Süddeutsche Zeitung

Mitten in Freising:Schuldbewusst im Stau

Lesezeit: 1 min

Warum in Sprüchen oft viel Wahres steckt

Von Kerstin Vogel

Gut ist es an solchen Tagen immer, wenn man als Autofahrer in Freising ortskundig ist, das ist sehr gut. Beim kleinsten Anzeichen eines Staus biegt man elegant rechts ab, schlängelt sich durch eine oder zwei Seitenstraßen, wundert sich, dass es da so zugeht, lässt sich aber keinesfalls beeindrucken. Mit geübtem Blick erkennt man, dass man an der nächsten Einmündung - zum Beispiel in die Vimystraße - auch nicht weiterkommt, bleibt aber ganz entspannt, schließlich kann man ja auch über die Kammergasse und dann . . . dann Gewissenskonflikt. Einfach durch die Innenstadt? Schimpft man nicht sonst immer über diese rücksichtslosen Autofahrer, die ihren Schleichweg durch die City suchen? Andererseits: Muss man nicht ins Büro?

Solcherart innerlich zerrissen, enthebt einen die Stadt an der Amtsgerichtsgasse zunächst der Entscheidung: gesperrt. Über der Frage, ob man als Ortskundiger wohl den Weg durch Mittleren und Oberen Graben finden könnte und ob die Weizengasse gerade eigentlich befahrbar ist, ist man an selbiger Einmündung auch schon vorbeigerauscht, mitgezogen von einem immer stärker werdenden Strom von Autos, immer mehr Autos, Lastwagen, Busse. Man wird auf die Mainburger Straße getrieben, unausweichlich, keine Zeit, cool zu bleiben, die Blechlawine rollt und rollt, runter Richtung ehemalige B 11 - und dann: Stillstand. 15 Minuten von der Hochtrasse bis zur Einmündung in die frühere Bundesstraße. Draußen steigen Busfahrgäste mitten auf der Straße in zweiter Reihe aus, Fußgänger werfen mitleidige Blicke in die Autos. Radler gleiten fröhlich pfeifend auf den Gehwegen an einem vorbei, ja spinnen denn die? Drinnen im Wagen spielen sich unschöne Szenen ab. Es hört einen ja keiner.

Fieberhaft prüft das Gehirn des Ortskundigen Alternativen, die keinen mehrstündigen Umweg oder Konflikte mit der Polizei nach sich ziehen. Vergeblich. Stattdessen liefert das Gehirn, dieses verräterische Ding, ungefragt den blöden alten Spruch: Nur wenn jeder allein fährt, können alle im Stau stehen. Und die eigene Nase juckt. Muss man mal dranfassen.

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Quelle:
SZ vom 26.04.2016
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