Erinnerungskultur findet nicht nur in Schulen, in Museen und in Büchern statt, sondern durchaus auch im öffentlichen Raum. Deshalb hat es in den vergangenen Jahren vermehrt Debatten über die Umbenennung von Straßen gegeben: Denn Straßen sind nicht nur eine Form der Anerkennung, sondern auch ein Instrument von Geschichtspolitik. In Neufahrn hat eine auf Initiative der SPD gegründete Kommission den geschichtlichen Hintergrund aller Namensgeber geprüft. Ihrem Vorschlag, den Konrad-Lorenz-Weg und die Von-Halt-Straße umzubenennen, hat nun der Gemeinderat in seiner jüngsten Sitzung zugestimmt.
Konrad Lorenz (1903-1989) war ein österreichischer Zoologe und Medizin-Nobelpreisträger. Er war aber auch, so liest man in der Begründung der Kommission, ein "bekennender Nationalsozialist", der "nicht unwesentlich von seiner politischen Einstellung im beruflichen Bereich" profitierte. Lorenz war Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP, außerdem wirkte er an rassenkundlichen "Studien" mit. Was mit den Probanden danach passierte, "ist nicht gesichert", liest man in der Einordnung der Kommission. Nach dem Ende des Krieges änderte Lorenz seine politische Einstellung nicht und nahm seine auf rassistischen Motiven beruhenden Schriften nicht zurück. Einige Städte haben sich bereits kritisch mit seiner Figur auseinandergesetzt: So entzog die Universität Salzburg ihm 2015 posthum die Ehrendoktorwürde, zwei Jahre später benannte die Stadt Usingen in Hessen das nach Konrad Lorenz benannte Gymnasium ebenfalls um.
Die Arbeitsgruppe hat sich an dem Münchner Beispiel orientiert
Karl Ritter von Halt (1891-1964) war hingegen ein Sportfunktionär, von 1929 an gehörte er dem Internationalen Olympischen Komitee an. Auch er selbst war sportlich aktiv und nahm als Zehnkämpfer an den Olympischen Spielen von 1912 teil. Nach Hitlers Machtübernahme wurde er Mitglied der NSDAP und der SA, bis zum Ende der NS-Diktatur besetzte er hohe Posten in der deutschen Leichtathletik und allgemein in der für die Nazis wichtigen Sportpolitik, 1936 wurde er Präsident des Organisationskomitees für die Olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen. Dort war das "Stadion am Gröben" bis 2006 nach ihm benannt. Der Gemeinderat von Garmisch-Partenkirchen entschied sich dann mehrheitlich für eine Umbenennung, um sich zu distanzieren.
Aus Von-Halt- wird Gretel-Bergmann-Straße. Die Sportlerin Gretel Bergmann wurde aufgrund ihrer jüdischen Herkunft diskriminiert.
(Foto: Marco Einfeldt)Die Neufahrner Arbeitsgruppe, zu der Vertreter aller Fraktionen im Gemeinderat (außer der CSU, die keine Räte entsandt hat) und der Verwaltung gehörten, hat sich bei ihrer Bewertung der Straßennamen an den Richtlinien der Stadt München orientiert. Demnach wurden die Straßen in Gruppen unterteilt, je nachdem ob die Namensgeber keine, verdächtige oder bewiesene "Auffälligkeiten" zeigten. Ferner hat die Arbeitsgruppe die neuen Straßennamen vorgeschlagen, in beiden Fällen handelt es sich um Frauen. "Frauen sind in Straßennamen unterrepräsentiert", sagt der SPD-Gemeinderat und Historiker Maximilian Heumann, welcher der Arbeitsgruppe vorsaß. In der Entscheidung, die zwei Straßen nach Frauen zu benennen, sah die Kommission eine "zeitgemäße Chance", so Heumann.
So soll die Von-Halt-Straße in Gretel-Bergmann-Straße umbenannt werden, wie schon 2022 von der Neufahrner SPD vorgeschlagen und damals vom Gemeinderat zunächst abgelehnt. Gretel Bergmann (1914-2017) war eine Hochspringerin, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft zu den Olympischen Sommerspielen 1936 nicht zugelassen wurde, obwohl sie damals als Kandidatin für die Goldmedaille galt. Einer der Hauptverantwortlichen dieses niederträchtigen und antisemitisch motivierten Ausladungscoups war eben Karl Ritter von Halt.
Der Konrad-Lorenz-Weg soll hingegen zum Edith-Ebers-Weg werden. Edith Ebers (1894-1974) war, wie auch Konrad Lorenz, eine Wissenschaftlerin. Sie war zu ihrer Zeit eine der wenigen Frauen, die promovierten. Als Geologin und Naturschützerin forschte sie insbesondere im bayerischen Alpenvorland und war Hauptinitiatorin der Internationalen Alpenschutzkommission Cipra.
Für die Anwohner sollen keine Kosten entstehen
Die Entscheidung, die zwei Straßen umzubenennen, war im Neufahrner Gemeinderat nicht einstimmig, Diskussionen gab es insbesondere um die Figur von Konrad Lorenz. Zwölf Mitglieder stimmten für die Umbenennung, elf dagegen: Die Entscheidung war also knapp. Besonders einige Mitglieder von Freien Wählern und CSU hatten Bedenken, weil - so die Argumentation - Lorenz eine wichtige Persönlichkeit für den Wiederaufbau war, den Nobelpreis erhielt er 1973. Der Umbenennung der Von-Halt- in Gretel-Bergmann-Straße wurde hingegen mit einer Mehrheit von 15:8 zugestimmt.
Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass in Neufahrn eine Straße aufgrund einer NS-Belastung umbenannt wird. 2018 wurde aus der Carl-Diem-Straße die Fritz-Walter-Straße. Damit wollte sich die Gemeinde von Nazi-Sportfunktionär Diem distanzieren.
Die beiden Straßenumbenennungen sollen zum 1. November 2023 umgesetzt werden. Die Ausgaben von Meldebescheinigungen, Hausnummernschildern und die Bescheide für die Hausnummernzuteilung sollen für die Anwohner und Anwohnerinnen kostenfrei erfolgen. Die Umbenennung ist allerdings für die Anwohner mit Aufwand verbunden, denn sie müssen ihre Dokumente ändern lassen und ihre neue Adresse kommunizieren. Die Verwaltung wird an alle betroffenen Anwohner die notwendigen Informationen weitergeben.