Süddeutsche Zeitung

Advent im Landkreis Freising:"Flagge zeigen" mit dem Krippenweg

Lesezeit: 3 min

In Neufahrner Schaufenstern sind 35 verschiedene Darstellungen der Geburt Christi zu sehen. Initiator Helmut Hinterberger will damit weihnachtliche Stimmung verbreiten - und auch ein wenig provozieren.

Von Charline Schreiber

Der Neufahrner Krippenweg versetzt die Bürgerinnen und Bürger nun schon zum siebten Mal in weihnachtliche Stimmung. 35 Krippen, die überwiegend aus privatem Besitz stammen, verteilen sich auf Schaufenster zwischen dem S-Bahnhof und der alten Kirche Sankt Wilgefortis. Am 27. November, einen Tag vor dem ersten Advent, wurde der Krippenweg mit einer ökumenischen Andacht eröffnet. Seither kann die Geburt Christi in kunstvollen Interpretationen in der Bahnhofstraße und am Marktplatz bestaunt werden.

Das Aufstellen hat eine Woche gedauert

Helmut Hinterberger, Leiter des Arbeitskreises Krippenweg im Heimatverein, hat selbst mehr als zehn der ausgestellten Krippen gebaut und kennt sich mit der Kunst der Krippeninstallation besonders gut aus. Als Teil eines achtköpfigen Teams hat er 14 der 35 Krippen eigenhändig aufgestellt, insgesamt eine Woche hat er dafür gebraucht.

Der 72-Jährige trägt eine schwarze Jacke, um seinen Hals hat er einen schmalen weißen Schal gebunden und auf seinem Kopf sitzt ein schwarzer Fedora -Hut. Krippen bauen ist Hinterbergers Freizeitbeschäftigung. Angefangen habe er damit, als seine älteste Tochter geboren wurde, 1979. Bei langen Spaziergängen habe er immer wieder die schönsten Isarsteine vom Boden gesammelt und aus ihnen dann seine erste Krippe gebaut. Bevor er in den Ruhestand ging, sei er als Banker tätig gewesen, erzählt er. Der Krippenbau sei für ihn immer ein Ausgleich zum Berufsleben gewesen. Mit dem Krippenweg möchte er, dass Neufahrn "Flagge zeigt". Die Stadt habe einen hohen Migrationsanteil, erklärt er. "Wir haben hier Türken, aber auch Bulgaren, Polen, Rumänen." Die verschiedenen Nationalitäten und Kulturen sollten in den Krippen repräsentiert werden.

Auf dem Marktplatz ist es an diesem Dienstagabend leer. Die Baumreihe, die sich über die Mitte des Platzes zieht, ist mit Lichterkettengewändern behangen. Normalerweise würden hier gerade die Eisbahn und das Adventsstandl die Ortsmitte beleben, coronabedingt bleibt die Sicht über den Marktplatz in dieser Vorweihnachtszeit aber frei. Hin und wieder drücken Kinder ihre Nasen an die Scheiben, hinter denen sich die kunstvoll gebastelten Darstellungen verstecken.

Echte Dachschindeln wurden wieder verwendet

Die Krippen und ihre Figuren sind aus den unterschiedlichsten Materialien. Manche der Dargestellten tragen Gewänder aus Maisblättern, andere sind in den Ast einer Birke geschnitzt oder ganz aus Zinn. Das Dach einer Krippe, die er gebaut habe, stamme von den Dachschindeln der Mintrachinger Kirche, die übrigblieben, als das Gebäude neu gedeckt wurde, erzählt er. Manche Krippen sind so klein, dass sie ohne das rote Schild mit der dazu gehörenden Beschreibung vielleicht gar nicht auffallen würden. Andere wiederum sind so groß, dass man an ihnen gar nicht vorbeigehen kann, ohne mindestens einmal genauer hinzusehen.

Krippe Nummer zwölf, sie steht im Pavillon der Volkshochschule an der Bahnhofstraße, sticht besonders hervor. Es ist nicht das Bild einer gewöhnlichen Darstellung mit Schafen, Ziegen, Engeln und den heiligen drei Königen. Sie teilt sich in zwei Hälften. Auf der linken Seite steht ein modernes, weiß verputztes Haus. Im Garten ist ein Schwimmpool, ein Ferrari parkt am Eingang. Auf den Scheiben steht in Kleinbuchstaben "for rent" geschrieben, zum Vermieten. Eine Mauer mit einer Stacheldrahtspule trennt das Anwesen von der rechten Seite.

Dort fällt der Blick auf die Geburt Christi - in einem Flüchtlingslager. Auf dem Zelt prangt das Logo der UNO-Flüchtlingshilfe, im Hintergrund steht ein vom Krieg zerbombtes Haus. Es ist eine Installation von Helmut Hinterberger selbst. Eine Zeit lang ging das Bild der Krippe sogar durch die sozialen Medien, stieß aber aufgrund der überspitzten Darstellung sozialer Ungleichheit nicht nur auf positive Rückmeldung. "Das war mir egal. Diese Krippe soll provozieren", sagt Hinterberger.

Auch Schulklassen spazieren auf dem Krippenweg

Die Resonanz, die Hinterberger für den Krippenweg erfährt, sei aber durchweg positiv, verrät er. Es gingen auch immer wieder Schulklassen die Route zwischen S-Bahnhof und der Sankt Wilgefortis Kirche. Die Kinder, aber auch Erwachsene seien froh, dass es trotz der einschränkenden Corona-Maßnahmen ein Angebot gibt, das weihnachtliche Stimmung aufkommen lässt. Hinterberger selbst ist den Weg in den vergangenen Tagen gleich ein paar Male gegangen. Eine gute Stunde brauche er, bis er jede der liebevoll gestalteten und leuchtenden Krippen gesehen hat, erzählt er.

Im Schaufenster von Optik Feierfeil ist eine ganze Krippenwelt inszeniert. Unzählige Figuren breiten sich über die Krippe aus. Wer genau hinsieht, erkennt die Gesichter verschiedener Barbiepuppen. Dann tritt eine ältere Dame an das Schaufenster und beginnt alsbald, die Geschichte zur Entstehung der Krippe zu skizzieren. Sie selbst habe die Krippe gebaut, sagt sie, handwerklich sei sie immer sehr begabt gewesen. Die Frau stellt sich als Elfriede Bauer vor und erzählt, dass sie als Kind immer Mode gestalten wollte. Sie deutet auf die verschiedenen Puppen, jede trägt ein anderes Gewand. "Die habe alle ich genäht." Viele Stunden habe sie daran gesessen, oft bis spät in die Nacht. Es sei schön, dass ihre Arbeit nun von Leuten gesehen werde.

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Quelle:
SZ vom 21.12.2021
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