Müller-Brot:Behörden wussten schon lange von Hygieneproblemen

Die Hygieneprobleme bei Müller-Brot waren den Behörden schon seit Jahren bekannt. Eine "Taskforce" von Lebensmittelprüfern hat die Zentrale sieben Mal besucht, mehrfach wurden Waren aus dem Handel zurückgerufen - und die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits seit Monaten gegen fünf Mitarbeiter. Nur die Verbraucher erfuhren von den Zuständen bei der Großbäckerei nichts.

Katja Riedel und Ralf Scharnitzky

Die Fragen fliegen wie Dartpfeile durch den Sitzungssaal im altehrwürdigen Freisinger Landratsamt. Sie bleiben stecken, in einer Wand aus Schweigen. Alles aufdecken wollen der Landrat und das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) bei dieser Pressekonferenz - der ersten seit jenem Montag, an dem sie veranlasst hatten, dass die Neufahrner Großbäckerei Müller-Brot ihre Produktion stoppt, komplett, auf Druck der Behörden.

Müller-Brot: Noch gibt es Backwaren bei Müller-Brot zu kaufen - wie lange noch, ist unklar.

Noch gibt es Backwaren bei Müller-Brot zu kaufen - wie lange noch, ist unklar.

(Foto: Robert Haas)

Große Offenheit haben beide Ämter also angekündigt. Darauf vorbereitet, was die Journalisten, stellvertretend für die Öffentlichkeit, dann so alles fragen würden, sind Landrat Michael Schwaiger und LGL-Präsident Andreas Zapf aber nicht. Am Ende sind ihre Köpfe gerötet, aus ihren Blicken spricht Verzweiflung und Wut. "Was sollen wir denn noch sagen?", so schließt Schwaiger die Fragerunde nach nicht einmal einer Stunde.

Sagen könnten sie etwa, welche Schädlinge und welchen Schmutz sie bei welchen Kontrollen und zu welchem Zeitpunkt in welchen Bereichen der 54.000 Quadratmeter großen Fabrik in Neufahrn gefunden haben. Sagen könnten sie auch, warum sie die Öffentlichkeit erst scheibchenweise und zögerlich informierten und erst, nachdem aufgefallen war, dass die Regale der 260 Müller-Brot-Filialen auffällig leer waren. Doch diese Antworten bleiben sie schuldig. "Schädlingsbefall in erheblichem Umfang, das muss Ihnen reichen", bricht Schwaiger die Fragerunde ab. "Das ist das Ende, meine Damen und Herren", sagt er noch. "Vielen Dank für Ihren Besuch."

Es gibt nur wenig Konkretes, was diese Damen und Herren am Freitagmittag notieren können. Vielmehr spricht aber Bände, was sich nach und nach über die Bewältigung der Müller-Brot-Hygienekrise herauskristallisiert: Es war ein Hase-und-Igel-Spiel zwischen Kontrolleuren und Firma, über mehrere Jahre, das am Montag endete: mit der Schließung des Betriebs - bis auf weiteres.

Da war die Geduld am Ende: Insgesamt siebenmal, bestätigt LGL-Chef Zapf, sei seine Spezialeinheit seit dem 9. Juli 2009 gemeinsam mit je zwei bis vier Freisinger Lebensmittelkontrolleuren in der Backwarenfabrik angerückt, unangemeldet, vor dem vergangenen Montag zum letzten Mal am 19. Dezember. Diese Sondereinheit, gegründet nach dem Gammelfleischskandal 2006, ziehen die Kreisverwaltungsbehörden nur dann hinzu, wenn es brennt.

Bei Müller-Brot war das wohl seit mindestens zweieinhalb Jahren der Fall. Die Prüfer kamen, stellten Mängel fest, ließen sie beheben, kontrollierten wieder. Immer wieder seien die Zustände zunächst besser geworden, sagt Zapf, eine Kontrolle später seien dann aber wieder die gleichen Beanstandungen aufgefallen. Zuletzt habe man jedoch gemerkt, dass es nicht anders gehe, als die ganze Fabrik komplett sanieren und reinigen zu lassen.

