Die Neufahrner Gemeindebibliothek hat im Juli den Kinderbibliotheks-Sonderpreis 2025 bekommen. Die Auszeichnung geht nur an Bibliotheken, die den regulären Kinderbibliothekspreis bereits einmal gewonnen haben – und danach nicht stehen geblieben sind, sondern ihre Arbeit mit frischen Ideen ausgebaut haben. Der Preis wird seit 2007 vom Bayernwerk in Kooperation mit der Bayerischen Staatsbibliothek und dem katholischen Medienhaus Sankt Michaelsbund verliehen. Er ist mit 5000 Euro dotiert – Geld, das in Neufahrn direkt in neue Projekte zur Leseförderung fließt, wie Michaela Reidel erklärt. Sie ist seit 25 Jahren Leiterin der Gemeindebibliothek.
SZ: Frau Reidel, was macht für Sie eine attraktive Gemeindebibliothek aus?
Michaela Reidel: Sie bietet viel mehr als nur Bücher: Sie ist bunt, lebendig, lädt zum Entdecken ein, bietet eine vielfältige Medienauswahl und kreative Veranstaltungen. Sie ist ein Ort, an dem man sich gerne trifft und sich wohlfühlt. Und schließlich – das ist uns sehr wichtig – ist sie ein Ort, an dem Kinder und Jugendliche ernst genommen werden.
Für ihre Initiativen im Kinder- und Jugendbereich haben Sie den Kinderbibliotheks-Sonderpreis bekommen. Um welche Initiativen geht es konkret?
Wir arbeiten eng mit unseren Neufahrner Schulen und Kitas zusammen. 2024 haben wir allein für diese Einrichtungen rund 270 Veranstaltungen durchgeführt. Täglich besuchen uns zwei bis drei Klassen oder Kitagruppen – und dabei gibt es immer etwas Spannendes zu entdecken. So bieten wir allen Grundschulklassen einmal im Jahr eine Autorenbegegnung an, die Vorschulkinder machen bei uns ihren Bibliotheksführerschein, und wir besuchen auch selbst die Einrichtungen. Hinzu kommen offene Veranstaltungen für Kinder am Nachmittag – zum Beispiel die beliebten Kindertheaternachmittage, Bastelaktionen, Mint-Workshops oder Bilderbuchkinos. Im vergangenen Jahr waren es 73. Wir erreichen auch am Nachmittag Kinder aus allen sozialen Schichten. Denn durch den Zugang über Schulen und Kitas kommen viele mit ihren Eltern oder allein in die Bibliothek.

Unter den Veranstaltungen in Ihrer Bibliothek gibt es auch solche, die nicht unbedingt mit Büchern zu tun haben, zum Beispiel Pokemon-Treffen. Warum?
Solche Angebote schaffen eine Gemeinschaft. Wir sind auch ein sozialer Ort: Wir holen die Kinder und Jugendlichen in ihrer Lebenswelt ab und sorgen dafür, dass sie sich bei uns treffen und wohlfühlen können. Und vielleicht – das passiert immer wieder – entdecken sie durch diese Aktionen die Welt der Bücher für sich.
Wie viele Medien verleiht ihre Bibliothek?
Im Jahr 2023 haben wir im Kinderbereich über 61 000 Bücher und sonstige Medien ausgeliehen, im Jahr 2024 waren es 65 000 gewesen. Kinderbücher und -medien machen die Hälfte der gesamten Ausleihen aus. Diese Zahlen zeigen, dass das Interesse stetig wächst.
Man hört häufig, dass Kinder heute weniger lesen als früher. Teilen Sie diesen Eindruck?
Nein. Zumindest bei uns in Neufahrn kann ich wirklich nicht sagen, dass die Kinder weniger als früher lesen. Das belegen auch unsere Zahlen. Noch ein Beispiel: Bei unserem Sommerferien-Leseclub im Jahr 2024 wurden in sechs Wochen 2500 Bücher gelesen, im Jahr davor waren es noch 1500 gewesen.
Und bei den Erwachsenen?
Das ist natürlich unterschiedlich. Die Rentnerinnen und Rentner lesen viel, die Berufstätigen haben weniger Zeit und lesen deshalb weniger. Generell habe ich aber nicht den Eindruck, dass in Neufahrn wenig gelesen wird.
Laut dem Vorlesemonitor 2024 wird knapp 68 Prozent der Kinder regelmäßig, das heißt mindestens mehrmals pro Woche, vorgelesen. Ist diese Quote Ihrer Meinung nach zufriedenstellend?
Nein, für mich ist dieser Wert nicht zufriedenstellend. Denn das bedeutet, dass jedes dritte Kind in Deutschland gar nicht oder nicht ausreichend vorgelesen bekommt. Vorlesen ist aber wichtig, weil es die Sprachentwicklung fördert und den Schlüssel zur Bildung darstellt. Deshalb müssen wir alles tun, um auch jene Familien zu erreichen, für die das Vorlesen nicht selbstverständlich ist – mit niedrigschwelligen Angeboten, den Kooperationen mit Kitas und Schulen und ganz viel Geduld. Genau das versucht unsere Bibliothek.
In welche Themen und Bereiche möchten Sie zukünftig mehr investieren?
In die Sprachförderung der ganz Kleinen. Ich finde es so erschreckend, wenn Kinder in der fünften oder sechsten Klasse alltägliche Wörter nicht verstehen. Meiner Meinung nach muss man schon vor dem Kindergarten beginnen und bereits die Allerkleinsten für Sprache und Bilderbücher begeistern. Vielleicht gelingt es uns in nächster Zeit, eine neue Veranstaltungsreihe zu etablieren – die „Bücher-Babys“. Auch in den Kitas wären regelmäßige Vorlesestunden wünschenswert, gerne mit Unterstützung von Ehrenamtlichen, da das Personal oft nicht die zeitlichen Kapazitäten dafür hat.
Frau Reidel, zum Schluss ein paar Tipps für den Sommer: Welche spannende Kinderlektüre würden Sie empfehlen?
Mir liegen vor allem die Bücher meiner Lieblingskinderbuchautorin Sabine Bohlmann am Herzen, vor allem die „Frau Honig“-Reihe, in der es um ein zauberhaftes Kindermädchen geht. Auch empfehle ich die spannende Fantasy-Reihe „Die Chroniken von Mistle End“ von Benedict Mirow, die an Harry Potter erinnert. Eine Autorin, die bei uns war und die Schüler wirklich begeistert hat, ist Efua Traoré, Autorin des Buches „Kinder des Treibsands“. Darin geht es um ein Kind, das in der nigerianischen Großstadt Lagos wohnt und die Ferien bei ihrer Oma auf dem Land verbringt. Ich finde die Geschichte total bezaubernd und abenteuerlich, und sie bietet gleichzeitig die Möglichkeit, ein anderes Land kennenzulernen.

