Neufahrn:Ein halbes Jahrhundert im Dienst

Neufahrn: Reinhold Kratzl, 65, an einem seiner letzten Diensttage im Neufahrner Feuerwehrhaus.

Reinhold Kratzl, 65, an einem seiner letzten Diensttage im Neufahrner Feuerwehrhaus.

(Foto: Marco Einfeldt)

Der Neufahrner Feuerwehr-Kommandant Reinhold Kratzl verabschiedet sich von der Mannschaft und blickt auf die markantesten Einsätze zurück.

Von Francesca Polistina, Neufahrn

Als er bei der Neufahrner Feuerwehr anfing, war Reinhold Kratzl noch ein Jugendlicher. Schon der Vater war als Zweiter Kommandant dabei, für Männer aus Landwirtschaftsfamilien war es schlicht üblich, zur Feuerwehr zu gehen. Seitdem sind 50 Jahre und unzählige Einsätze vergangen, die Lust am ehrenamtlichen Engagement hat Kommandant Kratzl aber nie verloren. Dass er am vergangenen Samstag aus der aktiven Mannschaft ausgeschieden ist und die Führung in die Hände des 45-jährigen Stefan Kerber übergeben hat, liegt daran, dass er mit 65 Jahren die verpflichtende Altersgrenze für Feuerwehrleute erreicht hat. "Es ist die Zeit gekommen, aufzuhören", sagt er. Was wiederum nicht bedeutet, dass er der Feuerwehr den Rücken kehrt, denn im Verein will er definitiv bleiben.

Kratzl, seit 2009 Kommandant, empfängt im Neufahrner Feuerwehrhaus an einem seiner letzten Dienstage, er muss noch dies und jenes erledigen und seine Dinge aufräumen. Ihn sieht man schon aus der Ferne, wie die anderen Feuerwehrleute selbst erzählen. Gruppenführer Jens-Peter Lentrodt schreibt etwa in einem Pressebericht, dass man sich an der Einsatzstelle nur einmal kurz umsehen musste, um sofort zu erkennen, wo der Kommandant zu finden war, "denn er überragte jeden anderen der Neufahrner Wehr um ein bis zwei Köpfe". Für Lentrodt sei der Kommandant "ein besonderer Mensch und Feuerwehrmann", der stets gefährliche Arbeiten übernahm, um jüngere Kollegen zu schützen - etwa wenn es darum ging, ein gefährliches Gasleck zu verschließen. "Sein Verhalten hat mich damals wie heute zutiefst beeindruckt und bewegt", sagt Lentrodt.

Reinhold Kratzl war beruflich Ver- und Entsorger in der Kläranlage, der Feuerwehr widmete er wöchentlich mindestens zehn Stunden seiner Freizeit - Einsätze ausgeschlossen. Er tat das immer gerne, erzählt er, aus Kameradschaft und vor allem, "weil man helfen sollte". Denn wie schlecht es um die Gesellschaft bestellt sei und wie einsam und hilfsbedürftig viele Menschen seien, das sei ihm neulich bei einem Einsatz wieder klar geworden. Da hat die Feuerwehr bei einem Polizeieinsatz die Tür einer Wohnung aufgebrochen, darin fand sich eine Frau, die im vergangenen Mai gestorben war. Das Schlimmste: Ähnliche Situationen passieren regelmäßig.

Circa 326 000 aktive Feuerwehrleute gibt es in Bayern, 95 Prozent davon sind freiwillig: Sie kümmern sich nicht nur um den Brandschutz, sondern leisten technische Hilfen, unterstützen andere Organisationen wie das Rote Kreuz bei manchen Einsätzen oder reinigen Ölspuren auf der Straße. Die aktive Mannschaft in Neufahrn besteht aus 82 Männern und Frauen, in den vergangenen Jahren ist die Zahl stabil geblieben. Das Problem ist aber: Die Meisten stehen nur am Wochenende oder nach Feierabend zur Verfügung: "Es wird immer schwieriger, tagsüber ausreichend Personal zu stellen", sagt Kratzl. Und das betreffe nicht nur die Neufahrner Feuerwehr.

Nicht immer war es so. Früher, vor etwa 30 oder 40 Jahren, bestand die Mannschaft zum großen Teil aus Landwirten, die man zu jeder Zeit alarmieren konnte. Nun arbeiten viele Feuerwehrleute nicht in Neufahrn oder sind tagsüber einfach nicht einsatzbereit. Das sei aber nicht der einzige Unterschied zu früher.

Die Feuerwehr wird häufig unnötig alarmiert

"Als wir vor 30 Jahren alarmiert wurden, ist man auch gebraucht worden", sagt Kratzl. Heute greifen viele Menschen zu schnell zum Handy, wenn etwa das Auto ein bisschen dampft, ein kleiner Müllsack brennt oder - tatsächlich passiert - wenn Rauch von außen kommt, nicht weil irgendwo ein Feuer ausgebrochen ist, sondern weil der Nachbar grillt. "Ein Drittel der Einsätze sind nicht notwendig", sagt der Kommandant. Bei einem weiteren Drittel könnte man auch auf die Feuerwehr verzichten.

Dennoch gibt es immer wieder extreme und tragische Situationen, die man mit nach Hause nimmt und noch Jahre später in Erinnerung bleiben. Einmal, erzählt der Kommandant, habe ein Hof gebrannt und der Bauer, der selbst Mitglied der Feuerwehr war, habe aufgrund der Aufregung einen Herzinfarkt erlitten und sei gestorben. Ein anderes Mal sei die Feuerwehr gerade noch rechtzeitig gekommen, um einen Schwimmer zu retten, der in der Isar in eine Wasserwalze gezogen worden war. "Der Mann konnte sich über einen angeschwemmten Stamm über Wasser halten aber er war so geschwächt, dass er kurz vor dem Aufgeben stand", sagt Kratzl. In diesem Fall habe sich der Mann mehrmals bedankt, doch das sei nicht selbstverständlich. "Wenn wir jemanden nach einem Autounfall befreien, erfahren wir selten, ob die Person überlebt hat und wie es ihr geht", sagt er. Dennoch gehören die Dankbarkeit der Menschen und allgemein die positiven Einsätze zu den Gründen, warum er sein ganzes Erwachsenenleben dem Ehrenamt gewidmet hat. Woche für Woche, Tag für Tag, fünfzig Jahre lang.

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