Ganztagsbetreuung in Bayern:Es sieht nicht gut aus

Ganztagsbetreuung in Bayern: Zum Publikum bei der Podiumsdiskussion im Oskar-Maria-Graf-Gymnasium gehörten viele Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, Eltern und pädagogische Fachkräfte.

Zum Publikum bei der Podiumsdiskussion im Oskar-Maria-Graf-Gymnasium gehörten viele Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, Eltern und pädagogische Fachkräfte.

(Foto: Marco Einfeldt)

Bei einer Podiumsdiskussion in Neufahrn diskutieren Familienministerin Ulrike Scharf und andere Akteure über die Zukunft der Ganztagsbetreuung. Die große Frage bleibt, wie das überhaupt bis 2026 zu schaffen ist.

Von Francesca Polistina, Neufahrn

In der Podiumsdiskussion am Donnerstag in Neufahrn zum Thema Ganztagsbetreuung hatte man manchmal den Eindruck, bei einem Tischtennis-Spiel dabei zu sein. Auf der einen Seite die bayerische Regierung in Persona von Ulrike Scharf (CSU), Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, die die Kommunen in der Verantwortung sieht. Auf der anderen Seite die Vertreter der Oppositionsparteien und vor allem die Kommunen selbst, die den Ball an die Regierung zurückschicken und bereits einen Hilferuf gestartet haben - denn letztendlich sind sie es, die die Ganztagsbetreuungsplätze zur Verfügung stellen müssen. Und sie sagen, vereinfacht formuliert: das schaffen wir unter den derzeitigen Rahmenbedingungen nicht.

2026 wird der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder deutschlandweit in Kraft treten. Er umfasst 40 Wochenstunden inklusive Unterricht und eine Schließzeit bis maximal vier Wochen im Jahr. Wie viel Prozent der Kinder tatsächlich einen Platz in Anspruch nehmen werden, das ist noch offen: Das bayerische Familienministerium geht von ungefähr 80 Prozent aus, obwohl der Wert wahrscheinlich in München höher und auf dem Land niedriger sein dürfte. Doch wenn man sich die Lage anschaut, insbesondere mit Blick auf den Fachkräftemangel, fragt man sich schon, wie das überhaupt zu stemmen ist.

"Wir wissen nicht, wie wir das adäquat umsetzen können", sagt die Zweite Bürgermeisterin von Augsburg, Martina Wild (Grüne), die im bayerischen Städtetag dem Bildungsausschuss vorsitzt und bei der Podiumsdiskussion die Stimme der Kommunen war. Sie verweist auf den "massiven Fachkräftemangel, der sich verstärken wird" und wünscht sich ausdrücklich mehr Unterstützung von Land und Bund, "sowohl im investiven Bereich als auch im Betrieb".

Bayern ist Schlusslicht bei der Ganztagbetreuung und das schon seit Jahren. Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge nutzen 36 Prozent der Kinder im Grundschulalter ein Ganztagsangebot, weitere 22 Prozent ein Übermittagsangebot, das bis zirka 14.30 Uhr zur Verfügung steht - das macht insgesamt 58 Prozent, so wenig wie in keinem anderen Bundesland. Doch auch wenn Familienministerin Ulrike Scharf (CSU) als "gute Nachricht" verkaufen will, "dass auch die Mittagsbetreuung rechtsanspruchserfüllend ist", solange sie acht Stunden pro Tag abdeckt, erscheint die Lage nicht weniger gravierend. Laut der Bertelsmann-Stiftung fehlen für die Ganztagsförderung zirka 21 000 Fachkräfte.

Ganztagsbetreuung in Bayern: Staatsministerin Ulrike Scharf (CSU) sagt, die Regierung habe die Erzieherausbildung "attraktiver gemacht".

Staatsministerin Ulrike Scharf (CSU) sagt, die Regierung habe die Erzieherausbildung "attraktiver gemacht".

