"Mut für Neues haben":Architektur, die atmet

pf

In Dürnast sollen, wie auf diesem Bild, künftig Bäume in Kübeln in Stockwerken übereinander stehen, verwachsen und dann zu einem Baumkubus werden.

(Foto: Privat)

Der Baubotaniker und Professor Ferdinand Ludwig entwirft und plant lebendige Gebäude. Dabei sollen Bäume miteinander verwachsen und tragfähige Strukturen ausbilden - oder in Häuserkonstruktionen integriert werden.

Von Katharina Aurich, Freising

Gebäude aus lebendigen, noch wachsenden Bäumen zu bauen, ist der Traum des Architekten Professor Ferdinand Ludwig, der 2007 das Forschungsgebiet "Baubotanik" gegründet hat. Dabei werden nicht etwa Bretter oder Kanthölzer verwendet, sondern Bäume verbinden sich, ihre Stämme oder Äste werden aneinander gedrückt, sie verwachsen miteinander und bilden tragfähige Strukturen aus. Welche Baumarten sich dafür besonders gut eignen, wie schnell sie wachsen, wie sie sich bei Hitze, Frost oder Wassermangel verhalten, das untersuchen Ludwig und sein Team auf einer Fußballfeld-großen Fläche am Versuchszentrum für Gartenbauwissenschaft am Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TU München (TUM) in Freising-Dürnast.

Seit jeher faszinieren Bäume den Menschen. Professor Ludwig, der seit März 2017 die neue Tenure-Track-Assistant-Professor für "Green Technologies in Landscape Architecture" an der TUM inne hat, geht noch einen Schritt weiter und will Bäume auf eine neue Art in die Städte holen, sie mit Gebäuden verknüpfen und damit den Lebensraum der Stadtbewohner ökologisch aufwerten. Da in dicht bebauten Straßen und auf asphaltierten Plätzen freie Fläche knapp ist, sollen die Bäume in Zukunft nicht alleine stehen, sondern in Gebäude integriert werden und einen Teil der bisher versiegelten Fläche erhalten. Denn sie leisten wertvolle Dienste: Sie spenden Schatten, kühlen und sorgen durch ihre Verdunstung und Feinstaubbindung an der Blattoberfläche für frische Luft, was in diesem heißen Sommer besonders gefragt ist. Aber Bäume und Gebäude entstehen und wachsen unterschiedlich schnell, ein Haus sei in einigen Monaten fertig, Bäume benötigten viele Jahre, bis sie hoch und ihre Äste ausladend seien, beschreibt Ludwig, der 2006 sein Architekturstudium an der Universität Stuttgart abschloss und dort das Forschungsgebiet "Baubotanik" aufbaute, das er bis 2017 leitete. Man könne einen Baum nicht am Reißbrett entwerfen, die Natur funktioniere nach eigenen Gesetzen und Pflanzen würden durch Umweltbedingungen geformt. Aber mit einer guten Planung könne man diese Unsicherheiten mit einbeziehen und langfristig Bäume formen und in Gebäude integrieren, "wenn sich die architektonische Vorlage an dem natürlichen Wachstumsmuster der Pflanzen orientiert", ist Ludwig überzeugt.

Die einzelnen Bäume sollen sich zu Tragstrukturen verbinden

Dafür seien aber sehr genaue Kenntnisse vom Wachstumspotenzial eines Baumes wichtig, daher flössen botanisches, forstwissenschaftliches und gartenbauliches Wissen in die Konzeption mit ein. Auf der Fläche in Dürnast wachsen im Moment Platanen, Weiden, Birken und Schwarzerlen in zwei Reihen, an denen untersucht wird, wie Verbindungen von Stämmen und Ästen entstehen und sich entwickeln. Es sei faszinierend, wie zwei Äste verschiedener Bäume, die man aneinander drücke, schließlich von selbst ihre Rinde beiseite schöben, sich verbänden, schließlich gemeinsame Jahresringe bildeten und als ein Baum weiterwuchsen, sagt Ludwig begeistert. Aber auch mit Schrauben werde nachgeholfen und beobachtet, wie gut die Verbindungstechniken der Baubotanik funktionierten. Im kommenden Jahr werden auf dem Feld in Dürnast auch junge Bäume in Kübeln in Stockwerken übereinander in einem Drahtgerüst, einem Art Baumkubus, stehen. Das Gerüst solle eines Tages unnötig werden und sich die Bäume zu Tragstrukturen verbunden haben, schildert der Professor.

Die Verbindung von Bauwerken und Pflanzen sei nicht neu, historische Beispiele seien die lebenden Brücken in Indien oder auch die Tanzlinden in Deutschland, die früher oftmals in der Dorfmitte standen und deren Astwachstum geleitet wurde, so dass sie sich kunstvoll um die Tanzpodeste wanden.

Professor Ludwig erforscht nicht nur die Voraussetzungen, Bäume in Bauwerke zu integrieren, um den Alltag und das Lebensumfeld von Stadtbewohnern gesünder zu gestalten, sondern er appelliert auch an öffentliche und private Bauherren: "Wir hoffen, dass nicht nur die öffentliche Hand, sondern auch Private immer mehr den Wert von Pflanzen als Bestandteil der Architektur erkennen und Mut für Neues haben."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: