Süddeutsche Zeitung

Ungewöhnliche Aktion:Ein Dorf will sein Gasthaus retten

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Für den Metzgerwirt hat sich bisher kein Käufer gefunden, der das Wirtshaus weiterführt. Deshalb wollen die Giggenhausener das Gebäude nun selbst erwerben - dafür brauchen sie aber eine Million Euro.

Von Birgit Grundner, Neufahrn

Die Giggenhausener wollen ihr Dorfgasthaus kaufen: Eine Interessengemeinschaft plant die Gründung einer Genossenschaft, um den Metzgerwirt zu retten. Denn Wirtin Elisabeth Kratzer will aus gesundheitlichen Gründen aufhören. Während ihrer dreijährigen intensiven und zuletzt durch Corona erschwerten Suche hat sie keine Kaufinteressenten finden können, die nicht nur Immobilie oder Grundstück erwerben, sondern auch die Gastronomie und damit ihr Lebenswerk erhalten würden.

Ob das Dorf in die Bresche springen und dann selbst verpachten kann, wird sich an diesem Wochenende zeigen: Bis Sonntagabend werden schriftliche Absichtserklärungen gesammelt, auf denen die Unterzeichner angeben, wie viel sie investieren würden. In der Summe müsste annähernd eine Million Euro zugesichert werden, damit das Vorhaben fortgesetzt werden kann.

Auch die Wirtin hält den Kauf durch die Gemeinschaft für eine "gute Idee"

Der Metzgerwirt hat eine fast 150-jährige Geschichte und ist "nicht nur ein Haus, sondern die Seele des Dorfes", wie es Gemeinderat Christopher Aichinger (Freie Wähler) ausdrückt. Mitte der 1990er Jahre mussten die Giggenhausener schon einmal darum fürchten: Die damalige Besitzerin wollte verkaufen, es gab bereits Pläne für eine Wohnbebauung auf dem 1000-Quadratmeter-Grundstück. Dann fand sich doch eine andere Lösung: Elisabeth Kratzer erwarb die Wirtschaft und die Gemeinde den Außenbereich, den sie einige Jahre später an Kratzer weiterverkaufte. Die neue Wirtin hat das Gasthaus umgebaut und erweitert. Neben Gaststube und Saal gehören auch zwölf Zimmer, drei Wohnungen und zwei Appartements dazu.

Der Metzgerwirt ist Treffpunkt aller Vereine, Ort zahlreicher Familienfeiern und Schauplatz diverser Veranstaltungen von Theateraufführungen bis zu Bürgerversammlungen. Die einst heruntergekommene Immobilie ist heute ein echtes Schmuckstück und "steht super da", wie auch Elisabeth Baur feststellt. Sie ist Beraterin beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband und engagiert sich ebenfalls in der Interessengemeinschaft. Die Idee, dass das Dorf das Wirtshaus selbst kaufen könnte, hatten Aichinger und Josef Geil, Vorsitzender des Krieger- und Soldatenvereins - "und es ist eine gute Idee", sagt auch die Wirtin. Schnell fand sich eine Gruppe, die alles Weitere in Angriff nahm. Neben Ortssprecher Rudolf Geil sind es elf weitere Giggenhausener, die verschiedene Vereine und Generationen repräsentieren und vielfältige Kompetenzen einbringen.

Einen potenziellen Pächter für den Wirt hat man schon "in Aussicht"

Verschiedene Möglichkeiten wurden geprüft und schließlich das Genossenschaftsmodell ausgewählt: Jeder kann sich dabei unbürokratisch beteiligen und selbst mitbestimmen. Das Risiko beschränkt sich auf die Einlage, und die Immobilie bietet Sicherheit. Vorstand und Aufsichtsrat kontrollieren sich gegenseitig, alles wird regelmäßig vom Genossenschaftsverband überprüft. Letztlich sei es ein "Rundum-Sorglos-Paket", sagt Finanzexperte Stephan Muschalla.

Einen potenziellen Pächter für den Wirt habe man schon "in Aussicht", weitere Bewerbungen werden entgegengenommen. Nachdem die Genossenschaft die Idee im Ort vorgestellt hat, wurden bereits Beteiligungen von 150 000 Euro zugesichert. Das nötige Eigenkapital wird aber auf mindestens eine Million Euro beziffert. Der Rest könnte über Kredite abgewickelt werden. Der Kaufpreis beträgt insgesamt 2,5 Millionen Euro. Etwa 500 000 Euro sind für Nebenkosten, Umbauten und Renovierungen einkalkuliert.

Bis Sonntagabend können Absichtserklärungen abgegeben werden

Die Absichtserklärungen für eine Beteiligung kann man über die Homepage www.giggenhausen.de herunterladen und ausgefüllt bis Sonntagabend in Urnen in der Kirche (neun bis 19 Uhr) oder beim Metzgerwirt (16 bis 20 Uhr) einwerfen. Pfarrer Artur Wagner übernimmt als Vertrauensperson die Auswertung und hat dabei auch die Plausibilität der Angaben im Blick. Das Ergebnis wird am 12. Juni bekannt gegeben.

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Quelle:
SZ vom 04.06.2021
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