Die Freisinger Kontrolleure waren auch ohne ihre LGL-Kollegen noch häufiger bei Müller-Brot. Wie oft, das kann der verantwortliche Abteilungsleiter Ingo Schwarz nicht mehr rekonstruieren. Auch die genauen Inhalte ihrer Beobachtungen kann er nicht nennen. Wiederholt sperrten sie unterschiedliche Teilbereiche der Produktion.

Davon waren verschiedene Backwaren betroffen, es gab mehrere Rückrufaktionen. Und die Behörden empfanden die Zustände als derart untragbar, dass sie Bußgelder verhängten, darunter zweimal den Höchstsatz von 25 .00 Euro. Ein solches Bußgeld müssten Firmen nur zahlen, wenn sie das nicht umsetzen, was Kontrolleure bei einem Besuch fordern, sagt Schwarz.

Überrascht von der Öffentlichkeitsarbeit

Ihre Untersuchungsergebnisse schienen den Freisinger Kontrolleuren auch strafrechtlich relevant zu sein. Jedenfalls meldeten sie diese im Mai 2011 der Staatsanwaltschaft in Landshut, die seither gegen fünf Personen ermittelt. Seine Männer, sagt Schwarz, erfüllten nämlich eine Doppelfunktion, sie seien auch Helfer der Staatsanwälte. Die Mängel hätten sie direkt nach Landshut gemeldet; über den Schreibtisch des Landrats sei dies nicht gelaufen. Von den Ermittlungen wusste auch das bayerische Gesundheitsministerium. Doch über all das erfuhr die Öffentlichkeit, erfuhren die Verbraucher kein einziges Wort. Auch, weil man die Folgen für Müller-Brot fürchtete.

Doch wie gravierend waren die Funde, wie bedenklich? Kakerlaken, Mehlwürmer, Mäusedreck seien in den Produktionsanlagen gefunden worden - so konkretisieren das freilich nicht Landrat Schwaiger oder LGL-Chef Zapf auf der Pressekonferenz, sondern das erzählen diejenigen, die in der Großbäckerei arbeiten; am Freitagabend spricht dann die Regierung von Oberbayern offiziell von Insekten wie Käfern, Schaben oder Motten sowie Mäusen.

Und auch manche von den Beschäftigten, die ohnehin seit längerem um ihre Arbeitsplätze fürchten, fragen sich: Muss eine Behörde nicht die Verbraucher über Getier in der Backfabrik in Kenntnis setzen, egal ob sich der Verbraucher damit gesundheitliche Schäden zuzieht oder es ihn bloß gruseln würde

Haben die Behörden also versagt, vom Landratsamt über die Regierung von Oberbayern, über das LGL bis zum Gesundheitsministerium, das nach eigenen Angaben seit Mitte 2009 informiert war? "Wir sind an rechtsstaatliche Grundsätze gebunden und haben diese konsequent umgesetzt", sagt Andreas Zapf. "Es waren korrekte Verfahren, wir haben immer wieder kontrolliert, gemahnt, Ordnungsgelder angeordnet und zuletzt beschlossen, dass eine wirkliche Sanierung nur möglich ist, wenn die Produktion stillgelegt wird."

Das Maß sei überschritten gewesen. Die Zustände bei Müller-Brot und den Umgang der Behörden aber mit dem Gammelfleischskandal in Beziehung zu setzen, findet Zapf absolut unangebracht. Warum man die Öffentlichkeit also so spät informiert und Details nicht genannt habe? Zapf sagt, er habe Angst gehabt, dass die Boulevards vieles aufblasen, was sich nicht mehr zurücknehmen ließe. Er sagt auch, er habe sie unterschätzt, diese Welle an Aufmerksamkeit.

Auch die Branche beobachtet die Missstände bei Müller-Brot aufmerksam. Armin Juncker vom Großbäckerverband, zu dem auch Müller-Brot gehört, hält Hygieneregeln für das Top-Thema der Branche überhaupt. Gerade als Lieferant von Supermarktketten dürfe man nicht angreifbar sein. Juncker ist überzeugt, "dass nur Betriebe mit hohen Hygienestandards wettbewerbsfähig bleiben werden".

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