachlosen-Wohnungen zu WGs umgebaut würden.

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Die Krise hat lange Zeit viele Jobs und damit (Zusatz-)Einkünfte genommen

Neun der im laufenden Jahr aufgenommenen Personen lebten weiterhin in der Notunterkunft. Von den Ausgezogenen sind Steinhart zufolge acht in eine Sozialwohnung gezogen, fünf zu Verwandten oder Freunden, neun haben eine Wohnung auf dem freien Markt gefunden. Für die restlichen Auszüge lägen der Stadt keine Angaben vor oder die Betroffenen seien in anderen Einrichtungen untergekommen.

Sehr unterschiedliche Gründe führten dazu, dass Menschen obdachlos werden, heißt es bei der Stadt. Während die einen gerade aus dem Gefängnis oder psychiatrischen Einrichtungen entlassen worden seien, befänden andere sich in Trennungssituationen, würden zwangsgeräumt oder seien mittellos. "Inwieweit die letzteren Gründe ausdrücklich Corona-bedingt sind, können wir letztlich nicht beurteilen", so Steinhart. Klar sei, dass die Krise lange Zeit viele Jobs etwa in Hotellerie und Gastronomie habe verschwinden lassen und vielen Menschen damit die vormals gegebene Möglichkeit selbst kleiner (Zusatz-)Einkünfte genommen habe.

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Genaueres zu den Ursachen erfährt man bei der Caritas Freising. An die dortige Obdachlosenberatung können sich sowohl jene Menschen wenden, die in Freising vor der Obdachlosigkeit stehen, als auch jene, die bereits in einer Notunterkunft der Stadt wohnen. Die Pandemie sei auf jeden Fall ein Grund, warum Menschen sich zuletzt beraten ließen, sagt Katarzyna Los-Bierer von der Obdachlosenberatung. "Wir merken schon, die Leute waren lange in Kurzarbeit."

Oft kämen Menschen erst, wenn sie mit Mietzahlungen schon länger im Rückstand seien. Doch auch in diesen Fällen versuche man, die Obdachlosigkeit noch abzuwenden. "Da konnten wir immer wieder was tun. Es gibt Stiftungsgelder, die wir in Anspruch genommen haben, wenn das noch möglich war." In der Corona-Krise kämen viele kurzfristig Wohnungslose vorübergehend im Boardinghaus unter, bis sie eine neue Bleibe gefunden haben, sagt Los-Bierer.

"Wir haben das noch nicht ausgestanden", sagt Katarzyna Los-Bierer

Die Sozialarbeiterin rechnet allerdings damit, dass sich die Situation von Januar an verschärft. Bislang seien Kredite oft gestundet, sei Kulanz gezeigt worden. Zum Jahreswechsel endeten jedoch Schonfristen, etwa jene des Jobcenters. Wer von dort Leistungen beziehe und in der Krise zuletzt eine Wohnung gefunden habe, deren Mietpreis aber über den Vorgaben der Behörde liege, bekomme dann ein Problem. "Die Ruhe vor dem Sturm" nennt Los-Bierer die aktuelle Situation daher. "Wir haben das noch nicht ausgestanden."

Teils verweist sie Klienten an die Diakonie Freising, die beim Thema Obdachlosigkeit für den Landkreis zuständig ist. Die Leiterin der dortigen Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit (FOL), Susanne Noller, hatte schon im Frühjahr mit steigenden Klientenzahlen durch die Corona-Krise gerechnet, die zunächst ausblieben. Auch Diakonie-Chefin Beate Drobniak prognostizierte: "Die Schonfrist ist vorbei, jetzt laufen die Wohnungskündigungen an." Was hat sich seither getan?

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"Wir haben es mittlerweile mit einigen Räumungsklagen zu tun bekommen", sagt Susanne Noller

"Wir haben es mittlerweile schon mit einigen Räumungsklagen zu tun bekommen", sagt Noller heute. Die Nachfrage bei der Fachstelle sei stark angestiegen in den vergangenen Wochen. Bei vielen, die ihre Stelle verloren hätten, seien "inzwischen die Reserven aufgebraucht". Die Probleme, mit denen sich von Obdachlosigkeit bedrohte Menschen konfrontiert sehen, würden "sehr viel komplexer"; hohe Schulden sorgten für Spannungen in Familien.

Auch Susanne Noller glaubt, dass bislang geltende Schonfristen nicht mehr verlängert werden. Deshalb sei es wichtig, beispielsweise bei steigenden Mietschulden den Kontakt zum Vermieter zu suchen. "Da muss man schauen, wie man eine Lösung findet - das ist ja eigentlich unser Ziel." Andersherum gelte: "Vermieter können sich auch an die Fachstelle wenden." Dass Menschen letztlich doch obdachlos werden, "das passiert natürlich schon auch", räumt Noller ein. Manchmal komme man mit den Anfragen nicht hinterher, zeitweise sei bei der FOL eine Stelle vakant gewesen. Eine neue Mitarbeiterin habe zuletzt aber wieder vieles verhindern können.

© SZ vom 25.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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