Süddeutsche Zeitung

Bürgerhaushalt Neufahrn:Mehr Wildes im Alltagsleben

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Die Gemeinde Neufahrn hat drei von fünf Vorschlägen aus dem Bürgerhaushalt umgesetzt. Besonders gut kommen die Naturoasen von Liliane und Kilian Vettori an, die Mensch und Natur zusammenbringen sollen

Von Thilo Schröder, Neufahrn

Das Zusammenleben in der Kommune durch Vorschläge aus deren Mitte verbessern: Dieses Ziel hatte sich die Gemeinde Neufahrn gesetzt, als sie im vergangenen Jahr den Bürgerhaushalt mit einem jährlichen Etat von 30 000 Euro ins Leben gerufen hat. Fünf der zahlreichen eingereichten Ideen für den ersten Haushalt haben Gemeinde und Bürger schließlich ausgewählt, drei davon - ein Bouleplatz, mehrere Naturoasen und eine inklusive Spielplatzerweiterung - sind inzwischen umgesetzt worden. Am Mittwoch haben Bürgermeister Franz Heilmeier (Grüne), Vertreter des Bauhofs sowie die Initiatoren die einzelnen Projekte vorgestellt.

Neben der Halfpipe und dem Basketballplatz am Sportplatz, beide nicht zu verfehlen, kann man den neuen Bouleplatz knapp über der Höhe der Grasnarbe beim ersten Blick schon mal übersehen. Von geschliffenen Holzstämmen eingerahmt, sei dem in drei Phasen aufgetragenen Bruchsand auf dem Feld nicht anzumerken, dass es zuletzt 90 Meter Niederschlag gab, sagt Wolfgang Huber vom Bauhof Neufahrn. Der Grund: Von der Mitte an fällt die Fläche mit einem Prozent Gefälle zu den Rändern hin ab. Darunter liegt eine Schicht Mineralbeton sowie eine 25 Zentimeter dicke Tragschicht aus Frostschutzkies.

Bouleanlagen liegen im Trend, mehrere Landkreisgemeinden haben sie zuletzt errichtet, zum Beispiel Allershausen. 2500 Euro sind für das Projekt bereitgestellt worden. Angeregt hatte es das Ehepaar Lothar (76) und Gisela (70) Brück. Ob sie im besten Alter für Boule seien? So könne man es nennen, ja, meint Lothar Brück und lacht.

Zu einer Art "Mehrgenerationen-Spielplatz" habe man den Ort erweitern wollen, sagt Huber. Heilmeier ergänzt: "Das ist sogar ein Spiel, das man unter Einhaltung aller Regeln spielen kann - coronasicher."

Ein Teil des zweiten Projekts, das sich über den ganzen Gemeindebereich erstreckt, ist rund drei Kilometer entfernt am Fußweg neben dem Anwesen Am Hart 10 zu finden. Auf einer frisch gemähten Wiese am Neufahrner Ortsrand laden mehrere abgesägte Teile von Holzstämmen zum Verweilen ein. Junge Himbeer-, Brombeer- und Stachelbeersträucher auf der Wiese sollen kleine Snacks bieten. Ein paar Meter über den Fußweg, von der Wiese abgewandt, steht eine geschwungene Holzbank, die einen Blick über umliegende Felder bietet.

Auf einem der Stämme sitzen Liliane (21) und Kilian (25) Vettori. Sie haben das Projekt "Lebendiges Neufahrn" initiiert, das neben zweier solcher Naturoasen - die zweite zwischen Max-Anderl-Straße und Kurt-Kittel-Ring - Nistkästen für Vögel, Fledermauskästen und Igelhäuser im Gemeindebereich beinhaltet. "Die Orte sollen Mensch und Natur zusammenbringen", erklärt Kilian. Die Natur solle sich mehr ins alltägliche Leben einweben, der Lebensraum geteilt werden statt unbebaute Flächen ausschließlich intensiv zu nutzen. Kilian: "Wir wünschen uns mehr Wildheit." Vieles hätten sie selbst entschieden, etwa Bänke bestellt. "Perfekt umgesetzt", kommentiert Heilmeier. "Sehr kooperativ" sei die Zusammenarbeit abgelaufen, lobt Huber.