(Foto: Marco Einfeldt)

Für die Grünen-Landespolitikerin Katharina Schulze hat die Söder-Regierung in den vergangenen Jahren schlicht "zu wenig" gemacht. Und sie tut immer noch sehr wenig: "Bayern hat nur 19 Prozent der Mittel abgezogen", die ihm zustünden, sagt sie. Die Rede ist vom Investitionsprogramm des Bundes für den beschleunigten Infrastrukturausbau für die Ganztagbetreuung. Während manche Länder ihre Mittel bereits komplett abgerufen haben, bewegt sich Bayern "ganz unten", wie Ministerin Scharf selbst zugibt. Scharf ist damit "nicht zufrieden", dennoch betont sie, dass die Zuständigkeit in den Händen der Kommunen liegt. Denn diese Bundeshilfen laufen zwar über das Bundesland, aber müssen von den Kommunen selbst abgerufen werden. Die Frage ist nun: Warum rufen die bayerischen Gemeinden, anders als der Rest der Bundesrepublik, so wenig Geld ab? Für Schulze herrscht noch "zu viel Unsicherheit", für Landespolitikerin Julika Sandt (FDP) sind die "Förderkriterien in Bayern zu komplex und nicht praxisgerichtet".

Auch im Bereich des Fachkräftemangels habe die Regierung zu wenig gemacht, bemängelt die Opposition. Die Grünen fordern unter anderem eine schnellere Anerkennung der ausländischen Abschlüsse. Um Personal zu finden, sollen für Robert Riedl (FW) aber auch die Schulleiter "kreativ" werden. Familienministerin Scharf sagt, die Regierung habe die Erzieherausbildung "modernisiert" und finanziell "attraktiver gemacht". Eine Vergütung der Ausbildung bereits ab dem ersten Jahr, wie von vielen verlangt wird, sei aber schlicht nicht geplant. Doch wenn es auch so wäre, würde das die Gesamtsituation nur minimal verbessern: Die wenigsten Erzieher und Erzieherinnen sind mit ihren Arbeitsbedingungen zufrieden, viele steigen nach einigen Jahren in der Branche aus.

Harald Renz schlägt vor, Musikschulen, Sportvereine oder Theatergruppen mit einzubeziehen

Es ging in der Podiumsdiskussion aber auch um die Frage, wie eine gute Ganztagsbetreuung überhaupt aussehen könnte. SPD-Landespolitikerin Doris Rauscher, selbst ausgebildete Erzieherin, betont, dass Kinder bei der Ganztagbetreuung nicht "verwahrt und aufbewahrt" werden, sondern eine "tolle Zeit" haben sollten. Von Harald Renz, Vorsitzender des Landesverbandes der Kita- und Schulfördervereine, kommt der Vorschlag, Musikschulen, Sportvereine oder Theatergruppen in die Ganztagbetreuung mehr zu integrieren. Nicht nur, um den Kindern verschiedene Möglichkeiten und Inputs anzubieten, sondern auch, um die Lehrer und Lehrerinnen und allgemein die pädagogischen Fachkräfte, die sowieso ein seltenes Gut sind, nicht zusätzlich zu belasten. "Modelle, in denen man auf Lehrer setzt, sind in den nächsten Jahren aussichtslos", sagte Renz. Das Problem ist nur: Für Musik- oder Sportangebote soll auch ein angemessener Platz zur Verfügung gestellt werden, worüber nicht alle Schulen verfügen. Prinzipiell gilt es aber, so Familienministerin Scharf, "die Bestandsinfrastruktur zu nutzen".

Insgesamt zwei Stunden dauerte die Podiumsdiskussion, viele Fragen aus dem Publikum konnten aus Zeitgründen nicht beantworten werden. Manche Bürgermeister und manche Eltern verließen den Saal nicht in bester Laune, was die Kinder angeht - die waren bei einer abendlichen Veranstaltung erwartungsgemäß nicht dabei. Und generell werden sie selten befragt, obwohl es vor allem um sie geht.

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