Süddeutsche Zeitung

Musiklehrerin Lucinde Haeselbarth:"Schule muss wieder menschlicher werden"

Lucinde Haeselbarth ist Tierheilpraktikerin und Musiklehrerin - und sie verzichtet bewusst auf das Internet. Viele ihrer Schüler sind in ihren Augen smartphonesüchtig, eine Entwicklung, die sie mit Sorge betrachtet. Ein Leben ohne Tiere kann sie sich nicht vorstellen.

Interview von Katharina Aurich, Zolling

Die beste Künstlerin sei die Natur, solch wunderbare Werke wie ein Blatt, eine Blüte oder ein galoppierendes Pferd könne kein Mensch hervorbringen, davon ist die Flötistin und Tierheilpraktikerin Lucinde Haeselbarth überzeugt. Dafür möchte sie den Blick ihrer Schüler schärfen und Freude am Musizieren und an der Kreativität wecken, Fähigkeiten, die in Zeiten des Internets verloren gingen. Sie selbst verzichtet auf das Internet.

SZ: Wenn Sie etwas bestellen, für sich persönlich oder Ihre Praxis, oder wenn Sie sich informieren möchten, wie gehen Sie dabei vor?

Haeselbarth: Ich kaufe am liebsten im Geschäft ein, möchte den persönlichen Kontakt und mit dem Verkäufer sprechen. Es ist doch ein Wahnsinn, wie viele Lastwagen inzwischen auf den Straßen unterwegs sind, um all diese Waren, die dann oftmals doch nicht genommen werden, hin und her zu transportieren. Manchmal bestelle ich auch telefonisch, die Internetapotheke zum Beispiel nimmt meine Bestellungen entgegen, die kennen mich schon und es ist kein Problem. Wenn ich mich informieren will, frage ich meinen 95-jährigen Vater, der bei mir lebt. Er ist ein wandelndes Lexikon. Ich lese Zeitung und natürlich lese ich in meinen Büchern nach.

Haben Sie aufgrund des Verzichts auf das Internet keine Sorge, nicht mehr dazuzugehören?

Ich denke, dass ich präsenter in der Gegenwart lebe als viele meiner Mitmenschen, ich bin voll da und auch ohne Fernsehen gut informiert. Ich bin nicht gegen Neuerungen, halte das Internet aber für gefährlich. Es verändert die Persönlichkeit, überflutet uns mit Reizen, die Menschen sind geistig oftmals weggetreten und bekommen von ihrer unmittelbaren Umgebung gar nichts mehr mit.

Wie hat das Internet Ihre Schüler verändert?

Früher habe ich Referate bekommen, die waren gut geschrieben und mit wunderschönen eigenen Zeichnungen bebildert. Heute bekomme ich aus Wikipedia ausgedruckte Blätter. Jungen Menschen Musik beizubringen, ist sehr schön, wird aber immer schwieriger, da die Konzentrationsfähigkeit abnimmt. Viele von ihnen sind medien- und smartphonesüchtig, das macht mir große Sorgen. Da ich Einzelunterricht gebe, erfahre ich viel von den Sorgen und Nöten meiner Schüler, die merken, dass etwas nicht stimmt.

Was sollte sich ändern ?

Schule müsste wieder menschlicher und der Kontrollwahn weniger werden. Die musischen und alle künstlerischen Fächer sollten wieder einen größeren Stellenwert erhalten und Schüler mehr Freiraum und Zeit, sich auszuprobieren. Das macht sie auch stark, Krisen in ihrem späteren Leben zu meistern.

Das mussten Sie auch, als Sie nicht mehr professionell Querflöte spielen konnten. Wie kamen Sie dazu, Tierheilpraktikerin zu werden ?

Als ich Anfang 30 war, konnte ich nicht mehr spielen, da meine Halswirbelsäule aufgrund eines Behandlungsfehlers beschädigt ist. Ein Pfund Silber, so viel wiegt eine Querflöte, sechs bis acht Stunde täglich beim Üben zu stemmen, das geht nicht mehr. Tiere gehörten schon immer zu meinem Leben dazu, sie sind ehrlich und unverstellt. Ich bedaure Menschen, die keinen Zugang zu Tieren haben. Deshalb fiel mir die Entscheidung leicht, aber anfangs war es anstrengend, von der Musik auf die Tierheilkunde umzuschwenken.

Was muss man als Tierheilpraktikerin können?

Leider gibt es für diesen Beruf keine staatliche Prüfung. Ich habe ein dreijähriges Studium absolviert, als Grundlage brachte ich physiologische und anatomische Kenntnisse mit. Ich arbeite vor allem homöopathisch, oft in Verbindung mit Heilpflanzen. Dafür muss ich mich natürlich in der Wirkung von Pflanzen auskennen. Außerdem behandle ich die Vierbeiner osteopathisch und mit Lasertherapie. Aber ich bin auch froh, dass es die Schulmedizin gibt. Ich arbeite mit einer Kleintierpraxis und einer Pferdepraxis zusammen, oftmals behandeln der Tierarzt und ich Patienten gemeinsam und wir sprechen uns ab.

Wo behandeln Sie und welche Tierhalter kommen zu Ihnen?

Zu den Pferden fahre ich in die Ställe, zu einem sehr alten Neufundländer fahre ich auch nach Hause. Es würde zu lange dauern, ihn in ein Auto zu heben. Die anderen Tiere werden von ihren Besitzern in meine Praxisräume gebracht. Anfangs hatte ich Räume gemietet, jetzt habe ich mir Praxisräume in meinem eigenen Haus selbst ausgebaut. Die Tierhalter sind meist Menschen, die sich ebenfalls alternativ von Heilpraktikern behandeln lassen und damit gute Erfahrungen gemacht haben. Manchmal kommen auch vierbeinige Patienten, bei denen die Schulmedizin ausgereizt ist. Ihnen zu helfen, ist meist schwierig, aber es gibt auch Erfolge.

Neben Ihrer Arbeit als Lehrerin und Tierheilpraktikerin finden Sie Zeit für Ihre eigenen Tiere, wird das nicht zu viel?

Ich kann mir ein Leben ohne meine Tiere nicht vorstellen. Außerdem verarbeite ich die Wolle meiner Schafe, wasche sie und einen Teil bringe ich zum Spinnen nach Österreich. Das übernimmt eine alte Bergbäuerin, die sich freut, dass diese alte Kunst noch gebraucht wird. Aus der ungesponnenen Wolle stelle ich Zirbelkissen her und aus der Wolle webe ich Teppiche oder stricke Pullover. Ich brauche einen Ausgleich, möchte etwas mit meinen Händen schaffen. Die Musik und auch meine Arbeit als Tierheilpraktikerin sind flüchtige Künste. Wenn ich Musik mache, dann ist sie nur in diesem Moment da. Mir ist es auch wichtig etwas zu gestalten, was bleibt. Da ich sehr gerne handwerklich arbeite, stelle ich Dinge her, um Natur und künstlerisches Gestalten zusammenzubringen. Diese Symbiose ist für mich das Allerschönste.

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