Das 5500 Euro teure Projekt - bereitgestellt waren 8000 - finde allerdings so viel Zuspruch, dass die Orte zum Teil "leider schon vermüllt" seien, der Mülldienst sei "fast schon täglich dort. Für Kilian ist indes wichtig, dass Jugendliche sich nun weniger an möglichen Brennpunkten aufhalten. "Wir freuen uns eher, dass die Jugendlichen, die sonst am Bahnhof hocken, jetzt hier sitzen."

Geht es nach den beiden Initiatoren, hat das Projekt durchaus Wachstumspotenzial. Ihr Konzept schlägt für die Naturoasen wilde hohe Hecken, Sandecken für Wildbienen und Totholz vor, für die essbaren Ecken Obstbäume - eine Kornelkirsche steht bereits -, essbare Blumen und Kräuter, neben den Bänken fest verankerte Tische, Mülleimer und Spender von Hundetüten.

Mit dem "komplexesten Projekt" scheint der Bürgermeister zufrieden zu sein. Dessen Ziel sei es, "schöne, kleine Ecken zu schaffen, eine kleine Aufwertung, wo man sich gerne aufhält", fasst Heilmeier zusammen. Kleine Aufwertungen sind ihm offenkundig wichtig, auf dem Weg zum 150 Meter entfernten Spielplatz An der Lohe, dem dritten Projekt, verweist er stolz auf mehrere Blühstreifen am Wegrand.

Auf dem Spielplatzgelände läuft ein Dutzend Kinder mit seinen Eltern im Gepäck über Hängebrücken, schaukelt und fährt Seilbahn. Den Ort haben Bauhofmitarbeiter um zwei vollständig inklusive Geräte erweitert: eine Wippe, die ebenerdig betreten oder befahren werden kann, sowie ein Drehkarussell, dessen Boden ebenfalls auf Höhe der Grasnarbe liegt. Gesamtkosten: 10 600 Euro. Bereitgestellt waren 11 500. Initiatorin ist Andrea Dannhauser (43), "Uns war wichtig, dass wir Inklusion mit einem bestehenden Spielplatz verbinden", sagt Huber. Inklusion bedeute hier auch, dass Großeltern teilhaben können, etwa wenn sie mit ihren Enkeln kommen.

Es bleiben zwei unvollendete Projekte. Eines, die Aufwertung der Bahnunterführung auf Anregung von Iris König-Decker, soll bis zum Herbst umgesetzt werden. Umfang: 2000 Euro. Das andere, anschlussfreie Toiletten an Spielplätzen zu schaffen, habe sich "zum jetzigen Zeitpunkt als nicht umsetzbar erwiesen", teilt die Gemeinde mit. Auch gerade aus Hygieneüberlegungen heraus. Die dafür vorgesehenen 6000 Euro im Haushalt blieben aber zurückgestellt. Initiatorin Sabine Bosch sei beauftragt, eine Alternative anzuregen.

Ungeachtet dessen geht der Haushalt für das laufende Jahr in die nächste Runde. 52 Vorschläge sind laut Gemeindemitteilung im Frühjahr eingegangen. Zehn davon hat die Verwaltung als grundsätzlich realisierbar eingestuft; aussortiert wurden Maßnahmen außerhalb der kommunalen Zuständigkeit oder wenn sie zu teuer sind. Ein Projekt darf maximal die Hälfte der Gesamtsumme einnehmen. Von Montag an und bis zum 5. Juli können die Bürger die Ideen unter www.buergerhaushalt-neufahrn.de bewerten, danach wird zwei Wochen lang über die Vorschläge abgestimmt.

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Quelle:
SZ vom 20.06.2020
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