Erinnerungskultur in Moosburg:Jeder Stein ein Schicksal

MOOSBURG: Stolpersteinverlegung

Gunter Demnig beim Einsetzen eines Stolpersteins.

(Foto: Johannes Simon)

Der Künstler Gunter Demnig verlegt zwei kleine Messing-Gedenktafeln im Gehweg, die an Alois Weiner und Heinrich Hiermeier erinnern - beide zählten zu den Verfolgten der NS-Zeit.

Von Alexander Kappen, Moosburg

Seit mehr als 20 Jahren verlegt der Künstler Gunter Demnig in ganz Europa seine "Stolpersteine". Mit diesen Gedenktafeln aus Messing, die im Gehsteig vor dem letzten selbst gewählten Wohnort eingelassen werden, erinnert er in Zusammenarbeit mit örtlichen Initiativen an die Opfer der NS-Zeit. Eine solche Erinnerungskultur werde immer wichtiger "vor dem Hintergrund, dass die Rechten und extrem Rechten mehr werden und ihr Gedankengut auch in die Parlamente tragen", sagte Michael Stanglmaier (Grüne), Dritter Bürgermeister von Moosburg, als Demnig dort am Dienstag die ersten beiden Stolpersteine für Alois Weiner und Heinrich Hiermeier verlegte.

Die Initiative dazu kam von der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" (VVN), die auch die Vorarbeiten leistete. Stefan John (Linke) und die Mitunterzeichner Thomas Wittmann, Julia Neumayr (beide Fresh), Martin Pschorr, Gerd Beubl (beide SPD), Michael Stanglmaier (Grüne), Jörg Kästl, (ÖDP), Johann Reif (FW), Rudolf Heinz (CSU) und Philipp Fincke (FDP) stellten schließlich einen überparteilichen Antrag im Stadtrat, der im Januar einstimmig angenommen wurde.

"Jeder Stein ist ein kleines Denkmal und Einzelschicksal", sagte John am Dienstag: "Jeder und jede kann getroffen werden, ob jung oder alt, reich oder arm." Es bedürfe "der Solidarität, alle müssen aufeinander achten, damit so was nicht mehr passiert". Die Steine seien "absichtlich im Boden verlegt - damit man sich bücken muss und vor den Opfern verneigt", erläuterte ein Schüler des Moosburger Gymnasiums, wo sich ein P-Seminar - auch das war Bestandteil des Stadtratsbeschlusses - eingehend mit dem Thema befasst. Die Schülerinnen und Schüler umrahmten die Verlegung mit Gedichten, Musik und Infobeiträgen. Sie werden das Projekt weiterhin begleiten, wollen Wikipedia-Einträge zu Weiner und Hiermeier erstellen und einen thematischen Rundgang konzipieren.

Guido Hoyer von der VVN-Kreisvereinigung Freising-Moosburg stellte die Lebensgeschichte von Alois Weiner (1872 bis 1953) vor. Am Gries, vor dem Haus mit der Nummer 4, wo Weiner lebte und mit seiner Frau ein Kaufhaus betrieb. Nach der Machtübernahme der Nazis wurden die Kunden des Geschäfts eingeschüchtert, da Weiner Jude war. Zudem hatte er eine außereheliche Beziehung zu einer "Arierin", was damals als "Rassenschande" und schweres Verbrechen galt. Weiner ließ sich scheiden und ging nach München, um das Geschäft zu "entjuden". Später trat er zur Katholischen Kirche über, musste als über Siebzigjähriger trotzdem zur Zwangsarbeit in ein Lager und wurde 1942 ins KZ Theresienstadt abtransportiert, wo er trotz katastrophaler Bedingungen überlebte. Nach der Befreiung kehrte er nach Moosburg zurück, saß in Stadtrat und Kreistag, engagierte sich zudem im sozialen Bereich.

MOOSBURG: Stolpersteinverlegung

Wilhelm Ellböck zeigt ein Bild mit seiner Großmutter Christiana und Hiermeier, der sie geheiratet hat.

(Foto: Johannes Simon)

Am Stadtgraben 30 erzählte Stadtarchivar Wilhelm Ellböck als Angehöriger aus dem Leben von Heinrich Hiermeier (1907 bis 1940). Ellböck ist der Stiefenkel Hiermeiers, der seine Großmutter heiratete, die mit ihrem Kind vom leiblichen Vater verlassen worden war. Hiermeier war engagiertes KPD-Mitglied, kam deshalb in Haft, blieb seiner antifaschistischen Haltung jedoch treu. Er wanderte wieder ins Zuchthaus Straubing und starb nach der Entlassung angeblich durch einen Unfall auf einer Baustelle am Obersalzberg. Ein Zeitzeuginnenbericht legt nahe, dass er als Zwangsarbeiter dorthin verschleppt worden war. Der Unfall könnte auch ein getarnter Mord gewesen sein. Der Sarg habe von seiner Großmutter unter einem Vorwand nicht geöffnet werden dürfen, so Ellböck: "Hier wurde die Wahrheit begraben."

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