Lebenshilfe Freising:"Wir sind ein offenes Haus"

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Im Anneliese-Schweinberger-Haus in Moosburg werden Menschen mit Schwerstmehrfachbehinderungen betreut. Der Therapiehund von Conni Fuchs, stellvertretende Leiterin (3. v. r.) spielt dabei eine große Rolle. Neben ihr steht die Leiterin Evi Hübl. (Foto: Marco Einfeldt)

Im Anneliese-Schweinberger-Haus in Moosburg leben seit 25 Jahren Menschen mit Schwerstmehrfachbehinderungen. Dort sollen sie ein möglichst eigenständiges Leben führen. Die Betreuung ist intensiv, die Arbeit ist anstrengend und bringt die Pflegekräfte oft an ihre Grenzen. Deeskalations-Trainings helfen dem Personal - und die Fröhlichkeit der Bewohner.

Von Gudrun Regelein, Moosburg

Hannelore sitzt an dem Tisch im Gemeinschaftsraum, vor ihr steht eine kleine Holzkiste, in die sie sorgfältig Stifte einsortiert. "Damit ich wieder malen kann", sagt sie fröhlich. Hannelore ist eine der insgesamt 26 Bewohnerinnen und Bewohner, die derzeit im Anneliese-Schweinberger-Haus (ASH) in Moosburg leben. Alle haben Schwerstmehrfachbehinderungen, sie leiden unter geistigen, psychischen, körperlichen Beeinträchtigungen oder unter Epilepsie. Im Anneliese-Schweinberger-Haus finden sie nicht nur ein Zuhause, sondern werden auch dabei unterstützt, ein noch möglichst eigenständiges Leben zu führen. Selbstbestimmtheit ist das Ziel, sagt Evi Hübl, die Leiterin des Wohnhauses der Lebenshilfe.

In dem orangefarbenen Haus mit den vielen selbst gemalten Bildern an den Wänden herrscht eine freundliche Atmosphäre, eine weiße, sterile Klinik wolle man nicht sein. Alles ist bunt und wohnlich. Die Frauen und Männer zwischen 22 und 81 Jahren leben in verschiedenen Wohngruppen auf drei Etagen. Einige von ihnen sind schon sehr lange hier, auch Evi Hübl. Seit 1999 leitet sie bereits das Wohnhaus, das 1997 eröffnet wurde. In diesem Jahr feiert das Anneliese-Schweinberger-Haus sein 25-jähriges Bestehen.

Eine weiße, sterile Klinik will man nicht sein, alles ist bunt und wohnlich. (Foto: Marco Einfeldt)

Vor über 25 Jahren ermöglichte Anneliese Schweinberger mit ihrem Erbe den Bau des dann nach ihr benannten Wohnhauses in Moosburg. Unterstützt wurde sie damals durch die eifrige Spendensammlerin Juliane Maier und deren Familie. Nach einer relativ kurzen Bauzeit, sie startete 1996 und endete bereits ein Jahr später, wurde das Anneliese-Schweinberger-Haus eröffnet und bot damals Platz für 24 Bewohnerinnen und Bewohner. Wegen des hohen Bedarfs wurden aber sehr bald drei weitere Räume umfunktioniert, um mehr Plätze zu schaffen - auch wurde 2000 eine Tagesbetreuung für die Senioren unter den Bewohnern etabliert. Bedarf für mehr Plätze aber gebe es heute noch, Anfragen gebe es viele. "Angebote für Menschen mit einem ganz hohen Hilfebedarf sind rar", sagt Hübl.

Eine sehr intensive Betreuung

So wie damals sei die Gruppe wild durcheinander gewürfelt, alle seien Individualisten - sie alle aber brauchen eine große Unterstützung. Bei der Begleitung von Menschen mit Mehrfachschwerstbehinderung sei immer das sogenannte herausfordernde Verhalten ein Thema: Sachbeschädigungen, Fremdverletzungen, verbale Aggressionen, lautes Schreien, Drohungen aber auch Selbstverletzungen zählen beispielsweise dazu. Die Betreuung sei sehr intensiv, der Pflegeschlüssel ist 1 : 1. "Die Begegnungen können auch anstrengend sein", sagt Conni Fuchs, die Stellvertreterin von Hübl. Es gebe Tage, an denen gerate man an seine Grenzen. Fortbildungen und Deeskalations-Trainings helfen bei der Arbeit. Und es gebe auch viele schöne Momente, die Begegnungen mit Doris am Morgen beispielsweise, bei der diese sie immer mit Küsschen und Fröhlichkeit begrüßt. "Dann ist der Tag gerettet", sagt Fuchs.

