Süddeutsche Zeitung

Mitten in Moosburg:Freigang für die Inselbewohner

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Warum auf der neuen Mühlbachbrücke demnächst Hochbetrieb herrschen dürfte

Kolumne von Alexander Kappen

Nun steht er also vor der Tür, dieser zweite Lockdown, Lockdown light, Soft-Lock, das Lockdownerl oder wie immer man es auch nennen mag. Aber man darf ja nicht immer nur schwarzmalen, sondern sollte auch die positiven Dinge im Blick haben. Wenn im Leben eine Tür zugeht, geht eine andere wieder auf. Oder wie es auf Corona-Deutsch heißt: Der eine Lockdown kommt, der andere geht.

So wie für die Anwohner einer schmalen Straße in einer Moosburger Wohngegend. Die befanden sich zuletzt sieben Monate lang im verkehrsmäßigen Semi-Lockdown, weil dort die Brücke über den Mühlbach abgerissen und neu gebaut wurde. Sieben Monate lang war die Straße eine Sackgasse, rein und raus ging es nur noch von einer Seite. Zu Fuß und auf dem Rad bedeutete das in den meisten Fällen lästige Umwege und kostete stets ein paar Extra-Körner, mit dem Auto geriet die Sache regelrecht zum Glückspiel. Da Richtung Straßenende, an dem sich die einzige Zu- und Ausfahrt befand, die eh schon enge Fahrbahn wegen einer weiteren Baustelle auf einem Privatgrundstück monatelang auch noch halbseitig gesperrt war, durfte man es nicht eilig haben in dieser Zeit. Vor-, rück- und seitwärts rangierende Lastwagen oder abgestellte Gerätschaften von zwei Baustellen, dazu tollkühne Packerlfahrer diverser Liefer- und Zustelldienste, die zu Coronazeiten natürlich besonders Konjunktur haben. Nicht selten hieß es: Rien ne va plus!

Doch jetzt, mit nur lächerlichen zwei Monaten Verspätung, hat das Alcatraz-Experiment ein Ende, die Gitter-Bauzäune sind seit Mittwoch weg, die Anwohner der Straße haben wieder Freigang und kommen problemlos runter von ihrer Insel. Wenn demnächst im ganzen Land coronamäßig wieder die Rollläden runtergehen, fragt sich halt nur, wo sie dann hin sollen? Außer mal kurz Klopapier hamstern im Supermarkt oder ein bisschen Essen to go holen, um Körper und Geist milde zu stimmen, ist dann nicht mehr viel drin. Na ja, aber was soll's. Verabredet man sich halt, natürlich nur mit Mitgliedern aus zwei Hausständen, zu einem kleinen Spaziergang und tappst - die wiedergewonnene Freiheit genießend - über die neue Mühlbachbrücke. Und wieder zurück. Und wieder rüber. Immer und immer wieder. Einfach nur so. Weil man es kann.

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Quelle:
SZ vom 29.10.2020
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