Bei einer Kunstausstellung ist nicht nur wichtig, was gezeigt wird, sondern gelegentlich auch, wo es gezeigt wird. Das ist in diesem Fall erwähnenswert, weil die Ausstellung, um die es gerade geht, durch die Linse der Kunst das schmerzhafte und durchaus problematische Verhältnis zwischen Sexualität und Kirche reflektiert. Und das tut sie nicht in einer staatlichen Galerie, sondern ausgerechnet im Freisinger Diözesanmuseum - aus einem Impuls von Kardinal Reinhard Marx und dem früheren Generalvikar der Münchner Erzdiözese, Peter Beer.
"Verdammte Lust! Kirche, Körper, Kunst" heißt die Ausstellung, die vom 5. März bis zum 29. Mai auf dem Freisinger Domberg zu sehen ist. Gezeigt werden mehr als 150 Kunstwerke, von der Antike bis in das frühe 19. Jahrhundert, die unter anderem aus renommierten Museen wie den Uffizien in Florenz und dem Kunsthistorischen Museum Wien kommen. Zu den Künstlern gehören Namen wie Lucas Cranach, Albrecht Dürer, Guido Reni, Tintoretto, auch eine Leonardo da Vinci zugeschriebene Zeichnung und ein völlig nackter Christuskörper von Michelangelo sind zu sehen.
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Sie alle thematisieren einen unterschiedlichen Aspekt dieses Spannungsfeldes, was sich nicht unterscheidet, ist die Männerperspektive, die lange die Kunstgeschichte und erst recht die Theologie dominiert hat. Mit einer Ausnahme: die berühmteste Alte Meisterin des 17. Jahrhunderts, Artemisia Gentileschi, die von manchen als Vorreiterin der Frauenbewegung gesehen wird. Aber dazu später.
Ausgangspunkt für die Ausstellung ist die Repräsentation des Körpers: der Körper als Ort der Freiheit und zugleich der Sünde (Adam und Eva), der Körper als Symbol der Reinheit und der göttlichen Perfektion, der deshalb asexuell wird (Jesus und Maria), aber auch der Körper als Hindernis auf dem Weg zu Gott, der kontrolliert, unterdrückt und gar verboten werden muss. Denn waren Körper und Sexualität in der vorchristlicher Zeit allgegenwärtig, werden sie spätestens seit dem Kirchenvater Augustinus (354 bis 430) und seiner Interpretation der biblischen Erzählung zur Grundlage für die bis heute gültige Sexuallehre der Kirche. Und die besagt, dass die Lust ein Instrument der Sünde ist und dass Geschlechtsverkehr nur im Rahmen der Ehe stattzufinden hat und sowieso zur Fortpflanzung dient.
Interessant an der Ausstellung ist aber nicht nur, wie die Künstler die kirchliche Sexuallehre malerisch umgesetzt und auf welche Symbole sie zurückgegriffen haben, sondern auch, welche mehrschichtigen, zum Teil auch versteckten Botschaften sie absichtlich vermitteln wollten - und tatsächlich wird es manchmal unklar, wo die Grenze zwischen der irdischen und der himmlischen Welt läuft. Ein prägnantes Beispiel ist hierfür die Figur der Maria Magdalena: Einerseits wird sie wie nach Tradition als Büßerin präsentiert, andererseits als Frau, die ihre Sinnlichkeit erlebt und zur Projektionsfläche von männlichen Fantasien wird.
Oder der San Sebastian: Einerseits ist er der Märtyrer, dessen Körper von Pfeilen durchbohrt wird, andererseits - zum Beispiel in der berühmten Darstellung von Guido Reni - erscheint er als halb nackter Junge, der durchaus erotisiert wird und in späteren Zeiten zur homosexuellen Kultfigur wurde.
Ein anderer, brisanter Aspekt, der in der Ausstellung präsentiert wird, ist die Verletzlichkeit der Sexualität. Sexualität ist immer auch als Machtfrage zu interpretieren, es ist die auftretende Ungleichheit - zwischen Mann und Frau, zwischen Erwachsenen und Kind, aber auch zwischen der gesellschaftlichen Mehrheit und der Minderheit -, die zu Gewalt und Missbrauch führt. Und hier kommt die Barockmalerin Artemisia Gentileschi ins Spiel, die die biblische Geschichte von Susanna im Bade malt: Susanna ist eine junge Frau, die beim Baden von zwei alten Männern beobachtet wird, sie wollen sie vergewaltigen und drohen ihr, das Gerücht der Untreue zu verbreiten, sollte sie sich weigern. Doch das tut Susanna und entkommt der Gewalt. Nicht so im reellen Leben, was das Gemälde noch beklemmender macht: Artemisia Gentileschi war selbst Opfer sexualisierter Gewalt, sie rebellierte gegen ihren Gewalttäter. Das führte dazu, dass gegen den Mann ein für die damalige Zeit aufsehenerregender Vergewaltigungsprozess eingeleitet wurde - während dem sie als Opfer erniedrigt und sogar gefoltert wurde.
Christoph Kürzeder, Direktor des Diözesanmuseums, betont, dass es sich dabei um keine Ausstellung über sexualisierte Gewalt und Missbrauch handelt, obwohl sie durchaus im Kontext der aktuellen Diskussion steht. Man wolle "vielmehr strukturelle Probleme und Widersprüche aufzeigen, welche die kirchliche Sexuallehre von ihren Anfängen bis heute begleiten". Und man wolle keine endgültige Antwort suggerieren. "Eine solche Ausstellung berührt die sexuelle Biografie jedes Besuchers und jeder Besucherin und wird damit zwangsläufig persönlich", so Kürzeder.
Auch deshalb, erklärt er, steht am Ende, als Schlusswort sozusagen, ein Leonardo da Vinci zugeschriebenes Blatt mit dem Motiv des Angelo incarnato, des Fleisch gewordenen Engels. Der Engel, der an das Sujet des berühmten Johannes der Täufer erinnert, deutet mit einer Hand zum Himmel, er ist unverhüllt, in seiner Körpermitte sieht man, dass er sexuell erregt ist, aber auch die angedeutete Form eines Busens ist zu erkennen. Leonardo gilt als eines der Universalgenies aller Zeiten, ihn wird man nie ausreichend verstehen. Wie ist das also zu interpretieren? Gibt es überhaupt eine eindeutige Interpretation? Auf der Rückseite der Zeichnung sind drei griechische Wörter notiert: Blitz, Donner, Blitzschlag. Oder auch: die Kraft der Natur, die von einer Sexuallehre zwar unterdrückt, aber nicht erlöscht werden kann.
Die Ausstellung im Freisinger Diözesanmuseum ist vom 5. März bis zum 29. Mai täglich außer montags von zehn bis 18 Uhr geöffnet. Sie ist empfohlen für Besucherinnen und Besucher ab 14 Jahren.