Süddeutsche Zeitung

Mitten in der Region:Senioren-Sprayer, was geht ab?

Ein Graffiti-Schriftzug an einem Brückenpfeiler wirft bei den Passanten Fragen auf.

Glosse von Regina Bluhme

Bevor sie die Westtangente in Freising eröffnet haben, standen die Brücken und Unterführungen eine Zeitlang mehr oder weniger sinnlos in der Gegend herum. Graffiti-Sprayer waren begeistert! Bunte Muster und Grimassen, böse Schimpfwörter, heiße Liebesschwüre - alles ist da. Auf einem Pfeiler dann das: Schwarz, in ordentlicher, geschwungener Schreibschrift hat jemand "Naseweiß" hinterlassen. Da stellen sich nun gleich mehrere Fragen.

Handelt es sich etwa um eine Anspielung auf Drogenkonsum? Und wenn nicht: Schreibt man das Wort dann nicht mit einem einfachen "s"? Naseweis, sagt der Duden, bedeutet: vorwitzig, vorlaut (meist von Kindern). Aha. Aber das wirft schon die nächste Frage auf: Ist dieses Wort nicht ein wenig altertümlich und gehört zur Kategorie "keck", "lümmelhaft" oder "impertinent", also zu einem aussterbenden Wortschatz, den der durchschnittliche Graffiti-Sprayer nie und nimmer verwenden würde? Bislang gingen wir nämlich davon aus, dass es sich dabei um ein teenager-artiges Wesen handelt, das im Schutze der Dunkelheit und mithilfe von Farbspray und Handytaschenlampe verschiedene Dinge in Englisch an Wänden aufbringt und dabei den Nervenkitzel des eigentlich Verbotenen auskostet.

Hey Bro, was geht hier ab? Senioren-Sprayer, echt jetzt? Könnte tatsächlich ein grauhaariger, drahtiger U-60-Boomer oder eine rüstige Rentnerin am Werk gewesen sein? Jemand, der mal ein Statement gegen die Schmierereien dieser jugendlichen Rotzlöffel setzen will, mit ganz viel Wut im Bauch und einer kleinen Rechtschreibschwäche? Wir wissen es nicht, aber wir behalten die Unterführung im Auge. Kess wie wir sind.

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Quelle:
SZ vom 07.04.2022
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