Süddeutsche Zeitung

Mitten in Freising:Auf du und du

Warum der alte Knigge wirklich überbewertet wird

Von Regina Bluhme

Eine der Freundinnen der Tochter war nach längerem mal wieder zu Besuch. Freudig wurde die 16-Jährige begrüßt. Ob ich sie später auf dem Weg zum Einkaufen am Bahnhof absetzen könne? Klar, kein Problem. "Echt nett, dass du mich fährst", sagte sie, bevor die Zimmertür zugeknallt wurde. Aha. Wir sind also per du. Als eigentlich recht moderne Ü-40-Mutter muss ich doch gestehen: Ich war leicht irritiert und musste sofort an die Mutter meiner ehemals besten Schulfreundin Cornelia denken.

Nie, aber niemals wäre es mir in den Sinn gekommen, Frau Lubner (Faltenrock, perfekt onduliertes Haar) zu duzen. Doch hier hat offensichtlich ein Umdenken stattgefunden. Umfragen unter befreundeten Teenager-Eltern bestätigen, dass auch sie streng geduzt werden. Beim Blick in die unzähligen Knigge-Benimm-Ratgeber im Internet ist zu erfahren, dass Siezen ein Ausdruck von Respekt gegenüber dem älteren Gesprächspartner ist, zugleich aber auch ein Zeichen von Distanz. Respekt oder Nähe - was ist jetzt besser?

Diese Frage wurde heiß mit einer weiteren Ü-40-Mutter bei einem Café-Besuch diskutiert. Da erschien die Bedienung, ein netter junger Mann: "Na, Mädels, was darf ich euch bringen?" Nach einer winzigen Pause bestellten wir bestens gelaunt zweimal Milchkaffee und waren uns einig, dass ein Du von jüngeren Menschen im Grunde ein sehr sympathischer Zug ist. Und der alte Knigge, der wird ohnehin überbewertet.

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Quelle:
SZ vom 17.11.2015
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