Freisinger Jobcenter:Nur wenige Sanktionen gegen Hartz IV-Empfänger

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Eine Frau betrachtet in der Arbeitsagentur in Potsdam aktuelle Stellenangebote. (Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

Das Freisinger Jobcenter verhängt bundesweit die wenigsten Sanktionen gegen saumselige Hartz-IV-Empfänger. Leiter Bernhard Reiml sieht den Grund unter anderem in der intensiven Betreuung der Arbeitslosen.

Von Thilo Schröder, Freising

Wer als Langzeitarbeitsloser Hartz-IV-Leistungen bezieht, über 25 Jahre alt ist und seine Pflichten nicht erfüllt, darf dafür nicht so hart finanziell sanktioniert werden, wie bislang vom Gesetzgeber vorgesehen. Das hat das Bundesverfassungsgericht vor Kurzem geurteilt. Der Regelsatz dürfe nur um maximal 30 Prozent für drei Monate gekürzt werden, nicht um 60 Prozent oder gar komplett, wobei nur Sachleistungen übrig blieben. Im Freisinger Jobcenter begrüßt man das Urteil. Dort verhängt man Sanktionen allerdings ohnehin nur sehr selten: Jährlich im Schnitt über 25 von rund 1800 erwerbspflichtige Leistungsempfänger - bundesweit der niedrigste Wert, wie das Landratsamt mitteilt. Woran liegt das?

Fragt man den Leiter des Freisinger Jobcenters, Bernhard Reiml, dann hat das viel mit einer gelungenen Kommunikation und intensiver Betreuung zu tun, über die reine Vermittlung hinaus: "Wir haben einen sehr engen Kontakt, man ruft bei Terminen vorher noch einmal an, man kennt die Kunden", sagt der 46-Jährige. 17 Vermittler sind laut Reiml für die zuletzt knapp 1900 Kunden zuständig. Jeder fünfte von ihnen ist laut Arbeitsagentur über 25 Jahre alt und langzeitarbeitslos.

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Wie häufig und wie lange kommuniziert werde, hänge vom jeweiligen Fall ab, sagt Reiml: Ob psychische, gesundheitliche oder wirtschaftliche Probleme vorlägen, die es vor der eigentlichen Vermittlung zu lösen gelte. Ob Arbeitslose sehr selbständig agierten oder eine stärkere Anleitung benötigten. Im Schnitt fänden Termine etwa 14-tägig statt.

Eine Erinnerung per SMS hilft vor allem Jüngeren

Auch gute Ortskenntnisse helfen den Vermittlern, für manche Versäumnisse Verständnis zu zeigen. Viele Leistungsempfänger kämen aus dem nördlichen Landkreis, sagt Reiml. "Da weiß man dann, dass der Bus vielleicht nicht kommt, weil die Verbindung nicht so gut ist", sagt er. Seit etwa zwei Jahren gebe es zudem die Möglichkeit, zwei Tage im Voraus per SMS an Termine erinnert zu werden, inklusive Adresse und Zimmernummer. "Das hilft, gerade den Jüngeren", sagt Reiml. Unentschuldigtes Fehlen bei Terminen ist noch der häufigste Sanktionsgrund im Freisinger Jobcenter. Wobei häufig relativ ist: "Wir haben das Glück bei uns, dass unsere Kunden da sehr genau sind beim Rückmelden", sagt Reiml. Dass Jobs nicht angenommen oder Qualifizierungsmaßnahmen nicht angetreten würden, das gebe es kaum, sagt er. "Da wird im Vorfeld genau abgesprochen, was passt. Sanktionen kosten den Steuerzahler ja auch viel Geld, darum passiert da viel Vorarbeit."

Reiml verweist zugleich auf die begünstigende wirtschaftliche Gesamtlage in der Region. Die Arbeitslosenquote im Landkreis Freising lag laut Arbeitsagentur im Oktober bei 1,9 Prozent (Bayern: 2,7 Prozent, Bund: 4,8 Prozent). Ein sich wandelnder Arbeitsmarkt bringe ständig neue Jobs hervor, was die Wiedereingliederung erleichtere, anders als etwa in vielen ostdeutschen Bundesländern mit eher starren Arbeitsmärkten. Hinzu komme die im Landkreis grundsätzlich "wahnsinnig gute Infrastruktur", verglichen etwa mit Erding oder Pfaffenhofen.

Empfänger von Hartz IV müssen jede zumutbare Arbeit annehmen

Erwerbspflichtige Empfänger von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) müssen jede zumutbare Arbeit annehmen, um ihre Bedürftigkeit loszuwerden. So fordert es der Gesetzgeber. "Zumutbare Arbeit ist alles, was der Kunde machen kann", sagt Reiml. Kriterien seien: Ist die Arbeit räumlich, also hinsichtlich Anfahrtsweg, erreichbar? Ist sie ethisch oder religiös zumutbar? Ist sie gesundheitlich zu bewerkstelligen? Darunter fielen dann auch Helfertätigkeiten, sagt Reiml. Hier liegt ein Unterschied zu Empfängern von Arbeitslosengeld I; für sie ist die Arbeitsagentur zuständig. Sie haben Anspruch auf Jobs, die ihrer Qualifikation entsprechen.

Doch soweit möglich, versuche man auch im Jobcenter, Bildungsabschlüsse oder andere Qualifikationen der Kunden zu verwerten oder den Besuch einer Ausbildung zu veranlassen, sagt Reiml. Erst wenn die Vermittler mit ihrer Überzeugungsarbeit nicht weiterkämen, wenn der Kunde uneinsichtig sei oder schlicht keine Gründe nennen könne, nicht zu arbeiten, erst dann folgten Sanktionen.

Obgleich die Rahmenbedingungen nach wie vor gut seien, werde die Vermittlung aber zunehmend schwieriger, sagt Bernhard Reiml. Das liege wiederum vor allem am Arbeitsmarkt: "Die Belastungen nehmen zu, dadurch häufen sich die Erkrankungen." Deren Folgen erhöhten den Betreuungsbedarf im Jobcenter, wenn Menschen deshalb ihre Arbeit verlieren.

© SZ vom 11.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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