Täglicher Begleiter von Conni Fuchs ist Alibaba, ihr Labradoodle, ein Therapiehund, den alle lieben. (Foto: Marco Einfeldt)

Ein Teil der Bewohner besucht werktags für einige Stunden die benachbarte Förderstätte, zwei Bewohner arbeiten in der Werkstatt für behinderte Menschen. Sechs Bewohner aber sind immer hier. Für sie gibt es einen Wochenplan, mit Sport-, Kunst- und Musikangeboten. Täglicher Begleiter von Fuchs ist Alibaba, ihr Labradoodle, ein Therapiehund. Er ist ihr eine große Hilfe bei ihrer Arbeit, erzählt sie. "Es ist unglaublich, was er bei den Bewohnern bewirken kann, wie sie auf ihn reagieren." Seit einigen Wochen leben auch vier Zwerghühnchen in einem neu gebauten Hühnerhaus im Garten, um die sich auch die Bewohner kümmern. Trotz aller Bemühungen zeige sich oft erst nach Monaten oder sogar Jahren ein Erfolg durch die Therapieansätze, sagt Hübl. Aber immer wieder gelinge es, den Klienten ein großes Stück Lebensqualität zurückzugeben. Das Engagement ihrer Mitarbeiter sei enorm, nur deshalb könne man auf Eigenheiten der Bewohner eingehen. Viele konnten emotional stabilisiert werden, anderen wieder eine Art Sprache gegeben werden. "Sie sollen ein gutes, ein würdevolles Leben haben", betont Hübl. Und sie werden im Anneliese-Schweinberger-Haus auch beim Sterben begleitet.

"Wir meiden die Öffentlichkeit nicht", sagte Therapieleiterin Evi Hübl (Foto: Marco Einfeldt)

Die Bewohnerinnen und Bewohner schauen anders aus, sie sind laut und sie benehmen sich anders, sagt Hübl. "Einmal, aber das war vor vielen Jahren, sind wir sogar aus einem Café verwiesen worden." Und einmal habe sie sogar den Satz gehört: "Früher hätte man euch vergast". Das habe sie aber nicht auf sich beruhen lassen, sie habe sich beschwert - der Mann musste sich entschuldigen. "Wir meiden nicht die Öffentlichkeit", sagt Hübl. So wird auch im benachbarten Supermarkt eingekauft - und mit dem Kunstverein Moosburg gab es bereits eine gemeinsame Ausstellung. "Wir sind ein offenes Haus", betont Hübl. Viele der Besucher würden die Stimmung als gelöst und zugewandt empfinden - und seien überrascht, was die Bewohner noch alles können, schildert sie. Viele würden auch überrascht sein, dass Menschen, die blind sind, nur wenige Worte sprechen können oder im Rollstuhl sitzen, glücklich wirken. "Die Begegnungen haben Früchte getragen. Wir werden inzwischen in Moosburg akzeptiert - und das ist schön", sagt Hübl.

Pflegekräftemangel sorgt für Krisenmodus

Sorgen aber bereitet ihr der extreme Pflegekräftemangel. Die Personalnot sei groß, neue Mitarbeiter, vor allem Fachkräfte zu finden, äußerst mühsam. Von vielen Bewerbern käme auch - wenn sie erfahren haben, welche Aufgabe sie erwartet -, eine Absage. Bereits seit 2014, als der Bezirk im Personalbereich Kürzungen vornahm, habe sich die Situation zugespitzt. 2018 dann habe man gleich einen ganzen Schwung an Mitarbeitern verloren. Damals habe sie einen Protestzug in Moosburg mitorganisiert, bei dem man auf diesen Notstand hinwies, erzählt Hübl. Der Krisenmodus aber dauere bis heute an. "Der Personalmangel und mögliche kommende Kürzungen schweben wie eine dunkle Wolke über uns", sagt Hübl. Mit engagiertem Personal und viel Zeit könne man bei gehandicapten Menschen viel erreichen, sie könnten Teil der Gesellschaft werden. "Aber ich fürchte, wir haben nicht die Chance, das auch umzusetzen. Und das lässt mich manchmal verzweifeln."

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