Süddeutsche Zeitung

Mitten in der Region:Sprachlos an der Zapfsäule

In Gegenden, die vom Fremden- oder Durchfahrtsverkehr leben,  empfiehlt sich eine gewisse Multilingualität

Kolumne von Wieland Bögel

Wir haben nahezu alles gemeinsam, außer der Sprache natürlich." Dieser Satz stammt von Oscar Wilde und meint Engländer und Amerikaner, könnte aber genauso gut Bayern und Norddeutsche charakterisieren. Besonders gut sicht- beziehungsweise hörbar wird dies bei der Benennung von Alltäglichem, Nahrungsmitteln zum Beispiel. Ganz besonders natürlich, wenn das betreffende Nahrungsmittel außerhalb Bayerns wenig bekannt ist. Dies traf lange Zeit etwa auf das Helle zu, eine Biersorte, die jenseits der Grenzen des Freistaats teilweise so unbekannt war, dass ein Bekannter nach einem Aufenthalt in nördlichen Gefilden meinte, Zuhause sei, ein Helles bestellen zu können, ohne ständig über den Länderfinanzausgleich diskutieren zu müssen. Dabei hatte er noch Glück, vielen Bayern wurde auf ihre Anfrage keine innenpolitische Diskussion, sondern gleich ein Pils serviert.

Andere Dinge des Alltags haben je nach Breitengrad sehr unterschiedliche Benennungen, was beispielsweise bis heute unter Köln-Touristen, die sich schon auf ein halbes Hendl gefreut haben, oftmals zu Enttäuschungen führt. Gerade in Regionen, die vom Fremdenverkehr leben - oder wenigstens von dessen Durchfahrt - empfiehlt sich daher eine gewisse Multilingualität. Vorbildlich umgesetzt etwa an einer Tankstelle in der Region. Wer dort an der Zapfsäule steht, wird darauf hingewiesen, dass hier nicht nur das Auto, sondern auch dessen Fahrer betankt werden kann, genau: auf das Imbissangebot. Dieses besteht laut Hinweisschild aus "Fleischkäse oder Frikadelle in ofenfrischem Brötchen".

Bevor nun jemand das Wörterbuch bemühen muss, bei den angebotenen Speisen handelt es sich um Leberkäs- und Fleischpflanzlsemmel, ofenfrisch bedeutet so viel wie aufgebacken, also insgesamt ein nicht ganz untypischer Tank- und Raststellen-Snack. Dessen Übersetzung ins Norddeutsche aber vielleicht den Beginn einer ganz neuen Speisekartenkultur markiert, die endlich auf die sprachlichen Besonderheiten auswärtiger Gäste Rücksicht nimmt - so wie es die Italiener mit der Kreation "Wurstel con Krauti" bereits vor Jahrzehnten vorgemacht haben. Darauf eine helle Heißmachwurst samt knusprigem Knotenbrot und süßer Tunke.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4968112
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.07.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.