Süddeutsche Zeitung

Mitten im Supermarkt:Ölig und mehlig

Gaffen geht gar nicht, auch nicht im Supermarkt, wenn sich gerade jemand mit Speiseöl eindeckt.

Glosse von Michael Morosow

Gaffen geht gar nicht, lautet das Motto einer Initiative gegen das rücksichtslose Verhalten von Verkehrsteilnehmern, die gerne menschliches Leid an Unfallstellen mit ihrer Handykamera in Bild und Ton einfangen und damit, abgesehen von der Schändlichkeit ihres Tuns, nicht selten einen Stau provozieren. Es sind dabei nicht wenige, die sich an Katastrophen ergötzen, aber nicht immer sind es Autofahrerinnen und Autofahrer, die ihre Neugierde nicht zügeln können. Schauplatz in diesem Fall: ein Lebensmittel-Discounter.

Vor dem Regal mit Mehl, Gries und ähnlichem bleibt ein Paar mit vollem Einkaufswagen stehen. "Schau doch mal, da gibt's 405er-Mehl zum Saufüttern", sagt er mit leicht ironischem Unterton. 405er-Mehl, muss man wissen, war vor Kurzem aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine als bald nicht mehr lieferbares Lebensmittel bezeichnet worden, weshalb jetzt viele Haushalte, offenbar auch die Frau des Nörglers, 405er-Mehl zum Saufüttern zuhause gelagert haben und wahrscheinlich noch lange nach der Katastrophe dieses Krieges damit Kuchen oder Pfannkuchen fertigen werden können.

Natürlich brauchten die beiden jetzt kein Mehl, egal welchen Typs. Aber die Stelle des vermeintlich leer gekauften Regals mussten sie unbedingt aufsuchen und auch noch ein Beweisfoto schießen. Möglicherweise schicken sie das Bild mit reichlich 405er-Mehl demnächst mit hämischem Kommentar an Bekannte, die zuletzt mit Roggenmehl, vielleicht sogar Pizzamehl ein Backfiasko erlitten haben.

Weiter zu den Regalen mit Öl und Essig, die ebenfalls randvoll gefüllt sind. Aber Kenner sehen schnell den Haken an der Angebotsfülle, und inzwischen haben sich mehrere von ihnen vor den Ölen und Essigen eingefunden. "Schau hin, kein einziges Sonnenblumenöl", sagt eine junge Frau zu ihrer Freundin. Auch Sonnenblumenöl sei wegen des Krieges bald nicht mehr zu bekommen, hatte es vor zwei Wochen geheißen, woraufhin wie beim Toilettenpapier und bei der Hefe, die aufgrund der Corona-Krise einst in Massen gehamstert worden waren, auch das Sonnenblumenöl praktisch über Nacht aus allen Regalen verschwunden war. Raps- oder Distelöl seien genauso gut, behauptet die Freundin. Aber zum Frittieren gebe es einfach nichts Besseres als Sonnenblumenöl, mischt sich ein junger Mann in das Krisengespräch ein.

Er ist dann aber auch der Einzige der Leere-Regale-Gaffer, der ein Öl kauft, wenn auch Olivenöl. Sonnenblumenöl habe er einen vollen Kanister daheim, verrät er.

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Quelle:
SZ vom 13.04.2022
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